"Würdest Du Dich gegen Corona impfen lassen?"

Seite 2: 2. Eine kritische Stimme zur bevorstehenden Corona-Impfung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu Wort kommen soll als Erstes eine kritische Stimme zur Entwicklung genetischer Impfstoffe gegen das Coronavirus, die in der November-Ausgabe des Arzneimittelbriefs veröffentlicht worden ist (12). Da dieser Artikel nur für Abonnenten der Zeitschrift zugänglich ist, sollen die wichtigsten Aspekte dieses umfangreichen Textes mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers hier dargestellt werden.

In der Zusammenfassung dieses Artikels heißt es, dass von den Impfstoffkandidaten gegen das Coronavirus, die sich bereits in der Phase III der klinischen Prüfung befinden, 60 Prozent den genetischen Vakzinen zuzurechnen sind. Dazu gehören Nukleinsäure-basierte und virale Vektorimpfstoffe.

Bei zwei dieser Kandidaten, einem mRNA (messenger ribonuclein acid)- und einem viralen Vektorimpfstoff, würden derzeit (Stand 20.10.2020) von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im Rahmen eines "rolling review"-Verfahrens bereits erste (nicht klinische) Daten geprüft, wobei "rolling" bedeutet, dass die Begutachtung der Daten durch die EMA bereits während der klinischen Testphasen begonnen hat. Es handelt sich um den mRNA-Impfstoff der Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer und den viralen Vektorimpfstoff des Pharmakonzerns AstraZenica.

Unter dem Zeitdruck der Pandemie würden dabei die laufenden klinischen Phasen I und II zur Prüfung der Sicherheit durch Zusammenschieben und Zusammenlegen der einzelnen Phasen deutlich verkürzt. Durch die Verkürzung üblicher Beobachtungszeiträume erhöhe sich das Risiko, dass Nebenwirkungen während der klinischen Prüfung unerkannt bleiben. Somit würden die beschleunigten Testphasen auch die gesundheitspolitische Verantwortung bei der staatlichen Vorsorge tangieren.

Ein weiteres Problem ergebe sich daraus, dass derzeit fast alle Impfstoffe an jüngeren Erwachsenen und nicht an älteren Menschen mit deutlich höherem Risiko für schwere Verläufe getestet werden.

Auch werde ein sehr wichtiger Wirksamkeitsendpunkt der Impfstoffe, die "sterile Immunität", in den laufenden Studien kaum berücksichtigt. Würde durch eine Impfung eine anhaltende sterile Immunität erreicht - die ideale Wirkung einer Impfung - könnten Infektionsketten unterbrochen werden. Die bisher publizierten Ergebnisse der laufenden Impfstudien ließen das aber kaum erwarten.

Zum Hintergrund der Impfstoffentwicklung ist ausgeführt, dass im Januar 2020 das Genom von SARS-CoV-2 erstmals sequenziert wurde. Seither steige die Zahl der bei der WHO gemeldeten Impfstoffe kontinuierlich an. Am 2.10.2020 umfasste die Meldeliste weltweit 192 Kandidaten, von denen sich am 19.10.2020 insgesamt 44 in der klinischen Testung befanden.

Darunter waren 20 genetische Impfstoffe. Der Vorteil ist, dass genetische Impfstoffe sich schneller herstellen lassen und in großen Mengen produziert werden können, jedoch seien die klinischen Erfahrungen mit dieser Technologie noch sehr begrenzt.

Die genetischen Impfstoffe gegen das Coronavirus würden deshalb als besonders erfolgversprechend angesehen und wurden daher schon vor ihrer Zulassung von den USA und verschiedenen EU-Staaten in großen Mengen bei den entsprechenden Firmen auf vertraglicher Basis bestellt.

