Zwischen Korruption und Stahlgewittern

Seite 2: „I’m a pretzel“

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Alexander Mackendrick, ein in Schottland aufgewachsener Amerikaner, hatte für die britischen Ealing Studios schwarze Komödien wie The Man in the White Suit (1951) und The Ladykillers (1955) inszeniert, war nach der Pleite der Firma auf Arbeitssuche nach Hollywood gekommen und von der HHL als Regisseur von The Devil’s Disciple engagiert worden, einer Verfilmung des Stücks von George Bernard Shaw. Nach Lehmans Ausscheiden boten ihm die Partner an, zuerst Sweet Smell of Success zu drehen. Das war einer der vielen Glücksfälle, die zu einem erstklassigen Film führten. Ein anderer war die durch Mackendrick angeregte Verpflichtung von Clifford Odets.

Odets, einer der wichtigsten US-Dramatiker der 1930er (Waiting for Lefty) und damals KP-Mitglied, hatte Anfang der 1950er mit dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten kooperiert und durfte zur Belohnung weiter Drehbücher für Hollywood schreiben. Die Filme, die dabei herauskamen, waren meistens enttäuschend. Als er das von Lehman zurückgelassene Manuskript bearbeitete, lief er zu alter Form auf, obwohl (oder weil?) er erst kurz vor Drehbeginn angeheuert wurde und unter großem Druck arbeiten musste. Tony Curtis zufolge saß er am Times Square zwischen Requisiten und technischer Ausrüstung in einem Lastwagen und tippte Sätze in die Maschine, die die Schauspieler gleich danach zu sprechen hatten. Odets schrieb brillante Dialoge, die in Mad Max und Rain Man genauso zitiert werden wie in Boogie Nights und den Simpsons. Ein Charakter in Barry Levinsons Diner kommuniziert ausschließlich in Form von Odets-Dialogen aus Sweet Smell of Success.

Eine Auswahl:
„I’d hate to take a bite outta you. You’re a cookie full of arsenic.” ... „Son, I don’t relish shooting a mosquito with an elephant gun, so why don’t you just shuffle along?“ ... „A press agent eats a columnist’s dirt and is expected to call it manna.” ... „The next time you want information, don’t scratch for it like a dog, ask for it like a man!” ... „My right hand hasn’t seen my left hand in thirty years.” ... „Come back, Sidney, I want to chastise you.” ... „Mr. Hunsecker, you’ve got more twists than a barrel of pretzels!” ... „I love this dirty town.” ... „It’s a dirty job, but I pay clean money for it.” ... „The cat’s in a bag and the bag’s in a river.” ... „He’s got the morals of a guinea pig and the scruples of a gangster.” ... „Here’s mud in your column!” ... „Starting today, you can play marbles with his eyeballs.”... „If you’re funny, Walter, I’m a pretzel! Drop dead!”… „This syrup you’re giving out with, you pour over waffles, not J. J. Hunsecker.”

Elmer Bernstein schrieb die hervorragende Musik und stand wie einige andere der Mitwirkenden auf der schwarzen Liste, die im Hollywood der unabhängigen Produzenten (Hecht-Hill-Lancaster, Otto Preminger, Kirk Douglas) zunehmend an Bedeutung verlor. Dasselbe gilt für die Production Code Administration, die Einrichtung zur Selbstzensur der Industrie. Im Juli 1956 reichte die HHL Lehmans Geschichte zur Begutachtung ein. Die PCA verlangte Hinweise darauf, dass Polizeikorruption nicht das Problem des gesamten Apparats sondern einzelner Beamter sei, die ihrer gerechten Strafe nicht entgehen würden. Völlig inakzeptabel war für die Zensoren jeder Hinweis darauf, dass Hunseckers Liebe zu seiner Schwester etwas mit Inzest zu tun haben könnte, das Auftauchen von Marihuana-Zigaretten und der Schluss mit einem nicht gesühnten Mord. Das ehemalige Mordopfer wird im Film verprügelt, aber nicht unbedingt totgeschlagen. Der Rest blieb unverändert. Die HHL fragte die PCA höflich nach deren Wünschen, um diese dann zu ignorieren.

