Zwischen Korruption und Stahlgewittern

Seite 3: Sechzig Millionen Leser können nicht irren

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Sweet Smell of Success beginnt enorm intensiv und lässt bis zum Schluss nie nach. Darum ist es schwierig, einzelne Höhepunkte herauszupicken. Aber der Showdown im Theater ist unter vielen großartigen Szenen eine von den besten. Aus diesem Theater wird Hunseckers Fernsehshow gesendet. Bevor er wieder Leute mit Dreck bewirft, kommt es zu der von Sidney geplanten Konfrontation. Daran beteiligt: Steve Dallas, Steves Manager, Susan, Falco, Hunsecker. Man kann die Szene endlos studieren, entdeckt dauernd etwas neues und kriegt eine Vorstellung davon, was gutes Filmemachen von dem unterscheidet, was einem üblicherweise im Kino und im Fernsehen geboten wird. Jede Einstellung ist genau durchdacht und einstudiert. Die Darsteller folgen einer vorher festgelegten Choreographie, wissen in jedem Augenblick, wo sie im Verhältnis zu den anderen zu stehen haben, weil die Positionierung zueinander mehr sagt als tausend Worte.

Sweet Smell of Success

Sweet Smell ist auch eine Anleitung zum Betrachten der im Netz verfügbaren Photostrecken zur Präsidentenaffäre: mit Wulff und seiner Frau Bettina, dem Pressesprecher Glaeseker, Party-König Manfred Schmidt, Herrn Maschmeyer und Frau Ferres (Frau Solaro aus Norderney ist scheinbar wirklich eine alte Freundin und bezeichnenderweise nie dabei, weil sie in der Welt der Zweckfreundschaften nichts verloren hat), inzwischen auch Herrn Hagebölling, im Interesse der Ausgewogenheit mit Schröder und Frau Doris zu ergänzen, Herrn Diekmann und die Dame von der Bunten nicht zu vergessen. Nur den Emir konnte ich nicht finden, obwohl der sicher zum Islam und deshalb mit dazugehört.

Mackendrick bietet das Gegenteil von den bebilderten Dialogen, mit denen wir von Regisseuren meistens abgespeist werden. Die visuellen Informationen ergänzen das Wort, führen über dieses hinaus, widersprechen ihm gelegentlich. Ein Beispiel: Susan trägt den Pelzmantel, den ihr J. J. geschenkt hat und der symbolisiert, dass sie sein Eigentum ist (man erinnere sich an den Nerz, den Walter Winchell seiner Tochter Walda schenkte). Steve will Susie aus dieser Leibeigenschaft befreien, sagt er. Aber Mackendrick inszeniert das so, dass Susan von beiden Männern dominiert wird, von J. J. und von Steve. Das Drehbuch hat eine Schwäche: Das Liebespaar ist irgendwie zu gut, zu brav, zu langweilig. Neben den Schurken (Burt Lancaster ist als Hunsecker so grandios wie Tony Curtis als Falco, und gemeinsam sind sie noch besser) wirken Steve und Susie arg blass. Mackendricks Inszenierung versucht, das auszugleichen und deutet an, dass unter der glatten Oberfläche doch ein paar Abgründe verborgen sind. Hunsecker ist ein monströser Patriarch. Doch als Teil einer patriarchalischen Gesellschaft ist auch der Gitarrist nicht ganz so unschuldig, wie er tut.

Sweet Smell of Success

Martin Milner als Steve musste wohl den All American Boy spielen (nicht eben das, was man bei einem Jazzmusiker erwarten würde), um einer wichtigen, an den Durchschnittsamerikaner gerichteten Botschaft mehr Gewicht zu geben. Von Hunsecker und Falco provoziert, sagt Steve im Theater, was er denkt:

Ich mag es nicht, wie Sie mit Leuten spielen, Ihre Verachtung und Ihre Bösartigkeit. Sie denken an sich und an Ihre Kolumne. Sie sehen sich als Glanz der Nation. Für mich und für viele Leute wie mich sind Ihre schmierigen Skandalgeschichten und Ihr verlogener Patriotismus … für mich, Mr. Hunsecker, sind Sie die Schande der Nation.

