Zahlt es sich aus? Neues zu Journalismus und "Staatsknete"
Seite 2: Das Strukturproblem im Brennglas
Womit wir hier beim mittlerweile mindestens dreifachen Strukturproblem wären. Moralisieren im Sinne von "Das macht man doch nicht!" erscheint da wenig hilfreich. Denn Journalismus ist, empirisch gesehen, eben kein eigenständiges oder gar autonomes Subsystem in der Gesellschaft.
Sondern als umkämpftes soziales Feld in vieler Hinsicht nicht nur strukturell gekoppelt, sondern abhängig von organisierten und herrschenden Interessen vor allem aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Auftragskommunikation (PR, Werbung, Marketing). Was nicht heißt, dass mächtige Medien nicht ihrerseits auch und gerade "die Politik" beeinflussen würden.
Mit Blick auf diese Beziehungsgeflechte ist es kein Wunder, dass die Entwicklungen um die prominente Medienperson Linda Zervakis (früher ARD-Tagesschau, heute ProSieben) diese Strukturprobleme wie in einem Brennglas zu bündeln scheinen.
Der Journalist Jens Weinreich weist darauf hin, dass es zu ihrem Agieren im Auftrag vor allem des Kanzleramtes bereits öffentliche Diskussionen gab und gibt, "insofern lässt sie sich in den Listen leicht identifizieren". Wobei da anscheinend "doch viel mehr Honorar" zusammenkomme als bisher angenommen.
An "Journalist 97", sonst tätig für ProSieben, überwies die Regierung für zwei Moderationen im Jahr 2022 laut Tabelle exakt 12.044,31 Euro. Pro Moderation also im Schnitt mehr als 6.000 Euro. Die eine Moderation war laut Tabelle am 9.6.2022.
Linda Zervakis moderierte genau an jenem 9.6.2022 auf der Digitalkonferenz "Republica" in Berlin ein Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die taz hatte bereits am 27.1.2023 unter Berufung auf ihre Recherchen laut Informationsfreiheitsgesetz berichtet, dass die vermeintlich unabhängige Interviewerin Zervakis direkt vom Kanzleramt engagiert worden sei und nicht vom Veranstalter. O-Ton taz:
Kommuniziert wurde das nicht. Es sollte aussehen wie ein Gespräch mit einer unabhängigen Moderatorin.
Auch beim Thema "Finanzierung" herrschte laut taz alles andere als Transparenz: Es sei unklar geblieben, inwiefern und "welche Gelder vom Kanzleramt an Zervakis flossen". Schlimmer noch: Laut der Zeitung ließ Linda Zervakis zunächst gegen jenen Text juristisch vorgehen.
Mit Datum vom 21.2.2023 ergänzt die Redaktion dann:
"Linda Zervakis geht nun nicht mehr presserechtlich gegen diesen Text vor. Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat sie am 17.02.2023 zurückgenommen. Zuvor hatte die zuständige Pressekammer des Landgerichts Hamburg ihrem Anwalt mitgeteilt, dass bei vorläufiger Würdigung der Antrag keinen Erfolg haben dürfte."
Die Angaben des taz-Artikels stimmen überein mit denen, die sich aus der nunmehr offiziell veröffentlichten Tabelle der Bundesregierung mit höchster Wahrscheinlichkeit rekonstruieren lassen. Bis hin zum Datum der zweiten Moderation laut Text, dem 28.11.2022.
Was ließe sich aus den Zahlen und Zitaten lernen?