Große Teile des Films wurden auf den Straßen von New York gedreht, viele davon in der Nacht. James Wong Howe, einer der besten und vielseitigsten Kameramänner Hollywoods, steuerte von der damaligen Street Photography inspirierte Bilder bei, die so stilisiert sind, dass es schon wieder „realistisch“ wirkt. Dieser Hyperrealismus findet seine Entsprechung in den messerscharfen Dialogen von Odets. So wie J. J. Hunsecker und Sidney Falco redet im echten Leben kein Mensch. Diese fein ziselierten Ornamente des Zynismus sind Odets’ Antwort auf den Kolumnenstil von Walter Winchell.

Der Sohn von Ali Baba mag nicht mehr

Der Film beginnt mit einer Reihe von Provokationen. Es geht los mit Lehmans ursprünglichem Titel, den der Cosmopolitan kategorisch abgelehnt hatte: Sweet Smell of Success. Der Erfolg, im Hollywoodfilm üblicherweise etwas unbedingt Erstrebenswertes, hat hier den süßlichen Geruch von Unrat und von Leichen. Zum Gangsterjazz von Elmer Bernstein wird in Manhattan eine neue Nummer des Globe ausgeliefert. Das ist die Zeitung, für die Hunsecker seine Kolumne schreibt. Die Werbung auf der Plane des Lastwagens zeigt nur die Augenpartie und seine Brille. Das sind die Augen des Spions, der in das Privatleben anderer Menschen eindringt und sich dabei selbst bedeckt hält, oder auch des Reptils, das auf ein Opfer lauert. Spätere Szenen mit Burt Lancaster werden so ausgeleuchtet sein, dass die Brille Schatten wirft. Das macht Hunsecker noch sinistrer.

Ein junger Mann kauft in der klaustrophobischen Enge von Manhattan eine Zeitung und wirft sie enttäuscht weg, nachdem er die Klatschkolumne überflogen hat. Das ist Sidney Falco (Tony Curtis), der Presseagent. Im Auftrag Hunseckers sollte er für das Ende der Beziehung zwischen dessen Schwester Susan und dem Gitarristen Steve Dallas sorgen. Das ist ihm nicht gelungen. Zur Strafe erwähnt Hunsecker Sidneys Klienten nicht mehr in der Kolumne. Sidney bringt das ein unangenehmes Telefonat mit einem seiner Kunden ein. Dabei erfahren wir das Wesentliche über den Beruf des Presseagenten, der in den USA erfunden wurde.

Sweet Smell of Success

Carl Laemmle, Gründer der Universal, warb 1910 der Konkurrenzfirma Biograph den Publikumsliebling Florence Lawrence ab und köderte die bis dahin nur als „The Biograph Girl“ bekannte Schauspielerin mit dem Versprechen, im Vorspann ihren Namen zu nennen. Das „Biograph Girl“ oder den „Tramp“ konnte man zur Not durch andere Darsteller verkörpern lassen (wie den Schimpansen in den Tarzan-Filmen), aber Florence Lawrence und Charlie Chaplin waren nicht austauschbar. Das gab ihnen mehr Einfluss und führte zu höheren Gagen. So entstand das Starsystem. Damit die Stars noch bekannter wurden, gab es sehr bald die ersten Presseagenten. Diese hatten schnell einen so miserablen Ruf, dass 1913 eine Gesetzesinitiative eingebracht wurde, um die anrüchige Profession zu verbieten. Als die Initiative im Kongress scheiterte, war sie nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Falco, sagt der Klient nun also, ein Barbesitzer, werde dafür bezahlt, dass er sich Geschichten ausdenkt, die ihn und sein Etablissement in die Zeitung bringen. Das habe er nicht gemacht. Er sei nicht nur beruflich ein Lügner (so etwas ist okay und gehört zur Job Description), sondern auch persönlich. Das ist eines der Themen des Films. Wo verläuft die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, wann und wie verändern der Beruf und das, was man für die Karriere tut, den Charakter? Und was, könnte man mit Blick auf die Wulff-Affäre noch fragen, unterscheidet einen Agenten von einem Pressesprecher? Das, was man über die Aktivitäten von Olaf Glaeseker so mitbekommt, lässt eher auf einen PR-Berater schließen, der dafür sorgt, dass sein Klient mit schönen Bildern und sympathischen Geschichten in den Medien präsent bleibt. Bezahlt wurde er aber als Pressesprecher der Landesregierung und dann des Bundespräsidialamts, falls ich das richtig verstanden habe. Kein Wunder, dass in seinem Sprecherbüro in Hannover keine Akten gefunden wurden, als er mit Wulff nach Berlin umzog.