Das meint auch der Film (über Leute wie Winchell und McCarthy), der nun noch etwas über die korrumpierende Wirkung von Macht und Glamour zu sagen hat. Susan hat versprochen, Steve nicht wiederzusehen (was dann doch anders kommt). Sidney Falco darf zur Belohnung neben Hunsecker am Tisch im „21“-Club sitzen, kriegt denselben Wein und dasselbe Essen. Aber Hunsecker ist mit Steve noch nicht fertig. Der Musiker hat Majestätsbeleidigung begangen, und dafür muss er leiden – nicht wegen privater Rache, sondern wegen höherer Prinzipien, wie J. J. dem verdutzten Sidney erläutert:

Du denkst, das ist etwas Persönliches für mich? Willst du sagen, dass ich im Sinne einer persönlichen Kränkung über die Sache denke? Verstehst du nicht, dass dieser Junge heute seine Schuhe an der persönlichen Wahl und den Vorlieben von sechzig Millionen Männern und Frauen im größten Land der Welt abgeputzt hat? Wenn du selbst irgendeine sittliche Gesinnung hättest, würdest du erkennen, wie unsittlich der Standpunkt dieses Jungen heute war. Es war nicht ich, den er kritisiert hat. Es waren meine Leser.

Das ist auch die Hybris mancher Politiker. Sie können nicht mehr zwischen sich und ihrem Amt unterscheiden. Sie denken, dass das, was für sie gut ist, für das Amt nicht schlecht sein kann und kleben auf ihrem Stuhl, weil sie nicht begriffen haben, dass sie sich während einer Wahlperiode stets neu legitimieren müssen (und zurücktreten, wenn sie das nicht mehr können). Hunsecker ist einer von den Boulevardjournalisten, die die „Abstimmung“ am Zeitungskiosk mit einer demokratischen Wahl verwechseln. Er fühlt sich als Repräsentant der sechzig Millionen Leser, die ihn durch den Kauf eines Blattes mit seiner Klatschspalte „gewählt“ haben, und weil sechzig Millionen nicht irren können, hält er sich für allmächtig. Weil er der König ist, macht er seine eigenen Gesetze, die aber nur für ihn gelten, nicht für die sechzig Millionen, weil das Land sonst womöglich in Chaos und Korruption versinken würde. Was das konkret bedeutet, weiß jeder Müllmann, der seinen Job riskiert, wenn er zu Weihnachten ein Trinkgeld annimmt.

Unmoralische Gefälligkeiten

Wie schon erwähnt: Einiges in Sweet Smell of Success kann man dramatisiert und übertrieben finden. Das ändert nichts daran, dass der Film mit seinem gut gebauten Drehbuch in der Realität verankert ist. Er denkt nur weiter, was sich aus den scheinbaren Kleinigkeiten entwickeln kann (und das auch tat, wenn man an Walter Winchell und Joe McCarthy denkt) und ist der Meinung, dass die Korruption, die in der Regel klein anfängt, schnell größer wird und schwer zu bremsen ist. Was das heißt, erleben wir an Hunseckers Tisch im „21“. Zuerst sitzt da Senator Walker, der Freund von J. J., mit seiner neuen Freundin. Dem Senator wird die Rechnung erlassen, weil Hunsecker, sein Gönner, es so haben will. Wäre dem Senator das nicht recht, müsste er es trotzdem annehmen. Denn J. J. könnte sonst verärgert sein und einem anderen Boulevardjournalisten erzählen, dass ihm der Senator beim Füllen der Kolumne hilft und im Austausch dafür haben will, dass über ihn und die neue Freundin positiv berichtet wird.

Natürlich würde J. J. das nie tun, denn J. J. ist der gute alte Freund des Senators. Oder doch? Vielleicht, wenn es ihm nützt oder wenn ihm der Senator nicht das gibt, was er von ihm möchte? Auch das mit der nicht selbst bezahlten Rechnung könnte dem Senator noch sehr schaden, wenn ein Klatschreporter davon erfahren sollte. Als sich Walker an den Tisch des Kolumnisten setzt, gibt es ein paar Sachen, von denen die Öffentlichkeit nichts wissen soll, weil das schlecht für seine Karriere als Politiker wäre. Als er wieder aufsteht, gibt es eine Sache mehr. Der Film braucht nur einige wenige Dialoge, um zu zeigen, wie Abhängigkeiten entstehen und aus einem Schneeball eine Lawine wird.

