Zirkus Gaddafi und der große Sarkozy
Seite 5: Streit zwischen Paris und Berlin
Die Politik Nicolas Sarkozys gegenüber Gaddafi, und allgemein gegenüber den Regimes am Südufer des Mittelmeers, hat inzwischen auch zu einem (punktuellen) offenen Zerwürfnis zwischen Frankreich und anderen EU-Staaten geführt. Darunter auch zu Missstimmungen mit Berlin.
Insbesondere wird den Regierenden in Paris aus Brüssel und Berlin ihr Eifer, den nordafrikanischen Staaten und darunter auch Libyen technologische Hilfe bei der "zivilen Nutzung der Atomenergie" anzubieten, vorgeworfen. Im Vorfeld des jüngsten EU-Afrika-Gipfels von Lissabon hatten Deutschland, Österreich und Dänemark sich innerhalb der EU dem Ansinnen der Franzosen widersetzt, einen Passus in die Abschlusserklärung aufzunehmen, worin ein "Dialog über die zivile Nutzung der Nuklearenergie" als positives Ziel gesetzt wird. Doch Frankreich konnte sich an dem Punkt, mit Unterstützung Italiens, durchsetzen.
Gleichzeitig berichtete die Pariser Abendzeitung 'Le Monde', bei der Europäischen Union wüchsen die Vorbehalte gegenüber den Angeboten, welche die französische Nuklearindustrie in der vergangenen drei Monaten einer Reihe arabischsprachiger Staaten (Libyen, Marokko, Algerien, am Rande auch der Regierung des besetzten Irak) unterbreitet hatte. Die liberale Pariser Abendzeitung kommentierte selbst, in einem Leitartikel, in kritischem Tonfall den "Arabischen Feldzug Nicolas Sarkozy für die Nuklearenergie".
Aber auch das Ansinnen Frankreichs, eine neue "Mittelmeer-Union" zu begründen und die Regierungen am Nord- wie am Südufer des Mastre Nostrum in ein institutionelles Gefüge auf regionaler Ebene einzubinden, stößt zunehmend auf Vorbehalte. In den Tagen vor der Eröffnung des EU-Afrika-Gipfels widersprach Angela Merkel offen diesem Ansinnen: Es komme nich in Frage, eine zweite Union außerhalb des institutionellen Rahmens der EU zu schaffen.
Torpedos von Merkel
Die algerische Tageszeitung 'El-Watan' schlagzeilte daraufhin am vorletzten Samstag auf ihrer Titelseite: "Angela Merkel torpediert das Projekt der Mittelmeer-Union". Neben eventuellen politisch-ideologischen Motiven stehen hinter diesem Streit allerdings vor allem handfeste materielle Interessenlagen: Deutschland sieht seine wirtschaftlichen Interessen weitaus eher im Osten und Südosten, und sähe daher ungern die Schaffung eines neuen Gravitationszentrums der EU-Politik im "Süden".
Aber nicht nur Berlin widersetzt sich inzwischen den Plänen für die "Mittelmeer-Union". Diesen Begriff hatte Nicolas Sarkozy erstmals während des Wahlkampfs in einer Kandidatenrede vor früheren Algerienfranzosen – die starke koloniale Anklänge hatte und das historische "Wirken Frankreichs in Übersee" in großen Teilen rechtfertigte – am 7. Februar dieses Jahres in Toulon benutzt. Seitdem erschien diese Perspektive als eines der großen Projekte seiner Außenpolitik, und Präsident Sarkozy sprach Ende Oktober im marokkanischen Tanger und Anfang Dezember in Algier erneut von seinen Plänen für die "Mittelmeer-Union".
Real widerspricht man sich in Paris davon vor allem Chancen für eine neue wirtschaftliche Expansion, aber auch die Wiedererlangung von regional- und weltpolitischer Geltung - um den seit dem Ende seines Status als Kolonialmacht erlittenen Einflussverlust Frankreichs zu stoppen.
Inzwischen wurde aber auch bekannt, dass nicht länger nur Berlin, sondern auch Rom und Madrid sich diesen Plänen Sarkozys widersetzen. In ihrer Ausgabe vom vorigen Donnerstag berichtete die französische Wochenzeitung 'Le Courrier International', die Sarkozys Außenpolitik ein Titelthema widmete, dass Spanien und Italien sich um Kontakte untereinander bemühten, um Sarkozys Pläne zu konterkarieren.
Nationale Interessenpolitik scheint also der Hauptgrund für Nicolas Sarkozys Avancen an Gaddafi, aber auch seine vorsichtigen Bemühungen um ein Wiederanknüpfen enger Bande an Algerien – nach den jüngsten Polemiken zwischen beiden Ländern um die französische Kolonialvergangenheit – zu sein. Ideologische Motive erscheinen als absolut zweitrangig, und der französische Präsident kann mal den Neocon und den Demokratie-Apostel spielen, um sich als "Befreier der bulgarischen Krankenschwester" aufzuspielen, mal den nüchtern mit den vorhandenen Regimes kalkulierenden "Realisten". Noch aber ist völlig unsicher, ob aus diesem Streben nach neuem nationalem Glanz etwas wird: Die Nachbarn sind nicht begeistert, und Gaddafi erscheint denn doch gar zu unverlässig, um hauptsächlich auf ihn bauen zu können.