Sweet Smell of Success

Akten hat auch Sidney Falco nicht. Tony Curtis hatte man so noch nie gesehen. Er war durch Rollen in den „Sand-und-Busen-Filmen“ der Universal, wo er als Ritter oder Sohn von Ali Baba oder Nachfolger von Scarlet Pimpernel die vorzugsweise großbusige Heldin vor den Bösen rettete, zu einem der populärsten Hollywoodstars geworden, und der Schwarm der Teenager. Als Sidney Falco brach er mit seinem Image als Liebling der Nation. Das war mutig. Die erste Szene in Falcos Wohnbüro ist programmatisch. Falco hat eine Sekretärin, Sally, die ihn heimlich liebt, ihn trösten will und mit schneidender Stimme zurückgewiesen wird. Er wolle nicht in ihre mehligen Arme genommen werden, sagt Sidney (in der deutschen Synchronfassung, die sich redlich müht, den Dialog etwas abzuschwächen, sind es die „mütterlichen Arme“). Dann gibt er diese Selbstbeschreibung:

Ich bin kein Held. Ich bin nett zu Leuten, wenn es sich auszahlt, nett zu sein. Draußen vor der Tür mache ich das schon genug, also erwarte nicht, dass ich es auch noch in meinem eigenen Büro mache. […] Hunsecker ist die goldene Leiter, die mich da hinbringt, wo ich sein will.

„Wohin willst du denn?” fragt Sally. Antwort:

Ganz weit nach oben, Sal, wo es immer eine sanfte Brise gibt. Wo keiner mit den Fingern schnippt und sagt: „Hey, Kleiner, bau mal die Billardkugeln auf!“, oder: „Hey, du Maus, lauf schnell raus und hol mir eine Schachtel Kippen!“ Ich will kein Trinkgeld aus der Spielkasse. Ich spiele das große Spiel, mit den großen Spielern. Meine Erfahrung kann ich dir in drei Worten sagen, und das habe ich auch nicht in einem Traum geträumt: Jeder gegen jeden. Kurz gesagt: Von jetzt an ist von allem das Beste gut genug für mich.

Der Sohn von Ali Baba würde so etwas nie sagen, nicht einmal denken. Die Rolle der Sekretärin hätte man, wie üblich, mit dem mütterlichen Typ (und solchen Armen) besetzen können. Nicht in diesem Film. Sally ist so jung wie die größten Fans von Tony Curtis. Für die Teenager, die eine Kinokarte gekauft hatten, um ihr Idol zu sehen, muss das ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Wir zeigen euch die Welt so wie sie ist, sagt der Film. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Mann mit vierzig Gesichtern

Sidney Falco ist ein Aufsteiger und entschlossen, alles mitzunehmen, was er kriegen kann. Doch jetzt hat ihm Hunsecker, der Kolumnist vom Boulevard, seine Gunst entzogen. Die muss er zurückgewinnen. Also geht er los, um sich bei ihm einzuschleimen. Sally meint, er solle einen Mantel anziehen. „Um bei jeder Garderobe in der Stadt ein Trinkgeld dazulassen?“ erwidert er. Damit wissen wir, warum Sidney Falco ohne Mantel durch kalte New Yorker Winternächte geht. Es ist schwer, sich in der Welt der Reichen und der Glamourösen zu bewegen und von allem das Beste haben zu wollen, wenn man das Geld, das für andere „Peanuts“ ist, zweimal umdrehen muss, weil man aus einfachen Verhältnissen kommt.