Zur Beschleunigung der Prüfphasen zur Impfstoffsicherheit wird in dem vorliegenden Artikel ausgeführt: Im Durchschnitt dauere das Testverfahren eines Impfstoffs (Phasen I bis III) 8 bis 10 Jahre, bevor er zugelassen wird. Ziel des langen Verfahrens ist die Evaluierung der Sicherheit des Impfstoffs. Der bisher weltweit am schnellsten zugelassene Impfstoff, der nach der Zulassung nicht vom Markt genommen werden musste, habe 4 Jahre beansprucht.

Für die beschleunigte Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus seien die Zulassungsbehörden weltweit einem Modell gefolgt, das der Öffentlichkeit im April 2020 u.a. von Bill Gates vorgestellt wurde. Es hat zum Ziel, binnen weniger als 18 Monaten nach der Erstsequenzierung des Genoms des Coronavirus einen Impfstoff zu entwickeln.

Dieses Modell wurde bildhaft als "Teleskopierung" der klinischen Testphasen bezeichnet. Dabei werden einzelne der üblichen Prüfphasen und Testaufgaben zusammengeschoben. Außerdem wurden die klinischen Phasen I und II zu einer Phase I/II zusammengefasst und zeitlich verkürzt.

Die Beschleunigung der Prüfung eines Impfstoffs berge jedoch Risiken in sich, da insbesondere in der klinischen Phase III, die aus guten Gründen oft Jahre dauert, seltene und verzögert auftretende Impfnebenwirkungen klinisch relevant werden können. Die Teleskopierung berge aber auch Risiken zur Einschätzung der klinischen Wirksamkeit der Impfung. Hier ist zwischen "Immunogenität" und "klinischer Wirksamkeit" zu unterscheiden.

Der Nachweis der Immunogenität erfolge serologisch durch den Nachweis neutralisierender Antikörper und T-Zell-vermittelter Immunität in Phase II. Der Nachweis der klinischen Wirksamkeit erfolge in Phase III. Als wirksam könne ein Impfstoff nur dann eingestuft werden, wenn er menschliche Probanden beim natürlichen Kontakt mit dem Erreger vor der Infektion schützt.

Eine Möglichkeit, die Wirksamkeit eines Impfstoffs abzuschätzen, bestehe darin, Kohorten aus geimpften und nicht geimpften Probanden zu verfolgen, und nach einer angemessenen Zeitspanne zu evaluieren, ob sich die Infektionsraten signifikant unterscheiden. Solche Kohortenstudien würden jedoch Zeit brauchen und sollten zumindest eine winterliche Erkrankungswelle mit einbeziehen.

Dieses Verfahren sei also mit dem angestrebten Zeithorizont für die Entwicklung einer wirksamen und verträglichen Impfung gegen SARS-CoV-2 nicht vereinbar. Von besonderer Bedeutung für die Eindämmung der Pandemie sei auch, ob ein Impfstoff zur "sterilen Immunität" führe, also Geimpfte nicht nur vor der Erkrankung schütze, sondern auch verhindere, dass das Virus weitergeben werden kann.

In dem Artikel im Arzneimittelbrief sind weiterhin eine Reihe von aktuell erkennbaren Nebenwirkungen und Problemen beim bisherigen Einsatz der genetischen Impfstoffe aufgeführt. So habe die vorläufige Auswertung der beschleunigten klinischen Phase I/II des viralen Vektorimpfstoffs von AstraZeneca bei 543 damit geimpften Probanden eine signifikante Häufung von Impfnebenwirkungen im Vergleich zu 534 Probanden ergeben, die mit einem zugelassenen Meningokokken-Impfstoff geimpft wurden.

Bei 70% der Probanden - mit oder ohne prophylaktische Einnahme von Paracetamol (P) - trat Fatigue auf, außerdem Kopfschmerzen bei 68% (61% mit P), systemische Muskelschmerzen bei 60% (48% mit P), Schüttelfrost bei 56% (27% mit P), erhöhte Temperatur bis 38°C bei 51% (36% mit P), Fieber > 38°C bei 18% (16% mit P) und allgemeines Krankheitsgefühl bei 61% (48% mit P). Von den 543 geimpften Probanden wurden 10% in ein vierwöchiges serologisches Monitoring eingebunden (Aufgabe aus Phase I), wobei sich bei 46% eine temporäre Neutropenie zeigte.

