Worüber im Bundestagswahlkampf gesprochen wurde und worüber nicht

Erdkugel von Deutschland überlagert. Dahinter Fernseher mit Wahlkreuz

Medienanalyse: Deutschland schaut nur auf sich selbst. Dominanz der Innenpolitik und kein Interesse am Globalen Süden.

Der deutsche Bundestagswahlkampf 2025 war zum allergrößten Teil durch innenpolitische Themen geprägt. Hierzu zählte insbesondere auch die sogenannte Migrationsdebatte, verbunden mit der Frage nach der inneren Sicherheit. In zwölf ausgewerteten reichweitenstarken Wahlsendungen spielte außenpolitisch einzig der Ukraine-Krieg eine relevante Rolle.

Die Kriege und die humanitäre Lage in den Bürgerkriegsländern Jemen, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo, aber auch der Nahostkonflikt (Gaza, Israel, Libanon, das Westjordanland) wurde in fast allen wichtigen Wahlsendungen vollständig übergangen.

TV-Debatten genießen in Demokratien in der Regel großes Interesse. Auch in Deutschland erreichen Aufeinandertreffen von Regierungsvertretern und Herausforderern teilweise sehr hohe Zuschauerzahlen und haben einen Einfluss auf die politische Meinungsbildung.

Das zur besten Sendezeit ausgestrahlte Duell am 9. Februar 2025 mit Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte in der ARD und im ZDF über 12 Millionen Zuschauer (41,2 Prozent Marktanteil). Das Quadrell mit den Kanzlerkandidaten von SPD, Union, Grünen und AfD sahen bei RTL 7,55 Millionen Zuschauer (25,2 Prozent Marktanteil). Dementsprechend relevant ist die Frage, welche Themen in diesen Sendungen behandelt wurden und vor allem auch, welche nicht.

Ausgewertet wurden in der vorliegenden Untersuchung ein Dutzend reichweitenstarke Wahlsendungen (Debatten sowie Befragungen der Politikerinnen und Politiker durch das Publikum) im Zeitraum 6.-23. Februar mit einer Gesamtdauer von fast 20 Stunden. Bei den im öffentlich-rechtlichen wie im Privatfernsehen ausgewerteten Wahlsendungen handelt es sich um (in der Reihenfolge der Ausstrahlung):

Datum Sender Titel/Sendung Teilnehmer Dauer
6.2.2025, 22:15 Uhr ZDF Schlagabtausch van Aken, Banaszak, Chrupalla, Dobrindt, Lindner, Wagenknecht 90 Min.
9.2.2025, 20:15 Uhr ARD/ZDF Das TV-Duell – Scholz gegen Merz Scholz, Merz 90 Min.
10.2.2025, 21:15 Uhr  ARD Hart aber fair. Der Vierkampf van Aken, Bär, Lindner, Wagenknecht 75 Min.
13.2.2025, 19:25 Uhr ZDF Klartext Habeck, Merz, Scholz, Weidel 140 Min.
15.2. 23:40 / 16.2. 23:35 ARD Hart aber fair 360 Chrupalla (16.2.) / Habeck (15.2.) 2 x 45 Min.
16.2.2025, 20:15 Uhr  ZDF Das Quadrell – Kampf ums Kanzleramt Habeck, Merz, Scholz, Weidel 125 Min.
17.2.2025, 21:15 Uhr ARD Wahlarena Habeck, Merz, Scholz, Weidel 130 Min.
19.02.25, 20:15 Welt TV Scholz und Merz im Kanzlerduell Merz, Scholz 65 Min.
20.2.2025, 22:00 Uhr ARD/ZDF Schlussrunde zur Bundestagswahl van Aken, Baerbock, Dobrindt, Lindner, Linnemann, Miersch, Wagenknecht, Weidel 90 Min.
21.2.2025, 5:30 Uhr ARD/ZDF Morgenmagazin van Aken, Habeck, Lindner, Merz, Scholz, Wagenknecht, Weidel 95 Min.
22.2.2025 20:15 Uhr Pro7/Sat.1 Bürger-Speed-Dating Habeck, Scholz, Weidel  140 Min.
23.2.2025, 20:15 Uhr ARD/ZDF Berliner Runde van Aken, Ali, Habeck, Lindner, Merz, Scholz, Söder, Weidel 60 Min.