Sweet Smell of Success

Von Hunsecker sehen wir zunächst nur die Augen in der Globe-Reklame. Nach zwanzig Minuten hören wir erstmals seine Stimme: „Du bist tot, mein Sohn“, sagt er zu Sidney am Telefon, als habe man diesen schon umgebracht. „Lass dich begraben.“ Odets’ Dialoge sind mit verbalen Gewalttätigkeiten durchsetzt. Sie sind die Entsprechung zur gewalttätigen Sprache in Winchells Kolumne und geben Aufschluss darüber, was im Kopf von Leuten vor sich geht, die solche Sachen sagen. Sweet Smell zeigt, wie wenig es braucht, damit die Gewalt in der Sprache auf reale Handlungen überspringt. Und die strukturelle Gewalt ist sowieso immer da. Mackendrick hätte gern den zierlichen Hume Cronyn als den Kolumnisten besetzt. Das wäre vielleicht kein schlechter, aber ein anderer Film geworden. Durch Lancasters physische Präsenz wird das Bedrohliche der Figur auch körperlich sichtbar. Der Kolumnist verletzt mit Worten wie Gangster mit Fäusten und Pistolen.

Hunsecker residiert nicht im Stork Club wie Winchell, sondern im „21“-Club, der originalgetreu nachgebaut wurde. Da nimmt er die Anrufe seiner Zuträger entgegen. An seinem Tisch sitzen die Blondine Linda James, ihr Manager Manny Davis und der Politiker Harvey Walker, als Sidney kommt. Linda will Sängerin werden und trägt, wie Hunsecker bemerkt, ein teures Designerkleid. Das wirft die Frage auf, wie sich die Blondine das leisten kann? J. J. wird noch darauf zurückkommen. Walker kennt Hunsecker, seit er Kongressabgeordneter war. Freundliche Erwähnungen in der Kolumne haben ihm dabei geholfen, zum Senator aufzusteigen. Damit das auch so bleibt, hat er Hunsecker gerade eine Geschichte über einen Richter am Supreme Court erzählt. Walker will von Sidney wissen, ob er Schauspieler sei, und Linda ergänzt: weil er so hübsch aussieht. Damit ist die bisherige Karriere von Tony Curtis gut zusammengefasst: Er war Schauspieler, weil er so ein hübsches Gesicht hatte. Als Sidney Falco legt er eine grandiose Leistung hin und beweist, wie gut er sein konnte, wenn man ihn forderte.

Sweet Smell of Success

Tony Curtis und Burt Lancaster stießen mit Sweet Smell, unterstützt vom genauen Beobachter Alexander Mackendrick, in Bereiche vor, in denen sie bisher nicht gewesen waren. Die ätzende Szene im „21“-Club ist ein Bravourstück. Hunsecker und Falco haben nebeneinander Platz genommen, Falco leicht nach hinten versetzt. Jetzt ist es an Hunsecker, eine Beschreibung des Presseagenten zu geben:

Mr. Falco, lassen Sie es mich gleich sagen, ist ein Mann mit vierzig Gesichtern, nicht einem – keines davon allzu hübsch, und alle trügerisch. Sehen Sie dieses Grinsen? Das ist das Reizender-Gassenjunge-Gesicht. Es ist Teil seiner Hilflos-Nummer: er liefert sich einem auf Gnade und Ungnade aus. Er hat ein halbes Dutzend Gesichter für die Ladies. Aber das, das ich wirklich mag, das wirklich gerissene, ist der aufgeweckte, verlässliche Typ. Nichts, was er in der Not nicht für dich machen würde – sagt er wenigstens. Mr. Falco, den ich nicht eingeladen habe, heute Abend an diesem Tisch zu sitzen, ist ein Presseagent und kennt alle Tricks seines sehr schleimigen Gewerbes.

