Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren virtuellen Arzt oder Internet-Apotheker...

Die Krankenkassen drohen mit Erhöhung der Beiträge. Bisher untersagt das Arzneimittelgesetz die Online-Bestellung von Medikamenten, aber nicht zuletzt der Kostendruck im Gesundheitswesen wird die Legalisierung bewirken

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Die Diskussion um Arzneimittelhandel im Internet reißt nicht ab und die Signale mehren sich, dass sowohl die Kassen wie das Bundesgesundheitsministerium die kostengünstige Alternative des E-Versandhandels zulassen wollen.

Noch verbietet das deutsche Arzneimittelgesetz den Versandhandel von apothekenpflichtigen Medikamenten, aber aus Berlin kommen Signale, dass die Bundesregierung das ändern will und die bayerischen Betriebskrankenkassen haben angekündigt, ab September mit Internet-Apotheken ins Geschäft zu kommen.

Die neusten Signale aus Berlin zeigen Verhandlungsspielraum der Ärzteschaft gegenüber, das kollektive Arzneimittelbudgets mit Regressmöglichkeit wird zukünftig abgeschafft. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte auf dem Ostdeutschen Kassenärztetag am 18. Mai 2001: "An ihre Stellung treten gemeinsame Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen auf der Bundes- und Landesebene. Dabei sollen die Partner der Selbstverwaltung zukünftig Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele vereinbaren, die durch Zielvereinbarungen in den Regionen umgesetzt werden müssen. Dabei wird es zukünftig der Selbstverwaltung möglich sein, viel flexibler als der Gesetzgeber zu agieren."

Gleich protestierten die Krankenkassen und kündigten vergangene Woche in einem offenen Brief an die Gesundheitsministerin kommende Beitragserhöhungen an, wenn die Ärzte weiter so eifrig zum Rezeptblock greifen, wie sie es in den ersten Monaten des Jahres getan haben, nachdem klar war, dass die Kollektivhaftung fallen würde.

Alle sind sich darüber einig, dass das Gesundheitswesen in Deutschland zu teuer ist, die Frage ist nur, wo effektiv und ohne Beeinträchtigung des Patienten gespart werden kann. Die garantierte Preisbindung ist ein Schutz für die Umsätze der Apotheken, aber braucht es wirklich an jeder Ecke ein pharmazeutisches Fachgeschäft, um die optimale Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten? Sind 40% Apothekenaufschlag wirklich unentbehrlich für den deutschen Medikamentenhandel? In Großbritannien ist gerade der seit rund 30 Jahren geltende einheitliche Abgabepreises für rezeptfreie Arzneimittel juristisch zu Fall gebracht worden.

Doc Morris, die niederländische Internet-Apotheke, die ihren Service auch komplett in Deutsch offeriert, versandte die Produkte bis vor kurzem per Kurier in die Bundesrepublik. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat im April eine einstweilige Verfügung gegen Doc Morris bestätigt, die der Internet-Apotheke untersagt, nach Deutschland zu liefern.

Davor hatte das Landgericht Berlin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Verweis auf EU-Recht zurückgewiesen. Auch vor den Gerichten ist die letzte Runde der Auseinandersetzung noch lange nicht erreicht, denn es geht um viel Geld, dass sich mit den E-Apotheken verdienen lässt. In Europa soll der Gesamtumsatz aller Apotheken bei 200 Milliarden DM liegen, ein Riesenmarkt. In den USA, wo jeder Supermarkt auch Arzneien verkauft, werden bereits rund 13 Prozent aller Medikamente über das Internet vertrieben.

Das ist auch den Apothekerverbänden klar und zunehmend wird ihre ablehnende Haltung zumindest flexibler. Seit neuestem ist der Apothekerverband Nordrhein mit einem neuen Service online gegangen: neben der klassischen Auflistung aller Apotheken, ihrer speziellen Angebote und der Notdienste, gibt es dort jetzt auch die Möglichkeit, benötigte Arzneien online zu bestellen. Geliefert werden sie allerdings nicht, die Kunden müssen sie in der lokalen Apotheke abholen.

Ab September wollen die bayerischen Betriebskrankenkassen Verträge mit Internet-Apotheken abschließen, sie verhandeln bereits mit zwei ausländischen Unternehmen diesbezüglich und versprechen sich davon eine Kostenreduktion von durchschnittlich DM 30.- pro Patient im Monat. Hochgerechnet wären das jährlich 800 Millionen DM, die in ganz Deutschland eingespart werden könnten. Die Verbände der Apotheker erwägen eine Klage, die Betriebskrankenkassen haben angekündigt, dass sie die Frage dann auf europäischer Ebene klären lassen wollen.