Themen in den Sendungen

Zu den am stärksten vertretenen Themen in den Sendungen gehörte die Migration (insbesondere verknüpft mit der Frage der inneren Sicherheit nach dem Anschlag in München am 13. Februar 2025). Von den 1.190 Minuten Gesamtsendezeit der zwölf Wahlsendungen entfielen 201 Minuten (16,9 Prozent) auf die Migrationsdebatte, die nahezu vollständig nur in seiner innenpolitischen Bedeutung erfasst wurde.

Andere behandelte Themen waren hauptsächlich: die deutsche Wirtschaft, der Ukraine-Krieg, das Gesundheitssystem, die Pflege, die Zusammenarbeit mit der AfD (Friedrich Merz und die Brandmauer), der Wohnungsmarkt und die Mieten, die Energiepolitik, der gesellschaftliche Zusammenhalt, das Vertrauen in die Politik, das Bürgergeld, die Renten, das Steuersystem, die Schuldenbremse.

Sowie die Verbraucherpreise, die Ampelkoalition, die Automobilindustrie, die Landwirtschaft, die Bildungspolitik, das BAföG, die Bürokratie, die Deutsche Bahn, das Deutschlandticket, der Mindestlohn, der Klimaschutz, die Wehrpflicht, Abtreibungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften (Alice Weidel und die AfD), das Tempolimit, der sogenannte Dexit, die Zusammenarbeit mit der neuen US-Regierung sowie die (möglichen) Zölle zwischen den USA und der EU.

Dominanter innenpolitischer Fokus

Die Wahlsendungen waren, wie zu sehen ist, ausgesprochen stark von der Perspektive auf Deutschland geprägt. Fast 90 Prozent der Sendezeit bezogen sich auf die Bundesrepublik. Etwa 9,5 Prozent der Sendezeit entfiel auf andere Staaten des Globalen Nordens (hauptsächlich auf die Ukraine, Russland, die USA sowie auf die EU).

Sieben Minuten, also etwa 0,6 Prozent der Gesamtsendezeit, beschäftigten sich mit Staaten der MENA (Middle East & North Africa)-Region, vorwiegend mit den Ländern Afghanistan, Syrien und Irak vor dem Hintergrund der Migrationsdebatte. Auf den restlichen Globalen Süden entfielen etwa zwei Minuten oder etwa 0,15 Prozent der Gesamtsendezeit (zum Beispiel wurde China in einigen Sendungen als wirtschaftlicher und politischer Konkurrent aufgezählt).

Geografische Verteilung der Sendezeit in den ausgewerteten Wahlsendungen

Praktisch vollständige Ausblendung von Kriegen und Konflikten im Globalen Süden

Die Dominanz von innenpolitischen Themen wurde in nennenswerter Weise einzig durch den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen aufgebrochen. 147 Minuten (12,5 Prozent der Gesamtsendezeit) beschäftigten sich mit diesem Thema.

Auch hier lag der geografische Akzent zu einem nicht unerheblichen Teil auf Deutschland (behandelt wurden etwa die Auswirkungen des Gaslieferstopps auf die Energiepreise und die deutsche Wirtschaft, die Frage nach weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine sowie auch nach der Vergabe des Bürgergeldes an geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer).

Demgegenüber wurden Kriege und Konflikte, die sich im Globalen Süden ereigneten, praktisch vollständig ignoriert.

Hierzu gehört der seit mittlerweile zehn Jahren währende Bürgerkrieg im Jemen, den die Vereinten Nationen immer noch als einen der "schlimmsten humanitären Krisen weltweit" ("one of the world’s worst humanitarian crises") bezeichnen sowie auch die Bürgerkriege im Sudan, wo über 11 Millionen Menschen auf der Flucht sind (das UNHCR sprach von einer "schrecklichen humanitären Krise von epischen Ausmaßen" – "dire humanitarian crisis of epic proportions") und in der Demokratischen Republik Kongo, wo Anfang Februar die Rebellengruppe M23 Goma erneut einnahm, wobei Tausende Menschen starben und sich Massenvergewaltigungen ereigneten.