Während dieses Monologs sehen wir zwei erstklassigen Schauspielern dabei zu, wie sie miteinander agieren, ohne sich dabei anzuschauen. Dann treffen sich ihre Blicke. „Gib mir Feuer, Sidney“, sagt Hunsecker, um Falco weiter zu erniedrigen. Falco hat versucht, ein überlegenes Lächeln oder zumindest ein schmieriges Grinsen aufzusetzen. Er ist flehend und unterwürfig, aber doch nicht zu sehr, denn er hat eine Information über Hunseckers Schwester Susan, die für diesen wichtig ist. Darum traut er sich und sagt: „Jetzt gerade nicht, J. J.“ Dafür muss jemand büssen. Hunsecker demonstriert an Senator Walker die alte Weisheit, dass ein guter Ratschlag ein Schlag sein kann und empfiehlt seinem Freund (eine dieser auch vom Bundespräsidenten gepflegten Zweckfreundschaften), sich von Manny Davis fernzuhalten, dem Manager der Blondine:

Das ist kein Mann für Sie, Harvey, und Sie sollten sich in der Öffentlichkeit nicht mit ihm sehen lassen. Denn das gehört auch zum Leben eines Presseagenten: Sie graben Skandale über Prominente aus und schaufeln sie Schicht für Schicht den Kolumnisten zu, die es drucken.

Der Senator kämpft um einen Rest von Würde. Er verstehe die Anspielung nicht, erwidert er, und dann fragt er: „Warum klingt alles, was Sie sagen, wie eine Drohung?“ Hunsecker wird deutlicher:

Vielleicht ist das nur meine Art – weil ich Freunden nicht drohe, Harvey. Aber warum liefern Sie Ihren Feinden die Munition. Sie sind ein Familienmensch. Eines Tages, so Gott will, möchten Sie vielleicht Präsident werden. Und jetzt sitzen Sie hier, Harvey, in der Öffentlichkeit, wo jeder, der sich auskennt weiß, dass der da [Manny der Agent] die da [Linda die Blondine] für Sie mit sich herumschleppt. Sind wir Kinder oder was?

Im Klartext: Linda ist die neue Frau im Leben von Senator Walker. Weil Linda aber trotz Designerkleid eine gesellschaftlich weit unter ihm stehende Blondine ist, und weil er schon verheiratet ist, hat er Manny Davis angeheuert. Manny soll den Eindruck erwecken, dass Linda zu ihm gehört, wenn sie mit dem Senator durch die Clubs zieht. Und um sie ebenbürtiger zu machen, damit sie ihm vielleicht sogar nützt, statt ihm zu schaden, soll sie als Sängerin selbst zum Promi werden – zum Beispiel, indem Hunsecker in seiner Kolumne schreibt, dass sie gut singen kann, wofür ihm Walker das Geheimnis des Richters erzählt, von dem er durch sein Senatorenamt erfahren hat.

Sweet Smell of Success

Aber Hunsecker lehnt das ab und empfiehlt seinem „Freund“, sich von Linda und ihrem Manager zu trennen, weil er damit nicht durchkommen wird (die Zweitehe mit einer Jüngeren überstand die Karriere eines Politikers in den 1950ern selbst dann nicht, wenn die Boulevardpresse jubelte – das war die Art von „Anstand“, der man keine Träne nachzuweinen braucht). Der Senator ist bedröppelt wie ein kleiner Junge und sagt brav Danke. Zur Belohnung darf er demnächst in Hunseckers Fernsehsendung kommen, und die Rechnung muss er auch nicht zahlen. Das übernimmt der Club, den Hunsecker in seiner Kolumne bald wieder loben wird; vielleicht in derselben Ausgabe, in der er den Richter mit dem vom Senator gelieferten Dreck bewirft. Die Rechnung für Speisen und Getränke ist bestimmt viel niedriger als – sagen wir – 3000 Euro für ein paar Kochbücher. Wer daran Anstoß nimmt, ist ein Kleingeist oder ein Spießer, oder gar ein Hartz-IV-Empfänger, für den solche Beträge keine Lappalie sind.

Ein wenig Vertrauen eingebüßt

So vermischt sich das Private mit dem Politischen und mit dem Finanziellen. Aber natürlich ist das nur ein Film. Oder doch etwas mehr? Einmal, in Lehmans Drehbuch, trifft Sidney einen Klienten, der ihn abkanzelt, weil er nicht in Hunseckers Kolumne erwähnt wurde. Odets gab ihm eine schöne Frau bei. Der Mann nimmt die Schöne zu den Partys der High Society mit, um als die eine Hälfte eines Glamour-Paares in die Klatschspalten zu kommen. Odets macht das immer so. Aus zwei Personen bei Lehman werden bei ihm drei, weil in Sweet Smell of Success grundsätzlich über Bande gespielt wird wie beim Billard. Für Sidney sind die Beleidigungen des Klienten noch peinlicher, weil sie durch dessen Begleiterin reflektiert und verstärkt werden. Hunsecker sagt etwas zu Senator Walker, tut dies aber nur, um Sidney zu treffen.

