Zirkus Gaddafi und der große Sarkozy
Menschenrechte, Neokonservative, Schurken
Immerhin das Herzensproblem des französischen Staatspräsidenten ist gelöst. Am Montag und Dienstag vergangener Woche beherrschte die mutmaßliche Affäre des seit kurzem geschiedenen französischen Staatsoberhaupts mit der Sängerin Carla Bruni die Medienlandschaft des Landes. Nachdem die beiden am Wochenende zusammen über das Gelände von Euro-Disneyland bei Paris spaziert und den Fotographen nicht ausgewichen waren, scheint die Frage von 'Gala' - "Welche Frau für den Präsidenten?" - beantwortet. Das kommt wie gerufen, um nicht länger von politischen Inhalten zu reden, gar von Ereignissen aus den letzten Tagen, deren Bilanz für Nicolas Sarkozy eher peinlich ausfüllt.
Die satirische Puppensendung des französischen Fernsehsenders Canal Plus, 'Les Guignols de l'info', am Montag Abend dazu: "Jetzt ist Schluss mit den ganzen Morallektionen zum Gaddafi-Besuch. Wir haben einen Superpräsidenten! Der Beweis: Er ist mit Carla Bruni zusammen."
Denn über eine Feststellung sind sich die französischen Medien in zur selben Zeit so gut wie einig: Ihr Präsident hat eine "schreckliche Woche" hinter sich, versalzen durch einen Gast, der immer mehr zur Last wurde. "Vielen Dank und auf Wiedersehen" übertitelte die sozialdemokratische Pariser Tageszeitung 'Libération' ironisch ihre Wochenendnummer, mit einem Foto des im Laufe der vorausgegangenen Tage zunehmend ungeliebt gewordenen Staatsgasts.
"Der Führer (guide), den Sarkozy nicht vergessen wird" schlagzeilte die Pariser Abendzeitung 'Le Monde' ihrerseits in ihrer Sonntagsausgabe. Untertitel: "Es war eine Woche des Leidenswegs für den französischen Präsidenten (...)." Im ersten Satz legen die beiden Autorinnen des Hintergrundartikels Nicolas Sarkozy den laut gedachten Stoßseufzer in den Mund: "Endlich ist er weg."
Der da einen durchaus willkommenen Abgang machte, ist Libyens Staats- und "Revolutionsführer" Muammar Gaddafi, welcher seit dem 1. September 1969 ununterbrochen an der Spitze des nordafrikanischen Landes steht. Dieser tourt im Moment noch durch Europa: Nach einem Aufenthalt in Portugal, am Rande des EU-Afrika-Gipfels von Lissabon am vorletzten Wochenende, und einem fünftägigen Quasi-Staatsbesuch in Frankreich weilte er noch in Spaniens Hauptstadt Madrid. Dort traf er am Montag mit Premierminister José Luis Rodriguez Zapatero, und am Dienstag mit dem spanischen König Juan Carlos zusammen.
25 Milliarden Dollar
Unterdessen berechnete die in Paris erscheinende französisch-afrikanische Wochenzeitschrift 'Jeune Afrique' in ihrer Ausgabe vom vergangenen Montag, dass der reisende "Kaddafi Circus" den libyschen Staat horrende 25 Milliarden Dollar gekostet habe. Das Magazin listet folgende Posten auf: "Reisekosten für eine Kohorte von 300 bis 400 Personen, mehrere Flugzeuge im Einsatz, darunter zwei für den Transport gepanzerter Autos ", da Kaddafi darauf bestand, seine eigene Limousine – einen riesigen weißen Mercedes – dabei zu haben statt sich auf die Staatskarossen seiner Gastgeber zu verlassen. "Plus diverse Einkäufe, darunter einmal mehr zahlreiche Waffen, zivile und militärische Flugzeuge..."
Ökonomische Motive im Vordergrund
Niemand äußerte einen Zweifel daran, dass es vor allem wirtschaftliche Beweggründe waren, die Nicolas Sarkozy dazu bewegten, sich seinem als leicht unberechenbar geltenden Staatsgast mit Diva-Allüren gegenüber höchst zuvorkommend zu zeigen. Den Höhepunkt seines Aufenthalts in Paris sollte, ging es nach Präsident Nicolas Sarkozy, die Unterzeichnung von milliardenschweren Verträgen mit der französischen Wirtschaft bilden.
