Griechenland-Krise: Schwere Kritik an Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen

Nach einer Studie der Otto Brenner Stiftung berichteteten ARD und ZDF weder neutral noch ausgewogen, aber mit Mängeln in der analytischen Qualität. Die Sender weisen die Vorwürfe zurück

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Weder neutral noch ausgewogen und dazu Mängel in der analytischen Qualität: Das ist das Ergebnis einer neuveröffentlichten Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) über die Berichterstattung von ARD und ZDF zur Griechenland-Krise.

Damit wird deutlich, was bereits vorangegangene Untersuchungen zutage förderten: Die Berichterstattung der großen Medien zu Griechenland weist eine schwere Schlagseite auf. Die Öffentlich-Rechtlichen haben rasch auf die Studie reagiert. Tenor: Die Kritik ist nicht berechtigt. Wir haben sauber berichtet.

Aufgrund der festgestellten Verfehlungen bei zentralen Qualitätskriterien müssen sich die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen fragen lassen, ob sie immer ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen und ihrem journalistischen Anspruch gerecht werden.

Studie der Otto-Brenner-Stiftung

Mit diesen Worten fassen die Autoren der Studie "Die Griechen provozieren!" - Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise der Otto Brenner Stiftung ihre Arbeit zusammen. Dass diese Aussage den kritisierten Fernsehsendern ARD und ZDF nicht passt, liegt nahe.

Nicht so einfach von der Hand zu weisen

Doch die Untersuchungsergebnisse von Kim Otto ("Über Mitglieder der griechischen Regierung wurde mehrheitlich negativ berichtet"), Andreas Köhler und Kristin Baars (alle von der Professur für Wissenschaftsjournalismus der Universität Würzburg) sind nicht so einfach von der Hand zu weisen. Rückblende:

"Jetzt kommen aber diese Jungs von Syriza und führen Europa am Nasenring durch die Manege. (...) Wer so vorgeht, gehört zum Teufel gejagt." Mit diesen Worten äußerte sich der ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause in der politischen Talkshow Hart aber Fair, als die Griechenland-Krise am Hochkochen war. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) titelte "Die Halbstarken von Athen" während Bild 'klarstellte': "Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!"

Das sind nur drei Äußerungen zur griechischen Staatsschuldenkrise, aus einer Vielzahl an Schlagzeilen und Kommentaren, die in den großen Medien zu der Thematik zu finden sind. In der Studie der OBS werden sie aber gleich zu Beginn im Vorwort hervorgehoben - und das hat seinen Grund.

Noch während die Berichterstattung zur dramatischen Lage in Griechenland voll am Laufen war, drängte - auch durch Schlagzeilen wie die eben angeführten - sich so manchem Medienbeobachter der Verdacht auf, dass eine Berichterstattung mit einer gewaltigen Schlagseite zu identifizieren ist.

Doch wie so oft, wenn es um einen Verdacht geht, gilt: Ein "Gefühl" zu haben, dass die Berichterstattung der ‚Mainstreammedien‘ in Sachen Griechenland weit davon entfernt ist, objektiv, neutral, sachlich und ausgewogen zu sein, ist das eine. Handfeste Analysen und Auswertungen, die den Verdacht plastisch darstellen und anschaulich machen, das andere.

Deutlich zuungunsten der Position der griechischen Regierung

An dieser Stelle treten nun Otto, Köhler und Baars hervor. Sie haben sich die ARD-Tagesschau, ZDF-heute sowie die Sondersendungen Brennpunkt (ARD) und spezial (ZDF) vorgenommen und die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise, wie sie im Jahr 2015 in diesen Formaten zu finden war, analysiert.

Jupp Legrand, der Geschäftsführer der OBS, schreibt in einem Vorwort zu Studie, dass zwar "die Berichterstattung der Nachrichtensendungen die Relevanz des Themas [griechische Staatsschuldenkrise] angemessen widerspiegelte und hier auch das Kriterium der Vielfalt erfüllt wurde", sich allerdings "Mängel bei den Kriterien der Neutralität, der Ausgewogenheit und der analytischen Qualität" gezeigt haben.

