Zell- oder Organersatz auf Bestellung?
Wissenschaftler konnten menschliche Stammzellen erstmals außerhalb des Körpers vermehren
Gleich zwei verschiedenen Wissenschaftlerteams ist es gelungen, menschliche Stammzellen aus Embryos zu isolieren und über längere Zeit in einer Zellkultur zu vermehren. Aus Stammzellen entstehen durch Ausdifferenzierung, also indem bestimmte Gene aktiviert oder desaktiviert werden, alle spezialisierten Zellen in unserem Körper. Damit ist möglicherweise der erste Schritt getan, zerstörte oder geschädigte Zellen oder ganze Organe künstlich zu züchten, um sie kranken oder alten Menschen wieder einzupflanzen. In Zukunft könnten also Transplantation von Organen, auch von Händen, wie unlängst geschehen, oder gar eines Penis, was ein italienischer Arzt vorhat, unnötig werden. Allerdings räumen die Wissenschaftler ein, daß es noch einige Jahre dauern dürfte, bis Menschen tatsächlich nachgezüchtete Zellen oder gar Gewebe als Ersatz erhalten können - und dann sprudelt die unerschöpfliche Geldquelle der beteiligten BioTech-Firma.
Die Wissenschaftlergruppen haben für Züchtung der humanen Embryonalen Stammzellen (hES) unterschiedliche Methoden angewendet. Das Team von James A. Thomsom von der University of Wisconsin-Madison isolierte Stammzellen, wie sie in der Zeitschrift Science schreiben, aus menschlichen Blastozyten, einer Kugel aus ungefähr 140 Zellen, die im Zuge der Embryogenese ein paar Tage nach der Geburt entstehen. Für das Experiment benutzten sie Blastozyten, die im Verlauf einer In-Vitro-Fertilisation entstanden, aber nicht der Mutter eingesetzt wurden. Aus den Blastozyten entfernten sie die inneren Embryolasten, die dann auf Fibrolasten von Mäusen, die als Nährstoffzellen dienen, angesetzt wurden. Alle zwei Wochen wurden die Stammzellen auf neuen Nährböden angesetzt und blieben so bereits über Monate im undifferenzierten Zustand, behielten also ihre Potentialität, sich in alle Zelltypen verwandeln zu können. "Diese Zellen unterscheiden sich von allen anderen menschlichen Stammzellen, die bis heute isoliert wurden", sagt James Thomson. "Als Ursprung aller Zelltypen tragen sie das große Versprechen in sich, in der Transplantationsmedizin, der Suche und Entwicklung von Medikamenten und der Erforschung der menschlichen Entwicklungsbiologie eingesetzt werden zu können."
Thomsons Gruppe, deren Ergebnisse in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurden, gelang überdies der Nachweis, daß die von ihnen gezüchteten Zellen weiterhin die Fähigkeit hatten, spezialisierte Zellen zu erzeugen. Man brachte die menschlichen Stammzellen in Mäuse mit einem gestörten Immunsystem ein, wo sie zu verschiedenen Zellgeweben heranwuchsen.
Das Team von John Gearhart von den John Hopkins Medical Institutions holten sich primordiale Keimzellen, aus denen sich später Spermien und Eizellen entwickelt hätten, aus abgetriebenen Embryos, setzten sie einzeln gleichfalls auf Bindegewebszellen von Mäusen an und fügten Wachstumsfaktoren hinzu. Daraus entwickelten sich unter bestimmten Bedingungen ebenfalls Stammzellen. Ließ man die Stamzellen in der Nährlösung weiterwachsen, dann entstanden kleine, weiter differenzierte Zellgruppen (Ectoderm, Entodern und Mesoderm), aus denen dann die unterschiedlichen menschlichen Zelltypen hervorgehen.
Stammzellen haben aber auch noch eine attraktive Eigenschaft: Weil sie Telomerase erzeugen, können sie sich prinzipiell ewig erneuern und eine potentiell grenzenlose Zahl von Zellen hervorbringen. Die Biotechnologiefirma Geron besitzt bereits ein Patent auf Telomerase, das Enzym, das das Altern von Zellen verhindert und möglicherweise zur Lebensverlängerung eingesetzt werden könnte. Sie steht auch als Geldgeber hinter der Forschung von Thomsons Team und dem von Gearhart - und ist damit gut im Rennen, zumal sie überdies ein Patent auf den Transfer des Telomerase-Gens in menschliche Stammzellen besitzt. Für das Stammzellenpatent der Forscher habe man eine weltweite Lizenz.In Deutschland wäre diese Art von Forschung mit menschlichen Embryonalzellen verboten, in den USA gibt es dafür keine öffentlichen Gelder. Das ist also keinesfalls ein Hindernis, denn Geron wird, wie es in einer Pressemitteilung heißt, die Forschung an diesen Wunderzellen weiter vorantreiben, um Techniken zur Entwicklung von Stammzellen, die Bestimmung der Faktoren bei der Zelldifferenzierung, Techniken zur genetischen Manipulation der Zellen und Modelle zur Überprüfung der möglichen Transplantationsprodukte zu entwickeln. Man werde dabei aber mit angemessenen Richtlinien vorgehen. Geron verpflichtet sich, so Ronald Eastman, CEO von Geron, "das riesige Potential dieser Technologie auf verantwortliche Weise zu verwirklichen."
Die Stammzellen werden von Geron lediglich als "pluripotent" bezeichnet. Um zu beweisen, daß menschliche Stammzellen "totipotent" seien, müßte man einen Organismus aus der Zelle entwickeln. Das hat man bereits mit tierischen Zellen geleistet, aber aus ethischen Gründen würde man das nicht mit menschlichen machen. Man verweist auch darauf, daß die menschlichen Stammzellen, die in den Versuchen verwendet wurden, aus freiwilligen Spenden von IVF-Blastozyten zuvor informierter Patienten stammen, wobei diese noch undifferenzierten Zellen im Laboratorium gewonnen wurden und "kein zelluläres Äquivalent eines Embryos" darstellen. Geron versichert, daß man Stammzellen nicht zum Klonen von Menschen verwenden, sie nicht in eine Gebärmutter einpflanzen oder daraus Mensch-Tier-Chimären herstellen werde. Man wird sehen.
Gegenüber BBC hat bereits Harry Griffin vom Roslin Institute geäußert, daß man die in ihrem Institut entwickelte Technik des Zellkerntransfers, wodurch das Klon Dolly enstanden ist, auch bei Stammzellen anwenden könnte. "Unser spezifischer Beitrag (für eine mögliche Kooperation) könnte es ermöglichen, diese Zellen vom Patienten selbst zu gewinnen und so immunologische Probleme zu vermeiden." Man könnte also nicht nur, wenn die Technik ausgereift ist, Zellen eines Neugeborenen verwenden und klonen, sie einfrieren und später bei Bedarf transplantieren, sondern man könnte auch Zellen eines Erwachsenen verwenden.
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