Fast könnte man da an den „Bin-auf-dem-Weg-zum-Emir“-Anruf des Präsidenten bei Diekmanns Mailbox denken. Die Bild-Zeitung hatte danach drei Möglichkeiten: Den Anruf selbst veröffentlichen. Den Anruf nicht veröffentlichen. Sie wählte Variante 3 und ließ ihn, ganz oder auszugsweise, anderen Zeitungen zukommen – dies aber nur, um zu fragen, was die Kollegen davon hielten und keineswegs in der Erwartung, dass sie das Drohen und das Flehen des Präsidenten abdrucken würden. Über Bande spielen auch manche Politiker. Sie sagen öffentlich nur Gutes über die Parteifreunde (besonders über die, welche der eigenen Karriere im Wege stehen könnten), um anschließend in Hintergrundgesprächen über diese herzuziehen, was dann unter Berufung auf „informierte Kreise“ ins Blatt gehoben wird. Der Berichterstattung zur Kredit-etc.-pp.-Affäre entnehme ich, dass das auch der heutige Bundespräsident so hielt, als er noch in Hannover wohnte. Wer bei einer Suchmaschine „Wulff“ und „Hintergrundgespräch“ eingibt, findet interessante Sachen. Hier eine Trouvaille aus den 400 Fragen und Antworten, ins Netz gestellt vom Tagesspiegel (Seite 2, Frage 4 und Antwort).

Das Spiel über Bande fällt Christian Wulff sehr schwer, seit ihm die Journalisten und Klatschreporter auf breiter Front ihre Gunst entzogen haben, weil sie lieber einen Präsidenten hätten, der glaubwürdig und seriös ist, nicht oberster Partyhopper und Schnäppchenjäger (André Hellers WM-Slogan „Zu Gast bei Freunden“ war auch anders gemeint, als von Wulff interpretiert). Doch große Männer wachsen an der Aufgabe. Herr Wulff hat sich in zwei Persönlichkeiten aufgespaltet und dadurch – um im Billard-Bild zu bleiben – eine neue Kugel ins Spiel gebracht. Die eine Persönlichkeit, die ihre Sätze mit „Man“ beginnt, will lernen und hat dieses oder jenes eingesehen. Die andere ist das Präsidenten-„Wir“ und hat mit „Man“ nicht viel zu tun. Das war schon im Interview mit ARD und ZDF zu beobachten, wo Herr „Wir“ sagte, dass Herr „Man“ nun „Lernfortschritte unter Beweis stellen“ müsse.

Inzwischen hat Herr Wulff das auf mich schizophren wirkende Verhältnis zu sich selbst perfektioniert. Zu bewundern war das am 22. Januar im von Phoenix ausgestrahlten ZEIT-Gespräch mit Josef Joffe zum Thema „Typisch deutsch“. Hier meine liebste Passage aus der an Realsatire grenzenden Veranstaltung:

Wulff: In den letzten Wochen ist ein wenig Vertrauen eingebüsst. Es gibt viel Irritation. Es bewegt die Bürgerinnen und Bürger ungemein, was wir die letzten Wochen alles hören und lesen. Aber es gilt natürlich, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben, sondern in einem Rechtsstaat.

Joffe: Was heißt Mittelalter?

Wulff: Na ja, da wär’ man vielleicht schon am Scheiterhaufen verbrannt.