Während der Phase III sei ein Proband, der den AstraZenica-Impfstoff erhalten habe, wegen einer transversen Myelitis (entzündliche demyelinisierende Erkrankung des Rückenmarks) im Krankenhaus behandelt worden. Diese Erkrankung mit Lähmungserscheinungen könne bei viralen Infektionen als Autoimmunreaktion, bei Multipler Sklerose (MS), aber auch als Immunreaktion nach einer Impfung auftreten.

Inzwischen sei bekannt geworden, dass eine weitere Versuchsperson bereits im frühen Stadium der Phase III (Juli 2020) die Symptome einer transversen Myelitis entwickelt hatte, was von AstraZeneca auf eine MS-Erkrankung zurückgeführt worden sei. Laut einem in Nature publizierten Report seien Anfragen zu diesem Vorfall aus der zunehmend besorgten wissenschaftlichen Gemeinschaft von den Unternehmen unbeantwortet geblieben.

Hier fehle es an der Transparenz, die unabdingbar sei für das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit von Impfstoffen, heißt es im Arzneimittelbrief. Nachdem Symptome einer transversen Myelitis zum zweiten Mal auftraten, sei die Studie für 6 Tage unterbrochen und danach in Großbritannien, Südafrika und Brasilien fortgesetzt worden, ebenso nach einer etwas längeren Unterbrechung in den USA.

In der abschließenden Diskussion des Artikels heißt es, dass bei beiden aktuellen Impfstoff-Favoriten eine signifikante Häufung von Nebenwirkungen auffalle, die bei dem AstraZenica-Impfstoff infolge von Symptomen einer transversen Myelitis bei zwei Probanden besonderer Beachtung bedürfen. Zum Biontech/Pfizer-Impfstoff würden entsprechende Auswertungen der fortgeschrittenen Phase II und der Phase III noch nicht vorliegen.

Generell würden die bisherigen Daten bestätigen, dass genetische Impfstoffe eine höhere Reaktogenität hervorrufen könnten, das heißt, mit mehr Nebenwirkungen einhergehen. Diese würden in Form von u.a. Schmerz, Schwellung und Rötung an der Injektionsstelle, Fieber, Krankheitsgefühl, Appetitlosigkeit, aber auch überschießender Immunreaktionen auftreten.

Der Artikel schließt mit der folgenden Einschätzung ab:

Nach unserer Auffassung ist ein breiter wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurs über die Probleme der beschleunigten Prüfung hinsichtlich der Impfstoffsicherheit sowie eine Harmonisierung unverzichtbarer Studienendpunkte mit öffentlicher Anhörung kritischer Experten notwendig.

Ärztinnen und Ärzte und die Menschen, die sich impfen lassen wollen, müssen über Wirksamkeit und Risiken genetischer Impfstoffe, die nach verkürzten Zulassungsverfahren auf den Markt kommen, umfassend aufgeklärt werden. Es sollten dieselben Standards gelten, wie sie auch bei anderen Impfungen gefordert werden. Hierzu gehören die Antworten auf folgende Fragen für die Praxis:

• Für welche Zielgruppe ist der Impfstoff zugelassen bzw. welche Zielgruppe könnte durch die Impfung profitieren und welche wissenschaftliche Evidenz gibt es hierfür? • Mit welchen Nebenwirkungen muss gerechnet werden? • Wie lange hält die durch den Impfstoff induzierte Immunität an, und wann muss gegebenenfalls erneut geimpft werden? • Wie wird der Impfstoff nach seiner Zulassung auf seine Sicherheit überprüft? • Wer haftet bei Impfschäden?

Arzneimittelbrief, November 2020

Das nächste Kapitel wird unter anderem zeigen, welche dieser Fragen zum jetzigen Zeitpunkt beantwortet werden können, welche (noch) nicht und welche weiteren Fragen es derzeit noch gibt.