Jetzt sitzt also Sidney am Tisch und kriegt ein Essen spendiert. Einer von Hunseckers Freunden ist Harry Kello, ein korrupter Polizist. Mit ihm soll Sidney dem Gitarristen eine Falle stellen. Der neue Plan: Falco soll Steve Marihuana in die Manteltasche stecken, damit Kello ihn wegen Drogenbesitz festnehmen kann. Zuerst ist das sogar Sidney zuviel. Aber dann macht ihm Hunsecker ein Angebot. J. J. will mit Susie drei Monate auf Kreuzfahrt gehen. Falco darf in der Zeit die Kolumne schreiben, wenn er tut, was Hunsecker verlangt. Da kann er nicht widerstehen.

Sweet Smell of Success

Wie es weitergeht, will ich hier nicht verraten. Nur soviel: Der Freund von heute kann morgen der schlimmste Feind sein. Wenn staatliche Stellen involviert sind, genügt oft schon ein Anruf, damit es für den, der die schlechteren Verbindungen hat, böse endet. Sweet Smell of Success ist eine Geschichte mit einer Moral, kein Film für Moralapostel. Es geht um Manipulation, Korruption und die Degenerierung einer Gesellschaft durch Gefälligkeiten. In den späten 1950ern war der Film ein für die Produktionsfirma desaströser Kassenflop. 1993 wurde er von der Library of Congress in die Kategorie für kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsame Werk aufgenommen. Er erfüllt alle drei Kriterien. Inzwischen ist der Film wiederentdeckt und steht auf diversen Bestenlisten. Heute sieht man genauer, was Mackendrick, Odets, Lehman, Lancaster, Curtis und den anderen damals gelungen ist. Ich finde, das spricht für uns, weil wir ein feineres Sensorium für die Korruption und deren Folgen entwickelt haben – „wir“ das Volk, meine ich. Der Präsident will das noch lernen. Ich möchte ihm gern das Studium von Sweet Smell of Success empfehlen. Aber nicht schenken lassen!

Die erstmals 2002 in Deutschland erschienene DVD behält den blöden Verleihtitel von 1958 bei und kommt leider auch in der nur neu verpackten Auflage von 2010 im überholten Letterbox-Format daher. Ansonsten sind Bild und Ton durchaus akzeptabel, was bei MGM-DVDs aus der Zeit (auf dem Cover jetzt United Artists) keine Selbstverständlichkeit war. Besser (und teurer), mit mehr Bildinformation und weniger -schäden sowie mit einem sehr erhellenden Audiokommentar von James Naremore versehen ist die Criterion-Ausgabe (Region 1). Da gibt es auch noch eine schöne TV-Dokumentation über Alexander Mackendrick, und Neal Gabler erzählt gutgelaunt von Walter Winchell.

Zum Schluss eine Bemerkung in eigener Sache: Ich habe noch nie einen Journalistenrabatt in Anspruch genommen und noch nie über einen Film geschrieben, den ich umsonst bekommen habe. Das liegt nicht daran, dass ich so ein guter Mensch bin. Mir schenkt einfach keiner was. Warum? Weil mich niemand mag? Weil ich nicht so schön bin wie der Präsident? Oder wird mir vorgeworfen, dass ich nicht zu Partys einladen kann und nicht weiß, wie man an Bürgschaften und Subventionen kommt? (Geschenke, kostenlose Upgrades und Urlaubsangebote bitte an: Dr. Man Schmid, c/o Redaktion Telepolis. Wenn ich dann selbst mal Präsident bin und es kommt raus, muss mein alter Freund der Redakteur zurücktreten und nicht ich. Freunde wird man wohl noch haben dürfen in diesem Land der Pharisäer!)

Im Filmmuseum München findet vom 16. bis zum 18. März 2012 in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und dem Bundesarchiv das Link auf ./36320_1.pdf "Vom Umgang mit NS-Filmen" statt. Bei der Diskussion am Samstagabend spricht auch Hans Schmid.

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