So drängten sich die Industrievertreter am Montag Abend vergangener Woche beim Kuskus-Essen mit Gaddafi im großen Festsaal des Elysée-Präsidentenpalasts: Anne Lauvergeon von Areva, dem Giganten der Nuklearindustrie; Gérard Mestrallet vom Suez-Konzern; Denis Ranque für die Metall- und Elektronikfirma Thales (ehemals Thomson); Charles Edelstenne vom Flugzeugbauer und Rüstungsproduzenten Dassault und Marwan Lahoud im Auftrag seines deutsch-französischen Konkurrenten EADS; Thierry Desmarest vom Erdölriesen Total.
Den Regierungspolitikern, oder jedenfalls einigen unter ihnen, schien die Chose hingegen eher relativ peinlich zu sein. Die für Menschenrechte zuständige, junge Staatssekretärin Rama Yade sprach ausgerechnet am "internationalen Tag der Menschenrechte", dem Jahrestag der Verabschiedung der Universellen Deklaration der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 -, davon, dass Frankreich "kein Fußabstreifer für Diktatoren (sei), die sich von ihren blutigen Missetaten reinigen wollen".
Dies brachte ihr erhebliche Popularität ein (81 % Zustimmung laut einer Umfrage), nachdem die Tochter eines senegalesischen Diplomaten zuvor eher wegen der Wirkungslosigkeit ihres Menschenrechtsengagements kritisiert worden war. Einige Wochen zuvor hatte sie etwa eine Diskussion über Ungerechtigkeiten im eigenen Land mit der Bemerkung "Ich kümmere mich um die Menschenrechte im Ausland" locker vom Tisch gewischt.
Außenminister Bernard Kouchner ließ seinerseits vermelden, dass ein "glücklicher Zufall" ihn dazu verpflichte, am selben Abend mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier zu speisen. Das Essen mit Gaddafi blieb also auch ihm erspart. Und der Umweltminister Jean-Louis Borloo – die Nummer Zwei in der Hierarchie des französischen Kabinetts, nach dem Premierminister François Fillon – war aus irgendwelchen Gründen unabkömmlich und bemühte sich nicht einmal darum, seine Abwesenheit zu entschuldigen. Vielleicht lag es ja an seinem Abstecher beim Klimagipfel in Bali. Alles in allem dauerte das offizielle Festessen nur 50 Minuten. Ein echter Rekord für einen Staatsempfang - in Sachen Kürze.
Auch wenn Kadhadi nicht offiziell auf Amtsbesuch mit Rang und Ehren weilte, so wurde sein Besuch doch während drei von insgesamt fünf Tagen als Staatsvisite eingestuft. Rote Teppiche wurden für ihn ausgerollt und die "Republikanische Garde" stand stramm vor Sarkozy und Gaddafi.
Die Heimkehr des verlorenen Sohns
Angesichts der Tatsache, dass rein wirtschaftliche, national-egoistische Beweggründe nicht hinreichend überzeugend erscheinen, um den Empfang für einen Autokraten in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, griff das Regierungslager zusätzlich auf eine weitere Begründung zurück. Es handele sich darum, die Rückkehr eines früheren Außenseiters der "internationalen Gemeinschaft" in den Rang der zivilisiert miteinander umgehenden Nationen durch einen symbolischen Akt zu krönen. Gaddafi wurde sozusagen als der verlorene Sohn, dessen Rückkehr es zu feiern gelten, präsentiert.
Unter anderem brachte es der französische Minister "für Einwanderung und nationale Identität" Brice Hortefeux auf den Punkt, der für die Sonntagsausgabe der Boulevardzeitung 'Le Parisien' interviewt wurde:
Was ist seit 2001 (Anmerkung d. Verf.: in Wirklichkeit seit Ende 2003) passiert? Gaddafi hat öffentlich auf den Terrorismus verzichtet und die Opfer des Anschlags von Lockerbie entschädigt. Er hat seinem Nuklear- und Chemiewaffenprogramm ein Ende gesetzt. Er hat die Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern erlaubt. Also stelle ich eine einfache Frage: Sollte man diese Entwicklungen ignorieren, auf die Gefahr hin, dass sie in Frage gestellt werden, oder sie ermutigen? Die Antwort liegt auf der Hand.
