Würdige Feiern, rotzfreche Proteste

Gemäß der Richtlinie, dass heutzutage Deutschlands Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird, bereitet sich die Bundeswehr auf glorreiche Zeiten vor

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Um imagetechnisch gewappnet sein, und die Notwendigkeit einer modernen Armee im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, greift sie zu verschiedenen Mitteln: einerseits gibt es Kampagnen, die Formaten aus dem Fernsehen abgekupfert sind, (vgl. Bundeswehr sucht den Superstar) andererseits echte Klassiker wie die öffentliche Rekrutenvereidigung.

Tradition never dies, weiß auch die Bundeswehr mit ihrem Hang zur Traditionspflege (vgl. Soldatische Traditionspflege in Mittenwald. Und so wirken denn auch die Versuche, die Bundeswehr in ein Pop-Phänomen zu verwandeln, noch leicht unbeholfen, während traditionelle Uniformumzüge wie Rekrutenvereidigungen mit souveräner Routine gehandhabt werden. Der Ablauf ist immer der gleiche: Es gibt Reden, dann gibt es einen Spruch, dann ist fertig. Die Dekoration kann aus dem Fundus für staatstragende Ereignisse ausgewählt werden, die Würde, Entschlossenheit und feierlichen Ernst ausstrahlen sollen. Fackeln, Feuer und Kulissen, die der wohlfeilen staatlichen Selbstinterpretation dienen (so z.B. der Bendlerblock), eignen sich immer. Anwesende Politiker tragen bei so was auch schon mal Uniform.

Die Vereidigungen sind mittlerweile wieder so häufig, dass man vergessen könnte, wie selten sie einmal geworden waren, und dass sie noch vor gar nicht langer Zeit als das überkommene Relikt eines verstaubten Militarismus galten.

Genauso wenig fällt der Grundwiderspruch dieser Veranstaltungen auf, der allerdings bei genauerer Betrachtung sehr erhellend ist. Die "öffentlichen" Vereidigungen sind nicht öffentlich, sie finden nur für geladene Gäste statt, allenfalls noch für eine simulierte Öffentlichkeit von Schulklassen und handverlesenen Normalbürgern. Insofern sind sie ein perfektes Bild für die tatsächliche Aufgabe der Bundeswehr: die Verteidigung der Interessen einer schmalen Elite bei gleichzeitiger Wahrung eines demokratischen Scheins. Erzwungen haben diese Verwandlung einer Institution in ein Bild ihrer selbst die Proteste, die die Gelöbnisse in schöner Regelmäßigkeit begleiten. Nein, es sind natürlich nicht mehr die militanten Angriffe von vor über zwanzig Jahren, am bekanntesten die Demonstration von 1980 in Bremen.

Auch Jürgen Trittin lässt sich bei Protesten gegen öffentliche Rekrutenvereidigungen nicht mehr sehen: 1998 war das zum letzten Mal der Fall.

Heute sind es weder militante Massenaufläufe, noch die Promis, die den Marketingexperten der Bundeswehr auf die Nerven gehen, sondern rotzfreche Kleingruppen.

Sie scheren sich weder groß um die staatstragende Würde des scheindemokratischen Gelöbnisses, noch um die eigenen Protesttraditionen. Sie finden das deutsche Theater bescheuert und unternehmen etwas dagegen. Ein informelles Bündnis namens "GelöbniX" (in Anlehnung an die X-Kampagnen der Castorgegner im Wendland) dient als bundesweites Aktionslabel, aber es ginge auch ohne. Gruppen wie die Postpessimisten und die "Panzertruppen", die das Gelöbnis im Bendlerblock am 20.7. und die Bundeswehrausstellung "Unser Heer 2003" am 12.7. in Ludwigshafen attackierten, brauchen keine zentrale Erlaubnis, um aktiv zu werden.

Weil das Angriffsziel ein theatralischer Akt, eine Bühne der Selbstdarstellung ist, eignen sich insbesondere theatralische Mittel als Waffe. Dem Gegner ein wenig von seiner eigenen Inszenierungsmedizin zu schmecken zu geben, die Verspottung, die nochmalige und abermalige Aushöhlung von Sicherheitsvorkehrungen, die dem Staatstheater Unantastbarkeit garantieren sollen, ist das Ziel. Weil der Gegner sich in dem Widerspruch verfängt, einerseits wenigstens einen Anschein von Öffentlichkeit herstellen zu wollen, andererseits aber genau diese Öffentlichkeit bis zum Exzess kontrollieren muss, um nicht in einem Hagel von faulen Eiern und Tomaten unterzugehen, gelingen den Protestierern immer wieder Kabinettstückchen der Provokation. Die Papp-Panzerbrigade zum Beispiel ließ die Feldjäger der Bundeswehr kurzfristig wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen wirken, ebenso wie die Postpessimisten, die in einem unbewachten Eck nicht nur die Absperrungen überwanden, sondern von einem Baugerüst in der "roten Zone" sogar den Säulenheiligen des BRD-Militarismus, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, einen Kriegsverbrecher nennen konnten. Man darf davon ausgehen, dass das die Veranstalter gehörig nervt, aber es wird schwierig werden, der Proteste Herr zu werden.

Öffentliche Gelöbnisse im Drahtverhau oder auf zu Hochsicherheitszonen umgebauten Versammlungsplätzen, umgeben von mehreren Befestigungsringen - das würde wohl das Thema allzu deutlich verfehlen. Vielleicht deshalb auch nehmen die Aktivitäten des Verfassungsschutzes zur Rekrutierung studentischen Personals im linken Umfeld so deutlich zu, immerhin wäre es eine denkbare Strategie, die GelöbniX-Proteste schon im Vorfeld zu zersetzen. Aber da diese Rekrutierungsversuche mit schöner Regelmäßigkeit danebengehen, ist auch hier Vorsicht geboten - möglicherweise käme dabei nichts anders heraus, als ein breiteres Bewusstsein über die Machenschaften der Geheimdienste im demokratischen Staat, analog zur Selbstdemaskierung der Bundeswehr bei ihren öffentlichen Vereidigungen.

Aber weil es für den deutschen Staat von hoher Priorität zu sein scheint, zunächst die Freiheit des Schwörens und Gelobens in Deutschland zu verteidigen, bevor die Freiheit Deutschlands dann auch am Hindukusch verteidigt werden kann, ist das letzte Wort über die Gelöbnisse und die Proteste dagegen sicher noch nicht gesprochen.