Die Berichterstattung habe sich, nach den Worten von Legrand, im Untersuchungszeitraum nur auf ganz wenige Themen fokussiert, zudem untergruben Journalisten Nachrichten und Berichte oft durch eigene Bewertungen. Legrand merkt weiter an, dass eine Tonalität in den analysierten Beiträgen der Öffentlich-Rechtlichen zu erkennen war, die "deutlich zuungunsten der Position der griechischen Regierung" ging.

Zumindest teilweise, so Legrand weiter, könne der in vielen öffentlichen Debatten zum Ausdruck gebrachte Verdacht einer einseitigen Berichterstattung die Studie empirisch untermauert werden. Konkret, um eines der vielen Untersuchungsergebnisse der OBS-Studie vorzustellen:

Hinsichtlich meinungsorientierter Äußerungen durch Journalist*innen zeigen sich zwischen den Nachrichtensendungen beider öffentlich-rechtlicher Sender nur geringe Unterschiede.

So wurden in 19,7 Prozent der "Tagesschau"-Beiträge Wertungen von Journalist*innen vorgenommen, in "heute" lag dieser Wert bei 22,2 Prozent. Bei den Sondersendungen hingegen war ein deutlicher Unterschied in Bezug auf eine meinungsorientierte Berichterstattung erkennbar.

Denn in der ARD-Sendung "Brennpunkt" ließen sich in 36,7 Prozent der Beiträge Wertungen von Journalist*innen finden, wobei solche in "ZDF spezial" nur in rund 7 Prozent der Fälle zu finden waren.

Studie der Otto-Brenner-Stiftung

Diese Zahlen alleine lassen bereits erahnen, wie journalistisch problematisch die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise der untersuchten Sendungen war.

Letztlich kommen die Macher der Studie zu dem Ergebnis, dass die Qualitätskriterien der Ausgewogenheit und der Neutralität in den Sondersendungen noch stärker verletzt wurden, als es in den Hauptnachrichtensendungen der Fall gewesen sei.Otto, Köhler und Baars fordern daher in ihrem Schlusswort eine konsequentere Umsetzung des Gebots der Trennung von Nachricht und Meinung.

ARD: Kritik "insgesamt leider pauschalierend"

Doch die Ergebnisse der Studie stoßen ARD und ZDF sauer auf. Auf dem tageschau-blog schreibt etwa Christian Nitsche, zweiter Chefredakteur von ARD-Aktuell, dass die Tagesschau über Monate "umfassend und journalistisch ausgewogen" über Griechenland berichtet habe. Außerdem:

Wenn "Wertungen" erfolgen, "entspricht dies nicht dem Qualitätsanspruch an Neutralität". Bereits als Wertungen aufgefasst werden in der Studie Adjektive, Substantive oder Verben, "die andere Akteure beschreiben. Die Ausrichtung der Wertung ist für die Frage nach der Neutralität unerheblich". Ist der Anteil solcher Wörter in einem Bericht "größer als null, so wurde das Gebot der Neutralität verletzt". Das Zählen von Adjektiven ohne Kontext erlaubt aber keine Aussage über die Qualität eines Berichtes. In dieser Methodik läuft jegliche Hintergrundberichterstattung Gefahr, als nicht neutral angesehen zu werden.

tagesschau-blog

Nitsche kritisiert, dass die Methodik der Studie, die er als "insgesamt leider pauschalierend und wenig hilfreich" betrachtet, "in die Irre" führe.

Man müsse berücksichtigen, so der Nachrichtenmann weiter, dass bei der griechischen Staatsschuldenkrise schließlich das "internationale Finanzgefüge" bedroht gewesen sei. Demnach ließ die ARD auch "viele unabhängige Analytiker" zu Wort kommen, die "Kritik am griechischen Vorgehen" geäußert haben. "Diese spiegelte sich daher auch in den Berichten", heißt es auf dem tageschau-blog.

ZDF: Unausgewogenheit lässt sich nicht ableiten

Auch das ZDF kritisiert die Studie. Gegenüber dem Portal meedia sagte ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn, dass die Reichweite der Studie alleine schon deshalb begrenzt sei, da sie andere relevante ZDF-Formate wie etwa heute - in Europa oder das auslandsjournal nicht zum Gegenstand der Untersuchung gemacht habe.

