Weniger, dafür aber bessere Menschen
Chinesische Genetiker für Eugenik
Eugenik ist hierzulande noch immer verknüpft mit der schrecklichen Praxis des Dritten Reiches. Auch wenn die Ablehnung der Gentechnik in den westlichen Ländern recht unterschiedlich ist, so ist man sich doch noch relativ einig darüber, daß Klonen oder Eingriffe in die Keimbahn keine unbedenklichen Praktiken sind oder daß Gentests nicht vorgeschrieben werden oder gar deren Ergebnisse Versicherungen oder Arbeitgebern in die Hände kommen sollen.
Allerdings sind die Verführungen der Gentechnik bei Menschen groß. Gregory Stock hat mit einer Konferenz und seinem Artikel in Telepolis für den Einsatz der Keimbahntherapie bereits eine vorsichtige Bresche geschlagen - und glaubt, wohl zu Recht, daß sie früher oder später zum Einsatz kommen wird. Das Human Genom Project wird die für Gentests möglicherweise notwendigen Daten liefern, und vielleicht werden die mit Vehemenz etwa in Großbritannien, Deutschland und jetzt auch in den USA installierten nationalen Gendatenbanken, die zunächst nur Kriminelle erfassen sollen, zum Ausgangspunkt einer genetischen Erfassung der Gesamtbevölkerung. Ein englischer Polizeioffizier hat dies bereits gefordert, schließlich ist auch das Prävention.
Xin Mao führte bereits 1993 eine Umfrage unter Genetikern, die jetzt im American Journal of Human Genetics veröffentlicht wurde. Aber auch wenn die Umfrage ein wenig veraltet sein mag, so weist sie doch auf eine ganz andere Haltung zur Eugenik hin - und womöglich darauf, wo die ersten Tabus durchbrochen werden könnten.
86 Prozent der Befragten waren etwa dafür, daß Arbeitgeber Bewerber genetischen Tests unterziehen sollten, bevor sie eingestellt werden. Ein Bericht in New Scientist, der deswegen China als die "Republik der perfekten Menschen" bezeichnet, nennt aber auch Zahlen von westlichen Ländern. Obgleich hier die Zustimmung deutlich geringer ist, waren doch auch immerhin 46 Prozent der befragten britischen und sogar 59 Prozent der amerikanischen Genetiker für einen genetischen Test vor der Einstellung.
Mit einer überwältigend großen Zustimmung von 92 Prozent meinen die chinesischen Genetiker (GB: 34 %, USA 44 %), daß Paare, bei denen beide Träger einer genetischen Erkrankung sind, keine Kinder haben sollten, und 86 Prozent sind dafür, daß Regierungen prinzipiell vor jeder Heirat Gentests verlangen sollten. Da steigen dann die westlichen Wissenschaftler dann doch aus, denn das wollen nur 4 Prozent in GB und 5 Prozent in den USA - oder trauen sich dies zu sagen.
Allerdings sind in China seit 1994 bereits voreheliche Gentests zwingend - und die Ärzte können die Abtreibung von Föten mit einer ernsthaften Behinderung verlangen. Das ist sowieso ein dehnbarer Begriff, wobei selbstverständlich der Versuch der chinesischen Regierung zur Reduzierung der Bevölkerung eine verstärkende Wirkung hat. So wird mit Gentests eben auch die Selektion des Geschlechts möglich - und das männliche Geschlecht wird eindeutig bevorzugt, so daß das weibliche indirekt den Status einer ernsthaften Behinderung im Sinne der familiären Thronfolge erwirbt. Doch wenn man nur ein Kind haben darf, wird die Verführung einfach auch künstlich größer gemacht, daß dieses dann auch möglichst gesund und perfekt sein soll.
So weit davon entfernt sind wir schließlich in den westlichen Ländern davon auch nicht, selbst wenn keine Regierung uns dabei Vorschriften macht, denn die Familien mit einem Kind werden immer mehr, da mehr Kinder einen größeren Verzicht bedeuten oder schlicht finanziell oder karriereorientiert nicht tragbar sind. Und wenn man schon die Möglichkeit der Vorausselektion hat, warum sollte man dann auf den Zufall setzen und das Risiko eingehen zu verlieren (siehe: Zur Diskussion über die Tötung "lebensunwertem" Lebens)? Bei unfruchtbaren Paaren stellt sich diese Entscheidung natürlich noch in einem viel höherem Maße. Das ist nicht nur eine Frage der Perfektion, wie man dies gerne aburteilt und verpönt, sondern auch der Verantwortung, denn auch Kinder kriegt man nicht zufällig, sondern durch eine wie auch immer bewußte Entscheidung, für die man prinzipiell zumindest vor den eigenen Kindern verantwortlich ist. Wir leben nicht mehr in der Zeit der Unschuld. Daher ist auch die bewußte Vermeidung etwa von Gentests eine Entscheidung, für die wir verantwortlich gemacht werden können.
Obgleich, wie Xin Mao sagt, der mittlerweile in den USA arbeitet, die chinesische Kultur sich stark von der westlichen unterscheidet, weil die Chinesen noch immer mehr an dem Wohlergehen der Gesellschaft als an der des Einzelnen orientiert sind, so ist die Position der westlichen Genetiker, vor allem in den USA, gegenüber der Eugenik doch so grundverschieden auch nicht. Hier will man bloß nicht, daß die Gesellschaft bzw. die Regierung entscheidet, aber wenn mehr als die Hälfte für Gentests vor der Einstellung votieren, dann geht der Zwang einfach vom Staat auf die Unternehmen über - vielleicht in dem Glauben, daß die Privatwirtschaft, entstanden aus der bürgerlichen, einst gegen den staatlichen Absolutismus und Totalitarismus revoltierenden Klasse, niemals zum Subjekt von "1984" oder einer "Schönen, neuen Welt" werden könnte. Doch die Privatwirtschaft, auch das zeigt der Nationalismus und die 10 Millionen von den deutschen Unternehmen verschlissenen Zwangsarbeitern, mag sich zwar selbst regulieren, aber nicht unbedingt so, daß dabei Menschenwürde eine Rolle spielt. Und wenn es um Vermeidung von Kosten geht, mag zwar keine "Republik der perfekten Menschen", wohl aber ein "Unternehmen der perfekten Menschen" oder, privat, eine "Familie der perfekten Menschen" auf dem Fahrplan stehen.