Vergleich der Sendezeit von Themen in den ausgewerteten Wahlsendungen

Sehr auffällig ist, dass selbst der Gaza-Krieg bzw. die Lage in Nahost (Gaza, Israel, Libanon, das Westjordanland) in fast allen Sendungen vollständig ausgespart wurde. Dies ist besonders überraschend, da das Thema in den vergangenen Monaten in den Nachrichten einen relativ großen Platz eingenommen hatte. In der Tagesschau zum Beispiel wurde im Jahr 2024 über den Nahostkonflikt in ähnlich großem Umfang wie über den Ukraine-Krieg berichtet (so eine vor Abschluss stehende Untersuchung des Autors).

Während aber über den Ukraine-Krieg in den Wahlsendungen 147 Minuten gesprochen und diskutiert wurde, wurde der Nahostkonflikt in diesen insgesamt lediglich etwa eineinhalb Minuten thematisiert. Neun der zwölf Sendungen vermieden das Thema vollständig, in den drei anderen Sendungen wurde es kurz gestreift:

Im ZDF-Schlagabtausch warnte Sahra Wagenknecht von sich aus (also nicht danach befragt) vor einer Vertreibung im Gaza-Streifen (Min. 36). Im von der ARD und dem ZDF ausgestrahlten TV-Duell – Scholz gegen Merz wurden die beiden Kanzlerkandidaten in einer Schnellfragerunde danach befragt, was sie von Donald Trumps Gaza-Riviera-Plan hielten (Min. 40).

Im Aufeinandertreffen von Olaf Scholz und Friedrich Merz bei Welt TV kritisierte der Kanzlerkandidat der Union im Zusammenhang mit Antisemitismusvorwürfen Proteste zum Nahostkonflikt vor dem Bundeskanzleramt und Besetzungen von Universitäten durch Studierende, um deren Auflösung sich der Bundeskanzler nicht gekümmert habe (Min. 55). Zusammengenommen waren die drei erwähnten Gesprächssituationen etwa 90 Sekunden lang.

Damit erhielten selbst Randthemen und Fragen wie "Soll es ein Smartphone-/Social Media-Verbot an Schulen geben?" (Wahlarena, ARD; Quadrell, RTL/ntv), "Soll Cannabis weiterhin legal bleiben?" (verschiedene Sendungen), "Was ist der Vorteil eines Wahlkampfs im Winter?", "Was ist schlimmer für Sie, Opposition oder Dschungelcamp?" (Quadrell, RTL/ntv) und "Wer ist Ihre Lieblings-Fußballspielerin?" (Morgenmagazin, ZDF) jeweils eine etwa ähnlich umfangreiche zeitliche Aufmerksamkeit.

Insgesamt entfielen auf den Globalen Süden, wo etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung leben, lediglich etwa 0,75 Prozent der Gesamtsendezeit aller untersuchten Wahlsendungen. Zur Einordnung: Alleine die Frage nach einem möglichen Tempolimit auf deutschen Autobahnen erhielt damit bereits mehr Sendezeit als der gesamte Globale Süden.

Es stellt sich die Frage, welche Botschaft an Beobachterinnen und Beobachter in Ländern des Globalen Südens gesendet wird, wenn dieser im deutschen Bundestagswahlkampf nahezu vollständig übergangen wird.

Eine überlegenswerte Randbemerkung formulierte in der ARD-Wahlarena Robert Habeck, der von Zuschauerinnen und Zuschauern danach befragt wurde, welches Thema im Wahlkampf zu viel und zu wenig Aufmerksamkeit erfahren habe. Für sich nannte er das Thema Klimawandel und wies vorher darauf hin, dass die Menschen und Medien darüber entscheiden, was zu viel oder zu wenig behandelt wird (Min. 113).

Dieser Beitrag erschien zuerst auf den Seiten des European Journalism Observatory (EJO).

Weitreichende Untersuchungen zur medialen Vernachlässigung des Globalen Südens finden sich auf der EJO-Archivseite des Autors und können auch kostenlos eingesehen und heruntergeladen werden unter www.ivr-heidelberg.de.

Dort finden sich auch eine Langzeituntersuchung mit dem Titel Vergessene Welten und blinde Flecken, Videozusammenfassungen sowie Informationen zu einer auf der Untersuchung beruhenden Wanderausstellung.