Wer soll Spanien nun regieren?

Das Linksbündnis bietet den Sozialisten erneut an, eine Linksregierung nach Vorbild Portugals zu bilden

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Der geschäftsführende spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy konnte den Gewinn von 14 Sitzen am Wahlsonntag selbst kaum glauben. Alle Umfragen, ja sogar die Prognosen auf Basis von Wahlbefragungen in den Lokalen lagen völlig daneben. Deshalb sind spanische Meinungsforscher nun auf der Suche danach, weshalb sie so eklatant versagt haben. Das passierte zwar zum Teil auch bei den letzten Brexit-Umfragen, doch die lagen lange Zeit richtig und hatten das Ergebnis vorhergesagt. Das war in Spanien ganz anders.

Die Unterschätzung der Auswirkungen des "Brexit" auf die Wähler und die "Angst", die vom konservativen Rajoy massiv danach geschürt wurde, werden nun als mögliche Gründe angeführt. Tatsache ist, dass es am vergangenen Freitag zu einem massiven Börsenabsturz kam. Die Madrider Börse hatte einen Verlust von als 12% bisher noch nie verzeichnet. So erklärt der Meinungsforscher David Redolí, dass die "Angst und die Unsicherheit" stets zur Wahl von Konservativen führten. Jordi Rodríguez Virgili meint, der Brexit habe vor allem eine starke Wirkung auf die 30% unentschlossenen Wähler gehabt.

Ein erstaunter Rajoy sprach deshalb vor seinen Anhängern in der Nacht davon, es sei die "schwierigste Rede". Er musste improvisieren, was dem steifen Regierungschef schwerfällt. Letztlich hielt er auch keine Rede, sondern gab zum Teil nur stammelnd Halbsätze von sich. Im weniger überraschten Freudentaumel am Montag forderte er schließlich das "Recht" für sich und seine rechte Volkspartei (PP), das Land weiter regieren zu können. Seine PP kam vor allem wegen der geringeren Wahlbeteiligung statt auf 29% auf 33%. Sie ist aber damit von einer Mehrheit, von der sie im Dezember abgestürzt ist, deutlich entfernt.

Rajoy strebt eine große Koalition an

Rajoy will nun nach einer Mehrheit suchen, seine Regierung soll in etwa einem Monat stehen, weil das Land "dringend" eine Regierung brauche. Die Sozialisten (PSOE) haben für ihn Priorität, denn er strebt weiter eine große Koalition nach deutschem Vorbild an, die er auch schon nach den Wahlen im Dezember vorgeschlagen hatte (Spanischer Sozialist versucht Flucht nach vorne). Der könnten sich auch die rechtsliberalen "Ciudadanos" (Bürger) anschließen, wenn sie wollten. Rajoy umgarnt die Sozialisten und behauptete sogar, nicht nur die PP, sondern auch die "PSOE hat gewonnen". Dabei hat diePSOE erneut 100.000 Stimmen verloren und schon im Dezember ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Sie hat mit knapp 23% nun sogar weitere fünf Sitze eingebüßt und liegt mit 85 Sitzen weit hinter den 137 der PP.

Rajoys Problem ist aber, dass sich unter den großen Blöcken nur wenig verschoben hat. Seine prozentualen Zugewinne kamen vor allem von den rechten Ciudadanos. Eine Mehrheit hat er aber auch mit deren 32 Sitzen erneut nicht, weil sie auf 13% zurückfielen. Sie verloren fast eine halbe Million Stimmen. Dazu kommt, dass sich Ciudadanos-Chef Albert Rivera am Montag erneut gegen Rajoy gestellt hat. "Veränderungen" fordert er mit Blick auf die vielen Korruptionsskandale der PP.

"Wir werden ihn nicht unterstützen", sagte Rivera. Er sprach aber nicht mehr vom "Veto" und erklärte sogar, nie von einem Veto gesprochen zu haben, was definitiv gelogen ist. Er ließ damit nun offen, einer PP-Minderheitsregierung durch Enthaltung zur Macht zu verhelfen. Das könnte nun sogar mit Führung Rajoys möglich sein, dessen Kopf der Chef der Neoliberalen zuvor immer wieder gefordert hatte. Doch müssten sich auch die Sozialisten dafür enthalten. Dann wäre aber die Unterstützung oder Enthaltung der Ciudadanos sogar unnötig, stellte Rivera entsetzt fest, da die Bedeutung seiner Partei am stärksten gelitten hat.

Doch die PSOE weigert sich weiter "aktiv" durch Unterstützung oder "passiv" durch Enthaltung Rajoy zum Regierungschef zu machen. Sie will eine "Alternative" sein. Die Wähler hätten ihr die Stimme gegeben, um die "ungerechte, unsoziale und ineffektive Politik der PP" zu beenden, bestätigte Organisationssekretär César Luena. Und der Parteisprecher Antonio Hernando fügte an, dass Rajoy sich eine Mehrheit in seinem rechten Umfeld suchen solle. Hernando weiß, dass da bestenfalls christdemokratische baskische oder katalanische Regionalparteien ansprechbar wären. Doch gerade mit denen hat er sich es auf dem repressiven Kurs gegen deren Autonomierechte, der auf Rezentralisierung ausgerichtet war, so verscherzt, dass die katalanischen Christdemokraten seit Jahren sogar auf Unabhängigkeitskurs sind.