Die Verbraucher wünschen sich die Zulassung des Arzneimittelkauf via Internet. Nach einer im Februar veröffentlichten repräsentativen Umfrage sind 89 Prozent der Befragten dafür, den Versandhandel mit Arzneien zu erlauben. Viele ordern heute schon Re-Importe in ihrer Apotheke, um günstiger an Medikamente mit gleicher Wirkstoffkombination zu kommen. Im Internet sind die Preise dann noch transparenter, weil vergleichen einfacher ist und es kann gemütlich vom heimischen Schreibtisch aus geordert werden.

Auf die Verbraucherinteressen berufen sich sowohl Gegner wie Befürworter des E-Medikamentenhandels. Nicht von der Hand zu weisen sind Bedenken gegen irreführende Gesundheitsinformationen, von denen es jetzt schon im Netz wimmelt. Der virtuelle Doktor ist vielen genauso unsympathisch wie der E-Apotheker und es gibt sicher berechtigte Zweifel, ob ein wesentlicher Teil der medizinischen Beratung virtualisiert werden kann. Aber es ist ja auch nicht die Rede von umfassender Diagnostik aufgrund eingescannter Werte oder von der Verschreibung kompletter Medikationen, ohne dass ein Arzt den Patienten gesehen hat.

Qualitätssicherung ist selbstverständlich gerade für medizinische und pharmazeutische Angebote im Web außerordentlich wichtig. Skandale der Vergangenheit wie das gesundheitsgefährdende gepanschte Viagra, das im Internet angeboten wurde oder die Todespillen als Online-Sterbehilfe, die einen Studenten aus Freising gerade vor den Richter brachten, zeigen nur einige der möglichen Abgründe. Die Verbraucherzentrale Baden-Württember) überprüfte Online-Apotheken und kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sie oft teurer waren als die normale Apotheke an der Ecke und dass man den Verbraucherschutz z.B. bei Reklamationen meistens vergessen kann.Dazu kommt das Risiko, dass der Zoll die Ware beschlagnahmt. In Sachen Beratungsqualität normaler Apotheken steht es aber auch nicht zum Besten:die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen testete im Februar und stellte fest, dass sie ebenfalls sehr mangelhaft war.

Dem mündigen Verbraucher wird es nicht erspart bleiben, Angebote im Internet zu prüfen, so wie er in allen anderen Bereichen des Geschäftslebens auch tut. Unseriöse Anbieter können online gefälschte Medikamente anbieten, die eine Gefahr für die Gesundheit sind. Für den Verbraucher muss erkennbar sein, welcher Internet-Apotheke er trauen kann. Dass aber der Bezug per Mausklick zu unreflektiertem Konsum von Pillen verführe, dass dann verstärkt Antibiotika, Hormone, Lifestyle-Medikamente oder Psychopharmaka sowie Schlankheits- und Wundermitteln aller Art konsumiert würden - so argumentieren die Gegner - ist eine eher seltsame Vorstellung. Tatsächlich gibt es eine steigende Tendenz zur Selbstmedikation, die aber vor allem in Zusammenhang mit der budgetierten Zurückhaltung der Ärzte steht, Medikamente zu verordnen. Nicht einmal jede dritte Arzneimittel-Packung (knapp 29 Prozent) wurde im Jahr 2000 auf Grund eines ärztlichen Rezepts verkauft. Die Eigenverantwortlichkeit des Patienten ist also längst gefragt.

Die Verbraucherverbände fordern inzwischen laut und deutlich, mit der Politik der Entmündigung aufzuhören und die Leute selbst entscheiden zu lassen, ob sie sich von einem Apotheker vor Ort beraten lassen oder doch ihr Aspirin und ihre Halstabletten online bestellen wollen. Nicht für jeden Arzneimittel-Kauf ist Beratung sinnvoll oder notwendig. Sicher wird es nötig sein, für Internet-Apotheken ebenso wie für andere Gesundheitsangebote Richtlinien und Gütesiegels für seriöse Informationen zu schaffen und das sollte auf europäischer Ebene geschehen. Aber sich einer Vertriebsform, durch die das Gesundheitssystem und der Verbraucher entscheidend sparen könnten, zu verweigern, nur weil sich auch schwarze Schafe online tummeln, macht keinen Sinn. Die Bundesgesundheitsministerin hat es auf der Messe Interpharm deutlich ausgesprochen: "Ähnlich strittig ist die Diskussion über den Kauf von Arzneimitteln über das Internet. Wir können aber keine Mauer um Deutschland ziehen. Tatsache ist, dass der Vertriebsweg Internet zunehmend attraktiver wird. Wenngleich die Bürgerinnen und Bürger dabei in Kauf nehmen müssen, dass sie keine qualifizierte Beratung erhalten."