Bemerkenswert an dieser Aufzählung ist unter anderem, dass dem Minister – ebenso wie dem französischen Präsidenten in seinen Wortmeldungen vor ihm – hauptsächlich oder ausschließlich außenpolitische Entwicklungen Libyens, etwa in seinem Verhältnis zu den Ländern Europas, einfallen. Denn die politischen Verhältnisse in Libyen selbst haben sich nicht zum Besseren gewendet, seitdem Oberst Gaddafi im Dezember 2003 gegenüber den USA und Großbritannien feierlich auf die Herstellung, den Besitz und den Erwerb von ABC-Waffen verzichtet hat.
Grenzwächter für die Europäische Union an ihrer südlichen Mittelmeerflanke
Auch nachdem Gaddafi auf terroristische Akte gegenüber westlichen Staaten – wie in der Vergangenheit der Anschlag auf die Diskothek La Belle in Westberlin (1986), auf eine PanAm-Maschine über dem schottischen Lockerbie (1988) oder einen französischen UTA-Flieger im Luftraum über dem Saharastaat Niger (1989), deren Urheberschaft libysche Agenten verdächtigt wurden – verzichtet hat, sind die Verhältnisse in "seinem" Land nicht demokratischer oder weniger repressiv gestaltet.
Und in seinen Gefängnissen leiden weitaus eher mehr denn weniger Menschen als früher. Denn seit seiner Wiederannäherung an die westlichen Großmächte übernimmt nun auch die Rolle des Grenzwächters für die Europäische Union an ihrer südlichen Mittelmeerflanke.
Libyen ist der erste Staat, der sich derart direkt in das Migrations- und Sicherheitsregime der Europäischen Union an ihren Außengrenzen einbinden lässt. Italien schloss schon im Jahr 2000, als der nordafrikanische Staat noch unter UN-Embargo stand, ein Abkommen "zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität, Drogenhandel und illegaler Einwanderung".
Ein zweites Abkommen folgte im Jahr 2003, dem zufolge die italienische Republik nicht nur eine Hilfe bei der Ausbildung libyscher Polizisten zusichert, sondern auch die Finanzierung von Sammelflügen zur Abschiebung unerwünschter Immigranten aus dem nordafrikanischen Staat in ihre Herkunftsländer übernimmt. Dieses zweite Abkommen sieht auch die Einrichtung eines Lagers für Immigranten, deren Einreise in die EU nicht erwünscht ist, im Norden Libyens "in Konformität mit den Menschenrechten" vor.
Ein weiteres Abkommen wurde 2004 abgeschlossen, aber sein Text wurde nie veröffentlicht. Es wird jedoch vermutet, dass es eine Verpflichtung des libyschen Staates zur Rückübernahme von afrikanischen Emigranten, die über Libyen in Richtung EU weitergereist waren, beinhaltet.
Im selben Jahr wurden 5.688 Personen mit Sammelflügen nach Libyen abgeschoben, vorwiegend Ägypter, Ghanaer und Nigerianer. Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nie unterschrieben, und daher keinerlei daraus resultierende Verpflichtungen für den Schutz von Asylsuchenden oder politisch Verfolgten übernommen.
Anfang 2006 konnte der Direktor des italienischen Diensts für Nachrichtenwesen und Staatssicherheit libysche Haftanstalten für Abschiebehäftlinge besichtigen – und berichtete von "Ekel erregenden" Örtlichkeiten und haarsträubenden Zuständen. 650 Personen würden in Räumlichkeiten festgehalten, die für 100 ausgelegt seien, ohne ein Mindestmaß an Hygiene. Dennoch wird Libyen auch weiterhin, und intensiver denn je, in die europäische Migrationspolitik – insbesondere in die Abwehr unerwünschter Zuwanderer – eingebunden.
So sieht auch das Abkommen, das Nicolas Sarkozy bei seinem Aufenthalt in Tripolis am 25. Juli unterzeichnete, die Lieferung von Radarapparaten, Schnellbooten für die libysche Küstenwachen und anderen Geräten zur Grenzkontrolle und zum Aufspüren "illegaler" Migranten vor. Sarkozys damaliger Besuch fand aus Anlass der Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern und des bulgarisch-palästinensischen Arztes, die zuvor in libyscher Haft festgehalten worden waren, statt.