Nach der noch etwas ungelenken Generalisierung im ersten Satz (ein wenig Vertrauen ist eingebüßt – nach letzten Umfragen 75 Prozent) findet eine Verschmelzung des Volkes mit der einen Wulff-Hälfte statt. Wir, die Bürger und ihr Präsident, haben irritierende Sachen gehört und gelesen. Im Gespräch mit „Dr. Joffe“ (Wulff) bietet sich der „Wir“-Präsident als Moderator in dieser peinlichen Angelegenheit an, lobt die Pressefreiheit und die Journalisten wegen der Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion und hat scheinbar selbst erst aus der Zeitung erfahren, dass eine von „Man“ geführte Landesregierung das Parlament belogen haben könnte. So etwas darf ein Präsident nicht dulden. Deshalb begrüßt der „Wir“-Wulff, wenn dieser Vorwurf gegen den „Man“-Wulff durch ein Gericht in Hannover untersucht wird.

Nur dass Herr „Man“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird (oder auch daneben), das lehnt Herr „Wir“ ab. Als ich das hörte, dachte ich mir zuerst, dass im Mittelalter nicht der König verbrannt worden wäre, sondern die Journalisten, die unangenehme Fragen stellen. Dann fiel mir ein, dass Herr „Man“ vom Scheiterhaufen bedroht ist (ein fehlbarer Mensch wie du und ich), nicht Herr „Wir“ (der Präsident, der mit der Sache nichts zu tun hat und nichts wusste). Das Konzept ist gewöhnungsbedürftig, aber bis zum Ende der Amtszeit wird das schon gelingen. Dann werden auch wir (die Bürger) Lernfortschritte nachweisen können, nicht nur „Wir“ der Präsident. Und „Man“ wird gerade auf Herrn Glaeseker abgeschoben, den alten Freund und „siamesischen Zwilling“ von Herrn Wulff.

Uneleganter Geruch

Da raucht einem der Kopf. Kein Drehbuchautor hätte sich das ausdenken können, ohne für verrückt erklärt zu werden. Andererseits bieten Filme doch die besseren Geschichten, weil sie übertreiben können, statt die banale und manchmal kleinkarierte Wirklichkeit mit Marmelade, Filmball in München und Kochbüchern aus Niedersachsen aufdröseln zu müssen. Das heißt nicht, dass sie mit dieser Wirklichkeit nichts zu schaffen hätten. Sie übertreiben nämlich, um ein Schlaglicht auf Strukturen und Verhaltensweisen zu werfen, die man im grellen Licht besser erkennt (die Parallelen zum echten Leben inklusive).

Sweet Smell of Success

In Sweet Smell of Success geht das so: Barbara Nichols, in den 1950ern auf die dumme Blonde vom Servicepersonal abonniert, spielt Rita das Zigaretten-Girl. Sidney muss weiter versuchen, Hunseckers Schwester und den Gitarristen auseinander zu bringen, was Susan jedoch nicht wissen soll. Er bringt Rita dazu, mit dem Kolumnisten Otis Elwell zu schlafen und stellt dafür – drei Jahre vor Jack Lemon in Billy Wilders The Apartment – sein eigenes Bett zur Verfügung. Elwell revanchiert sich, indem er Lügen über Steve Dallas veröffentlicht. Hier die Meldung im am Winchell-Stil geschulten Wortlaut:

The dreamy marijuana smoke of a lad who heads a high-brow jazz quintet is giving an inelegant odor to that elegant East Side club where he works. That’s no way for a card-holding Party member to act. Moscow won’t like it, you naughty boy.

Damit ist Steve alles, was die von Winchell am Anfang jeder Radiosendung begrüßten “Herr und Frau Amerika” („Good evening Mr. and Mrs. America from border to border and coast to coast and all the ships at sea. Let's go to press.”) überhaupt nicht mochten: ein Marihuana rauchendes KP-Mitglied und ein Intellektueller. So wurden im Amerika des Kalten Kriegs missliebige Leute fertiggemacht. Meines Wissens war Sweet Smell der erste Film, der zeigte, wie im McCarthyismus Rufmord durch Medienmanipulation betrieben wurde. Der Clubbesitzer muss nach Erscheinen von Elwells Kolumne das Engagement der Jazzband beenden. Doch das ist nur die erste Hälfte von Falcos raffiniertem Plan. Steve soll wissen, dass Hunsecker hinter den Anschuldigungen steckt, um ihn in eine Konfrontation mit diesem zu treiben und Susan zu zwingen, Partei für ihren dominanten Bruder zu ergreifen.

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