Zehn Jahre auf Reisen

Die ESA-Sonde "Rosetta" ist gestartet und steuert den Kometen Churyumov-Gerasimenko an

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Am vergangenen Donnerstag spielte das Wetter nicht mit, einen Tag später wurde ein Loch in der Raketen-Isolierung festgestellt. Aber heute, um 8.17 Uhr MEZ, war es dann endlich doch soweit. Auf dem Raumflughafen Kourou in Französisch-Guayana begann mit dem Start der Trägerrakete eine möglicherweise historische Mission. Denn an Bord der Ariane-5 befindet sich die Raumsonde Rosetta, die in gut zehn Jahren den Kometen 67 P/Churyumov-Gerasimenko erreichen soll. Wenn das funktioniert, wird sie versuchen, den Lander "Philae" auf dem kosmischen Schneeball abzusetzen und schließlich seinen Flug zur Sonne und die Bildung des Kometenschweifes verfolgen. Die Europäische Weltraumorganisation unternimmt damit den ersten Versuch, einen Kometen zu umrunden und auf ihm zu landen.

Bilder: ESA/AOES Medialab

Churyumov-Gerasimenko ist allerdings nur zweite Wahl. Ursprünglich sollte "Rosetta" den Kometen "Wirtanen" ansteuern, nach dem Absturz einer Ariane-5 im Dezember 2002 musste die Mission jedoch kurzfristig abgesagt und ein anderer Schweifstern gesucht werden. Das neue Ziel stellte die europäischen Wissenschaftler vor extreme technische Herausforderungen. "Rosetta" wird den 1969 entdeckten Kometen, der alle 6,6 Jahre die Sonne umkreist, nämlich nur erreichen, wenn sie 2 1/2 Jahre ihrer Reise in einer Art Winterschlaf verbringt, der nur vom Hauptcomputer überwacht wird, während alle Systeme und wissenschaftlichen Geräte ausgeschaltet sind.

Dass die elf Instrumente, die sich an Bord der Sonde befinden und die zehn weiteren, die "Philae" mit auf die lange Reise nimmt, rechtzeitig wieder funktionsfähig sind, entscheidet über den Erfolg der Mission, denn sie sollen nicht nur Bildmaterial zur Erde senden, sondern auch die Zusammensetzung und Struktur des Kometenkerns erforschen. Von diesen Daten erhoffen sich die Wissenschaftler weiterführende Erkenntnisse über die Entstehung des Sonnensystems, denn der Komet dürfte sich seit der Entstehung desselben nur unwesentlich verändert haben.

Ein Problem könnte allerdings die beträchtliche Distanz zwischen der Sonne und Churyumov-Gerasimenko sein, die bei "Rosettas" Ankunft rund 675 Millionen Kilometer betragen wird. Manfred Warhaut, Leiter des Rosetta-Missionsbetriebs beim European Space Operations Centre in Darmstadt, ist allerdings fest davon überzeugt, eventuelle Schwierigkeiten im Griff zu haben:

Um die Stromversorgung im Weltall zu gewährleisten, haben wir Rosetta die größten Sonnensegel spendiert, die bislang ein europäischer Satellit mit sich trug. Die Stromversorgung erfolgt ausschließlich über Solarzellen.

Die 64 Quadratmeter großen Segel können jetzt um 180 Grad gedreht werden und verfügen über eine Spannweite von 32 Metern. Auch die Ausstattung des Landers, der keine eigene Steuerungseinheit besitzt, verlangte den Wissenschaftlern viel Arbeit und Einfallsreichtum ab, denn der vier Kilometer lange Churyumov-Gerasimenko hat gegenüber ausgewachsenen Planeten einen entscheidenden Nachteil: "Die weiche Landung der Sonde ist besonders diffizil, da der Kometenkern nur eine äußerst geringe Gravitationskraft hat: Auf dem Kometen hat das hier 100 Kilogramm schwere Landegerät das Gewicht von einem Blatt Papier", erklärte Manfred Warhaut bei der Vorstellung des Projektes. Um zu verhindern, dass "Philae" von dem Kometen abprallt und in den unendlichen Weiten verloren geht, wurden die drei Landebeine mit Dämpfern und Eisschrauben versehen. Außerdem verfügt der Lander über einen Anker, der den Kometen harpunieren soll.

Das Gesamtprojekt kostet Europa rund eine Milliarde Euro, wobei allein die Verschiebung des Starttermins von 2003 auf 2004 mit 70 Millionen zu Buche steht. Dafür erwarten die Wissenschaftler nun eine Sternstunde der Europäischen Raumfahrt, die der bahnbrechenden Bedeutung des Namensgebers in nichts nachstehen soll. Immerhin gilt der 1799 im Niltal gefundene Rosettastein, der ein Dekret des ägyptischen Priesterrates in drei verschiedenen und also vergleichbaren Sprachen zeigt, als Schlüssel zur Entzifferung der bis dahin unverständlichen Hieroglyphen.

Sollte die Sonde der Europäischen Weltraumorganisation den Weg zu einer ähnlichen archäologischen Meisterleistung bahnen und nahtlos an den Erfolg der Giotto-Mission anknüpfen können, die in den 80er Jahren spektakuläre Bilder und Messdaten des Kometen Halley zur Erde schickte, wird der beträchtliche Kostenaufwand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Thema mehr sein. Bleibt also nur zu hoffen, dass "Rosetta" nichts und niemand in die Quere kommt.