Zwischen Fatalismus und Illusion: Wie unsere Zukunft human bleibt

Seite 2: Der Mensch und die KI: Jedes Jahr zehn wichtige Megatrends erkennen

Zum Beispiel?

Roland Benedikter: Wir sollten zum Beispiel jedes Jahr die zehn wichtigsten Megatrends neu erkennen können, und darauf aufbauend auch die 50 wichtigsten Möglichkeiten- und Chancenräume für uns identifizieren können.

Hier müssen wir globale Trends mit lokalen Anforderungen und Möglichkeiten abstimmen und sie einander anpassen. Das kann nicht nebenbei geschehen, sondern ist aktive Zukunftsarbeit, die Orte haben muss, sich vernetzt und auch etwas kostet.

Was bedeutet das für das Bildungssystem?

Roland Benedikter: Weil Zukunft immer schneller, umfassender und tiefer einbricht, brauchen wir eine neue, deutlich umfassendere Spezialisierung auf Zukünfte in unserem Bildungssystem. Man spricht in diesem Zusammenhang heute quer durch alle Bereiche und immer breiter von Zukunftskompetenz – sowohl auf das Ganze wie auf seine Teile bezogen.

Es geht insgesamt um die Einsicht in multiple Zukünfte. Das sollte nicht (nur) im Elfenbeiturm erfolgen, sondern ein gesellschaftlicher Prozess sein.

Auffallend ist: Sie verwenden Zukunft meist nicht in der Einzahl, sondern im Plural.

Roland Benedikter: Und zwar ganz bewusst, weil uns die heutige Zukunftswissenschaft zeigt, dass es – mehr denn je – nicht nur eine, sondern viele Zukünfte gibt. Es gibt verschiedene Zukünfte für verschiedene Menschen, aber zunehmend auch für nicht menschliche Akteure wie die Natur: einschließlich Steine, Pflanzen und Tiere.

Es geht der heutigen Zukunftswissenschaft aber auch darum zu verstehen, wie unsere Vorstellungen von Zukunft entstehen, durch welche ideologischen Überzeugungen sie möglicherweise beeinflusst sind. Und wie man sie zum Vorteil aller gemeinsam miteinander aushandeln und weiterentwickeln kann.

Haben wir auf die Zukunft, die uns erwartet, gar nicht so viel Einfluss, wie wir meinen?

Roland Benedikter: Ja und nein. Es geht nicht darum, ob, sondern wie wir Einfluss auf die "vielen neuen Zukünfte" nehmen wollen. Oder wie es auf der Konferenz in Dubai zusammengefasst wurde: Es geht nicht mehr darum, "die" Zukunft zu beherrschen.

Denn das wird immer weniger möglich sein. Die Zukunft besteht aus zu vielen Zukünften zugleich. Wir können nicht mehr alle aufeinander abstimmen oder gar hierarchisch in eine einzige Logik integrieren. Stattdessen sollten wir die Ungewissheit akzeptieren, sie umarmen, um mit ihr zu leben. Damit ist im Idealfall ein Mentalitätswandel verbunden.

Also eine neue Zukunftsmentalität?

Roland Benedikter: In Maßen, ja. Wir sollten nicht uns nicht darauf beschränken, kurzfristig vorauszuplanen – also "now-ists" sein, wie das auf dem Kongress die Futuristin Amy Webb nannte –, und auch nicht darauf, nur mögliche Zukunftsszenarien zu entwerfen.

Sondern wir sollten, als Drittes, schon im Hier und Jetzt auf sich abzeichnende Zukunftsprozesse vor-reagieren und mit ihnen in unserer jetzigen Lebenssituation arbeiten. Wir Zukunftswissenschaftler nennen das die Ergänzung von Planen und Vorausschauen um Vorwegnehmen.

Was heute global entsteht, ob das gewollt ist oder nicht, ist eine Gesellschaft des Vorwegnehmens: eine Gesellschaft der Antizipation. Antizipation tritt immer stärker an die Stelle von Kontrolle. Damit kann gesellschaftlicher Fortschritt in eine liberalere Gesellschaft verbunden sein, wenn Regierungen das zulassen.

Zukunftsforschung zwischen Fatalismus und übertriebener Erwartung

Das klingt nach einer grundsätzlich positiven Vision.

Roland Benedikter: Ja, und zwar ganz bewusst. Wie beim Museum der Zukunft in Dubai sollte es auch bei uns um die Schaffung eines "Zuhauses der optimistischen Imagination" gehen – ungeachtet aller Unterschiede, die uns von Dubai in demokratischer Hinsicht hoffentlich auch weiterhin unterscheiden.

Wie auf der Konferenz deutlich wurde, herrschen heute zwei Haltungen im Zukunftsbereich vor: Fatalismus und übertriebene Erwartungen. Wir müssen über beide hinaus in die Mitte: im Umweltbereich, im Technologiebereich, im Gemeinschaftsbereich.

Die Rednerin Angela Wilkinson fasste das so zusammen: Wir brauchen eine "neue Mittelbewegung", die auf das schaut, was sowohl wünschenswert als auch realistisch ist.

Wir brauchen einen "realistischen Optimismus". Er ist Europa in den vergangenen Jahren ein wenig abhandengekommen. Wir sollten ihn zurückholen, besser: neu fassen. Dazu muss die Jugend unbedingt einbezogen werden.

Wo zeichnen sich im Ausblick die größten Umbrüche ab?

Roland Benedikter: Laut vielen Experten vor allem in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Quantencomputing. Sie werden in ihrer Verbindung die Art und Weise revolutionieren, wie wir die Welt überhaupt erleben und verstehen.

Wir werden übergehen von einer Welt der Linearität, Nachzeitigkeit und Abfolge des Verschiedenen zur geleeartigen Gleichzeitigkeit des Vielen. Reale und virtuelle Welten werden verschmelzen.

Und das Nicht-Menschliche wird schon bald ähnlich intelligent wie der Mensch werden. Gemeinsam erzeugt das eine neue Welt, in der wir Menschen unsere Stellung neu definieren werden müssen. Das wurde in Dubai in praktisch allen Beiträgen deutlich.

Diese neue Welt klingt verlockend und bedrohlich zugleich.

Roland Benedikter: Es werden sich viele Fragen stellen. Zum Beispiel: Wird Demokratie durch KI und Quantencomputing eher gestärkt oder geschwächt? Und: Kann es für die anstehenden Veränderungen überhaupt eine angemessene Wissenschaft von der Zukunft geben – wenn die Zukunft, im Gegensatz zu allen anderen wissenschaftlichen Gegenständen, eben dadurch gekennzeichnet ist, dass sie gar nicht existiert?

Ein Beispiel für die positive Auseinandersetzung mit diesen Fragen sind zwei große Ansätze, die gerade global entstehen: das Konzept der Zukunftsbildung der Unesco (Futures Literacy) und der Ansatz des vorwegnehmenden Innovations-Regierens der OECD (Anticipatory Innovation Governance). Die beiden ergänzen einander gut und arbeiten in der Realität auch zusammen.

Im Kern geht es darum, dass nicht nur ein paar helle Köpfe in Zukunftsfragen mitreden und diese gestalten können. Sondern dass die Bürgerinnen und Bürger, darunter vor allem die Jugend, durch Bildung und Partizipation dazu befähigt werden. Technologie mit Demokratie und Bildung zu verbinden, wird zur zentralen Herausforderung.

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