Zwei Koalitionsverträge und ein Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sprechen sich die neuen Regierungsparteien gegen Netzsperren aus und in Nordrhein-Westfalen will der Innenminister die FDP-Blockade einer Totalprotokollierung der Telekommunikation über eine Bundesratsinitiative aushebeln
Als im April bekannt wurde, dass der Entwurfstext zum neuen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) eine Providerverpflichtung zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur enthält und der Grünen-Landesverband in Schleswig-Holstein deshalb in die Kritik geriet, empfahl der AK Zensur den künftigen Regierungsparteien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zur Vermeidung solch einer Einführung von Netzsperren durch die Hintertür klare Verbote in die damals gerade verhandelten Koalitionsverträge aufzunehmen.
In Baden Württemberg, so scheint es, hat man diesen Rat tatsächlich beherzigt. Auf Seite 69 des dortigen Koalitionsvertrages heißt es nämlich: "Das Sperren von Internetseiten lehnen wir ab und vertreten stattdessen das wirksamere und effizientere Prinzip 'Löschen statt Sperren'." Und auf Seite 77 verlautbaren SPD und Grüne:
Wir begreifen den Zugang zum Internet als Bürgerrecht. Medienkompetenz, informationelle Selbstbestimmung und ein umfassender Daten- und Verbraucherschutz sind ebenso Grundlage unserer Netzpolitik wie die Ablehnung aller Versuche, Zensur- und Kontrollinfrastrukturen für das Netz zu schaffen. Mit den Stimmen oder gar auf Initiative dieser Landesregierung wird es daher keinen Aufbau einer Zensur-Infrastruktur für das Internet geben. Im Zweifel gilt der Grundsatz: Löschen statt sperren.
Auf Seite 59 heißt es allerdings auch, dass man sich für ein staatliches Glücksspielmonopol "einsetzen" werde und den Glücksspiel-Staatsvertrag erhalten wolle. Blogger wie Swen Wacker sehen darin einen Widerspruch, der allerdings dann nicht gegeben sein muss, wenn Baden-Württemberg im Zusammenwirken mit anderen Bundesländern eine Streichung der Netzsperr- und Domainenteignungsklausel im Staatsvertrag erwirkt. Das jedoch ist - trotz eines anderslautenden Gerüchts - bis jetzt noch nicht geschehen.
Außerdem müssen beim GlüStV mindestens 13 Länder mitmachen. In Schleswig-Holstein sperren sich FDP und CDU gegen die aktuelle Fassung und in Bremen kündigte der Landesverband der Grünen an, Netzsperren nicht durch diese Hintertür zulassen zu wollen. Verweigert sich auch Baden-Württemberg gemäß des neuen Koalitionsvertrages, dann würde nur noch Rheinland-Pfalz fehlen, um den Aprilentwurf des Staatsvertrags zu Fall zu bringen.
Tatsächlich enthält auch der am Freitag vorgestellte Mainzer Koalitionsvertrag auf Seite 91 nicht nur ein (angesichts der Nähe von SPD und Grünen zur Gewerkschaft Verdi überraschend klares) Bekenntnis zur Netzneutralität, sondern auch den Satz: "Wir lehnen Netzsperren jedweder Art entschieden ab und treten für den Grundsatz "Löschen statt Sperren" ein". Pia Schellhammer, die Ansprechpartnerin für Netzpolitik bei den rheinland-pfälzischen Grünen, erklärte dazu in ihrem Blog: "Auch im Entwurf eines neuen Glücksspielstaatsvertrags sind nach derzeitiger Kenntnis Netzsperren enthalten, die wir aufgrund der oben genannten Festlegung, ablehnen werden".
Allerdings heißt es im rheinland-pfälzischen Koalitionsvertrag auch, dass man sich "zu den Zielen des Jugendmedienschutzstaatsvertrages" bekenne, der ebenfalls Netzsperren erlaubt. Und die Formulierung, dass man "die Aktivitäten von jugendschutz.net […] ausbauen" will, könnte in dem Bundesland, in dem Ministerpräsident Kurt Beck nach dem Scheitern eines maßgeblich von seinem Staatskanzleichef Martin Stadelmaier verantworteten Verschärfungsentwurfs ankündigte, man müsse nun die ältere Fassung durch den Einsatz von Sperrverfügungen ausreizen und in dem die SPD-Landesgeneralsekretärin Heike Raab im Wahlkampf Netzsperren zu Jugendschutzzwecken für gerechtfertigt erklärte, durchaus bedeuten, dass man die bisher eher theoretisch gegebenen Möglichkeiten zu praxisrelevanten umbauen möchte.
Dass es [zensiert] bei den Grünen starke Kräfte gibt, die [zensiert], bewies unlängst Tabea Rößner, die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Sie meinte öffentlich [zensiert].
Auch der nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag enthält auf Seite 80 die Sätze "für verbotene Inhalte gilt das Gebot 'Löschen statt Sperren'" und "wir wenden uns gegen jede digitale Bevormundung und gegen jede Form der Zensur". Trotzdem versucht die Düsseldorfer Bezirksregierung derzeit gerichtlich die Telekom und Vodafone zu Sperren der Glücksspielangebote Tipp24 und BWin zu zwingen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger von der SPD plant dem Spiegel zufolge sogar eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Abgesehen vom neuen Namen "Mindestdatenspeicherung" scheint sich Jägers Vorhaben, bei dem unter anderem IP-Nummern und Zugangszeiten aller Bürger ein halbes Jahr aufbewahrt werden sollen, wenig von dem zu unterscheiden, was das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr verbot. Auch hinsichtlich einer Einschränkung des Deliktkatalogs auf Terrorismus und Gewaltverbrechen darf man sich wahrscheinlich nicht allzu viele Hoffnungen machen - schließlich brachte Jägers Parteifreundin Brigitte Zypries beim ersten Totalspeicherungsversuch das Kunststück fertig, "schwere Straftaten" als solche zu definieren, die mittels Telekommunikation begangen werden, und der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy erklärte im letzten Jahr allen Erstes, man solle die Vorratsdatenspeicherung einsetzen, um den Besteller einer ihm angeblich unverlangt zugesandten Plastikvagina zu ermitteln.
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