Hinzu komme, dass "Sendungen mit unterschiedlichen Aufgaben - Nachrichten und Sondersendungen - in einen Topf geworfen und Nachrichtenmagazine wie das heute-journal trotz ihrer wichtigen Rolle ausgeklammert" würden.

Hagedorn findet, die Studie liefere kein repräsentatives Bild der ZDF-Berichterstattung zur Griechenland-Krise ab. Der ZDF-Sprecher sagte weiter:

Es ist Aufgabe des ZDF als deutscher Sender für ein deutsches Publikum gerade auch die hiesige Debatte über die griechische Schuldenkrise zu spiegeln. Eine Unausgewogenheit lässt sich daraus nicht ableiten.

Insgesamt, so darf man feststellen, klingt die Kritik der Öffentlich-Rechtlichen so, wie sie immer klingt, wenn ihre Berichterstattung Gegenstand der Kritik ist.

Ergebnisse der Studie stehen nicht alleine

Bei einer Studie der Otto Brenner Stiftung im Jahr 2013, als der Medienforscher Joachim Trebbe von der FU Berlin die Programminhalte von SWR und NDR unter die Lupe nahm und zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Anteil der beiden Sender an "politischer Information und journalistischer Aufbereitung gesellschaftlich kontroverser Themen" gering sei, wurde die Kritik ebenfalls zurückgewiesen.

In einem Interview zur Kritik an der Studie sagte Otto nun, dass die Studie sehr wohl zwischen den Hauptnachrichtensendungen Tagesschau und heute sowie den Sondersendungen differenziere.

Das wird getrennt ausgewertet, da wird nichts in einen Topf geworfen.

Man mag kritisieren, so Otto weiter, "dass nicht alle Sendungen berücksichtigt wurden... aber hier gibt es schlicht auch ein Platzproblem." Forschungsökonomische Gründe seien laut Otto dafür verantwortlich, dass man sich in der Studie auf "die beiden Hauptnachrichtensendungen plus Sondersendungen konzentriert" habe.

Doch auch wenn ARD und ZDF ihre Berichterstattung anders betrachten und die Studie kritisieren: Die aktuelle Studie zur Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise steht mit ihren Ergebnissen nicht alleine. Mittlerweile gibt es einige fundierte Auseinandersetzungen zur Griechenlandberichterstattung der deutschen Presse und des Fernsehens, die nachvollziehbar das Bild eines Journalismus zeigen, der kritisch zu hinterfragen ist.

Kim Otto hat bereits im Frühjahr eine Kurzstudie im Auftrag des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt und ein genaueres Auge auf die Berichterstattung der Printmedien in Sachen Griechenland geworfen. Sein Befund: Die "Griechenlandberichterstattung" der Presse ist klar Partei ergreifend und von Meinungen und Wertungen durchsetzt (siehe "Über Mitglieder der griechischen Regierung wurde mehrheitlich negativ berichtet").

Außerdem: Die Medienwissenschaftler Matthias Thiele und Rainer Vowe haben in ihrer Analyse aller vier großen deutschen Polit-Talkshows festgestellt, dass es beim Thema Griechenland zu einem Gleichklang gekommen ist, bei dem "die Griechen stets als "Gefahr", als "Bedrohung" und als "Angreifer" kodiert" wurden. (siehe Talkshow-Kritik: Völlige Einseitigkeit und ein nationaler Wir-Diskurs)

Und Margarete Jäger, Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), sowie die Germanistin und Politikwissenschaftlerin Regina Wamper (ebenfalls vom DISS), haben die Kommentare der Süddeutschen Zeitung (SZ) zu Griechenland, wie sie über sechs Monate in dem Blatt zu finden waren, analysiert . Ihr Ergebnis: Die SZ-Kommentatoren beruhen auf einer bestimmten "Hintergrundfolie".

Sie sind von der neoliberalen Ideologie geprägt, die zum Vorschein kommenden Meinungen orientieren sich stark an den vorherrschenden Sichtweisen, wie sie von tonangebenden Persönlichkeiten aus dem Lager der Politik in Deutschland vertreten werden (siehe "Die SZ folgt dem technokratischen Herangehen der politischen Akteure").