Zirkus Gaddafi und der große Sarkozy

Seite 2: Über Schurkenstaaten und: Wie Gaddaffi die europäische Frau retten will

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Ein Schurkenstaat ist ein solcher, so lange er westliche Interessen und/oder westliche Staatsbürger bedroht. Er ist dann kein Schurkenstaat mehr, wenn es zwar nicht-westlichen Staatsbürgern unter seiner Herrschaft noch wesentlich dreckiger ergeht als zuvor, aber man in Washington, Paris oder London zufrieden über die getroffenen Vereinbarungen nickt.

An den hier aufgezählten Punkten brauchte Gaddafi von Seiten seiner offiziellen Gastgeber keine Kritik zu erwarten, sondern konnte vielmehr auf stillschweigende Übereinstimmung rechnen. Und so konnte er sich den Luxus erlauben, in einer seiner – einander oft widersprechenden – Rollen den Ankläger seiner "Gastnation" zu spielen.

Gaddafi hielt so Frankreich und den übrigen EU-Ländern in einer Rede am Pariser Sitz der UNESCO am vorigen Dienstag vor, wenn man von den Menschenrechte spreche, dann müsse man sich auf die Frage stellen, "ob die Immigranten (hierzulande) diese Rechte genießen."

Er fügte hinzu: "Es gibt keinen Zweifel daran, dass der französische Bürger, der belgische Bürger, der britische Bürger in den Genuss dieser Rechte kommen. Aber dies gilt dies auch für die Einwanderer?" Darin hatte der Redner zwar im Prinzip Recht, gleichwohl war es im selben Moment auch Hohn, angesichts der Behandlung afrikanischer Migranten, die Libyen als Durchreisestation in Richtung Europa wählten.

Wortführer der Frauenbewegung

Am folgenden Tag hielt Gaddafi eine Ansprache vor 500 Frauen, viele davon afrikanischer Herkunft, in Paris. Einige von ihnen sollen dafür Geld erhalten haben, dass sie dem alternden libyschen "Revolutionär" applaudierten. Bei dieser Gelegenheit schwang Gaddafi, der in Paris mit seiner weiblichen Prätorianergarde – den "Amazonen", wie die Presse sie taufte – auftrat, sich zum Wortführer der Frauenbefreiung auf.

Er sprach davon, er wolle "die europäische Frau retten". Dieser Auftritt mag skurril erschienen sein, ebenso wie die widersprüchlichen historischen Bezüge, die Gaddafi in den folgenden Tagen hervorkehrte – als er sich sowohl als Fan der Französischen Revolution, als auch Ludwig XIV. (bei der Besichtigung des Versailler Schlosses) sowie Napoleons erkennen ließ. Eine innere Logik, die dies alles zusammenhält, suchte man wohl vergebens.

In der Folgezeit wurde Gaddafi freilich oft vorgeworfen, sich "über Frankreich lustig gemacht" zu haben, so etwa auch durch Außenminister Bernard Kouchner. Auch dies mag zutreffen, auch wenn die alternde Diva Gaddafi es vielleicht nicht einmal in voll bewusster Absicht getan hatte. Allerdings hält es Frankreich auch den Spiegel vor: So abwegig es ist, wenn Gaddafi die Rechte der Immigranten einklagt und ihre "Kollegen" zu Hause misshandeln lässt, so heuchlerisch ist zugleich die Kritik der EU-Regierenden an Menschenrechtsverletzungen in Libyen – sofern das Land, und seine Gefängnisse, zugleich als willkommene Stütze bei der Rücknahme unerwünschter Einwanderer behandelt werden. Der Eine hält hier dem Anderen den Spiegel vor…

Kritik aus unterschiedlichen Ecken

Die Kritik am roten Teppich, der in Paris für den exzentrischen Diktator aus Libyen ausgerollt wurde, kam aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Die parlamentarische Opposition, die Linksparteien sowie diverse Menschenrechtsorganisationen empörten sich – durchaus nicht unerwartet – über diesen "Empfang für einen Diktator", der einmal mehr beweise, dass Wirtschaftsinteressen über Menschenrechten stünden.

Libysche Oppositionelle konnten allerdings kaum Gelegenheit dazu finden, sich mit ihrer eigenen Kritik an die französische Öffentlichkeit zu wenden. Madghis Afulay, ein im marokkanischen Exil lebender libyscher Berber, erläutert gegenüber 'Jeune Afrique':

Ich war vorab nach Frankreich gekommen, um (Protestaktionen) bei der Polizeipräfektur anzumelden. Man schlug uns zunächst drei Orte vor. Und dann informierte man uns am 8. Dezember (Anm.: zwei Tage vor dem Eintreffen Gaddafis) darüber, dass die Kundgebung verboten sei. Wir haben daraufhin beschlossen, ein spontanes Sit-in zu veranstalten, was nicht genehmigungspflichtig ist. Vergebliche Mühe: Die Ersten, die am Trocadéro (Anm.: wo der Platz der Menschenrechte liegt) ankamen, wurden durch Polizeikräfte, die mit einem Wasserwerfer ausgestattet waren, zum Verlassen des Orts aufgefordert. 'Sie ließen uns nicht einmal zehn Minuten, um auf die Fragen der Presse zu antworten.' Am darauf folgenden Tag verteilen fünf Unbeugsame Flugblätter in unmittelbarer Nähe der Nationalversammlung. Mitten im Interview mit Journalisten wurden wir dazu aufgefordert, zu gehen. Ich war sehr erstaunt, dass die französische Polizei auf solche Weise die Arbeit der Presse behindern kann. (...) Sie hielten mich zu acht auf dem Boden fest. (...) Sie haben meine Flugblätter an sich genommen, und wir blieben in dem nahen Park, um mit den zahlreich anwesenden libyschen Agenten über Menschenrechte zu reden. Einer von ihnen schubste mich, dann schlug er mich in den Rücken. Bei dem Versuch, zurückzuschlagen, verletzte ich mich. Die Polizei kam und nahm uns mit.

Die parlamentarische Opposition in Paris ihrerseits boykottierte den Abgeordnetenempfang für Gaddafi. Der libysche Staatschef konnte einen Besuch am Amtssitz des Parlamentspräsidenten, der aufgrund seiner Geschichte als als "Tempel der Demokratie" gilt, absolvieren, zu dem rund 80 Abgeordnete geladen waren. Sozialdemokraten, Grüne, Kommunisten und Zentrumsdemokraten blieben ihm jedoch fern. Der amtierende Präsident der Nationalversammlung, Bernard Accoyer (UMP), leitete das Treffen, stellte jedoch mit einem Stoßseufzer fest: "Das Schlimmste konnte ich noch verhindern: eine Ansprache Gaddafis vor dem Abgeordnetenhaus..."

Aber auch aus der militant neokonservativen Ecke, und nicht nur von links und aus der bürgerlich-demokratischen Mitte, kam heftige Kritik. Auf dieser Seite sieht man sich von Nicolas Sarkozys Sprüchen aus der Zeit seiner Wahl, die sehr nach Übernahme der neokonservativen Rhetorik klangen, verraten.