Athen: Randale auf Bestellung?

Alle Nebenstraßen um das Parlament herum waren voll mit Demonstranten - Mittwoch gegen Mittag. Bild: W. Aswestopoulos

Griechenland im Machtvakuum, Papandreou vor der Vertrauensfrage, Verschwörungstheorien machen die Runde

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Im Ringen um Pfründe liefern sich politische Parteien Griechenlands Kleinkriege ohne Ende. Geschickt verwenden diese dabei die Regel "Teile und herrsche". Mediale Populisten leisten einen weiteren Beitrag zum Chaos. Außer der Finanzkrise plagen die Griechen nun immer offener zu Tage tretende politische und soziale Konflikte. Die politische und ökonomische Entwicklung wird von einer erneut aufkommenden Gewaltwelle überschattet. Cui bono? Wem nützt das und wer steckt dahinter? Verschwörungstheorien machen im für solche Szenarien anfälligen Griechenland die Runde.

Die gewaltsamen Ausschreitungen des gestrigen Mittwochs hatten sich bereits Tage zuvor angekündigt. Die seit 22 Tagen demonstrierenden "Wutbürger" hatten beschlossen, pünktlich zum Tag der Einreichung des Horrorsparpakets der nominell sozialistischen Regierung, sämtliche Zugänge zum Parlament zu sperren. Die Polizei hatte 5000 Einsatzpolizisten als Mindesttruppenstärke definiert und diese rund um das Parlament. Alle übrigen Beamten wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Eigentlich erschien diese Maßnahme überzogen zu sein. Denn bisher glänzten die Demonstrationen der wütenden Griechen eher durch Friedfertigkeit. Zum ersten Mal seit Langem waren Kundgebungen ohne Gewaltexzesse abgelaufen (Spanische Verhältnisse nun auch in Griechenland?).

Ein inszenierter Rücktritt?

Rechtzeitig zum Vorabend der von zwei weiteren Demonstrationszügen der Gewerkschaften begleiteten alltäglichen Versammlung wurde die Krise in der Regierungspartei immer stärker, zusätzlich wurde bekannt, dass der Premier Georgios Papandreou eine Audienz bei Staatspräsident Papoulias erbeten hatte. Gerüchte über mögliche Notstandsgesetzgebungen machten die Runde.

Tränengasattacken begannen regelmäßig vom unteren Teil des Platzes. Bild: W. Aswestopoulos

Erst am späten Abend klärte sich zumindest die politische Tagesordnung. Papandreou, der am frühen Nachmittag gegenüber dem konservativen Oppositionsführer seinen Rücktritt im Gegenzug für eine große Koalition unter einem anderen Premier angeboten hatte, trat vom Rücktritt zurück und möchte nun eine Kabinettsumstellung vornehmen. Samaras, der Vorsitzende der Nea Dimokratia, war auf das Angebot eingegangen, forderte aber eine neue Orientierung in der Sparpolitik. Seinen Rücktritt vom Rückzug aus dem Premierministersessel begründete Papandreou damit, dass dieser Schritt seitens der Opposition zu früh an die Öffentlichkeit getragen wurde. Gerüchte besagen jedoch, dass hinter der Kehrtwende Papandreous der Druck seines Bruders Nikos stecke.

Fakt ist, dass das Land auch durch die letzten Aktionen seines gewählten Ministerpräsidenten in einer Art Machtvakuum steckt. Wirklich aufklären werden sich die machtpolitischen Spielchen vermutlich erst, wenn alles bereits vergessen ist.

An vielen Ecken der Stadt brannte es. Bild: W. Aswestopoulos

Inszenierte Provokationen?

Papandreou ging in seiner abendlichen Rückrücktrittsansprache nicht auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände in seiner Hauptstadt ein. Auch der nur Minuten später vor die Presse tretende Oppositionsführer Samaras kümmerte sich in seiner Ansprache nicht um Gewaltexzesse. Dazu äußerten sich bis spät in die Nacht andere Parlamentarier.

Die parteilose Abgeordnete Sofia Sakorafa sprach offen von staatlich inszenierten Krawallen. Sie ging sogar so weit, die nun aufgrund der Regierungsumbildung prinzipiell geplatzte erste Lesung des Sparpakets als Inszenierung zubezeichnen. Sakorafa vermutet, dass ihr ehemaliger Freund und politischer Weggefährte schlicht die friedlichen Demonstrationen auflösen wollte.

Die ehemalige Speerwurfrekordlerin benutzte in ihrer Stellungnahme nahezu deckungsgleiche Ausdrücke wie die Kommunistische Partei, die Linke, aber auch konservative Kreise. Sakorafa gehörte bis zum Mai 2010 zur regierenden PASOK. Sie wurde aus der Partei und der Fraktion ausgeschlossen, weil sie sich bereits seinerzeit gegen das nun gescheiterte erste Sparpaket wehrte.

Bild: W. Aswestopoulos

Gewalt gegen Demonstranten, Wegschauen bei Vermummten?

In der Tat erschien vieles am Mittwoch seltsam. Vermummte traten bis auf wenige Meter an die vor dem Parlament wachenden Polizisten heran und sammelten ungestört Wurfgeschosse. Nach Beendigung einer autonomen Steinwurfattacke antworteten die Beamten zunächst mit Tränengas und liefen daraufhin Schlagstock schwingend in Richtung der sich zurückziehenden Demonstranten. Dabei wandten sie übermäßige Gewalt an. Ein Fernsehbericht, der auch auf YouTube kursiert, zeigt die brutale Festnahme eines unvermummt auftretenden, langhaarigen, jungen Manns. Um den mit Schlägen traktierten Festgenommenen herum verrichten vermummte Gestalten ihr Handeln ohne dabei von der Polizei behelligt zu werden. Zum Zeitpunkt der Fernsehausstrahlung war nicht bekannt, dass der Festgenommene kein Demonstrant war. Es handelt sich um einen Fernsehteamtechniker.

Der mittlere Einsatzpolizist steckte sich vor den Augen anwesender Fotografen Steine in die Tasche. Wenig später flogen diese in Richtung friedlicher Demonstranten Bild: W. Aswestopoulos

Einschlägige Blogs berichten über verdächtigen Zivilisten, die von Demonstranten überprüft wurden. Bei mehreren sollen Ausweise der Polizei gefunden worden sein. Obwohl solchen Blogs im Regelfall kaum Glauben geschenkt wird, mehren sich unter den Demonstranten Augenzeugenberichte. Randalierer oder Aufrührer fanden sich am Mittwoch oft von "wütenden Bürgern" umstellt. Typisch war in solchen Situationen der Ablauf. Die Bürger zogen ihre Personalausweise hervor und verlangten vom Verdächtigen dies auch zu tun. Nicht selten resultierten aus Weigerungen seitens der Aufrührer kleinere Handgemenge.

Mehrmals wurde der Vorplatz des Parlaments geräumt. Ebenso oft kehrten die Demonstranten zurück. Bild: W. Aswestopoulos

Umsturz jetzt - fordern die Kommunisten

Ein Verkehrspolizist, der sich auf den Syntagmaplatz in Mitten der Demonstranten verirrt hatte, wurde kurzerhand verprügelt. Andererseits stellten sich friedliche Demonstranten als menschliche Schutzschilde sowohl vor Polizisten als auch vor angegriffene Hotels. Genützt hat es kaum. Trotz flehentlicher, über Lautsprecher gerufener Bitten stürmten Einsatzpolizisten mehrfach den mit Zelten und Notfallmedizinstationen besetzten Platz. Die Demonstranten hatten zuvor die Randalierer isoliert und vertrieben.

Der Syntagmaplatz wurde im Lauf des späten Abends und bis in die Nacht erneut von den Wutbürgern besetzt. Für heute hat die Kommunistische Partei bereits eine weitere Kundgebung angekündigt. Man wolle bis zum Zusammenbruch des Systems demonstrieren.

Papandreou möchte ein neues Kabinett zusammenstellen und ein Vertrauensvotum überstehen. Gleichzeitig ist bekannt, dass der griechische Fiskus nur noch Geld für maximal 30 Tage hat. Weder Papandreou noch Samaras genießen das Vertrauen der Bürger. Dies gilt vor allem nach den heutigen amateurhaften Vorstellungen beider. Wundert es unter solchen Vorzeichen, dass viele in Hellas bereits eine neue Militärregierung fürchten?