Hoy marchamos, mañana votamos

Die Latinos als größte Einwanderergruppe klopfen mit aller Macht an die Türen des etablierten Amerika

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"Heute marschieren wir, und morgen wählen wir", skandierten Zehntausende in Washington DC, nachdem ein Sprecher des Latino-Arbeiterzentrums Casa de Maryland verkündet hatte: "Dies ist erst der Beginn der Bewegung." Er wird wohl recht behalten. Denn was sich am Montag nicht nur in Washington, sondern in mehr als 100 Städten und Gemeinden beim National Day of Action for Immigrant Justice mit Hunderttausenden von Teilnehmern abspielte, überraschte in seiner Massivität Medien, Politik und auch wohlwollende Beobachter.

Nach den Massendemonstrationen vor zwei Wochen (Ein schlafender Riese bewegt sich) gingen am Montag in den USA erneut Hunderttausende für die Rechte von Einwanderern auf die Straßen. Der Hintergrund für die Beharrlichkeit von "Illegalen" sowie Inhabern von Arbeitsgenehmigungen, Studierenden und US-Bürgern, sich einen weiteren Tag für eine Demonstration freizunehmen, ist angesichts der im ganzen Land stattfindenden Debatte um ein Immigrationsreformgesetz der US-Senat. Denn dort hat sich hat sich weder eine klare Mehrheit gefunden, noch ein Kompromissvorschlag durchgesetzt. Der Senat befindet sich inzwischen im Osterurlaub und wird in eineinhalb bis zwei Wochen erneut beraten.

Was auch immer dann beschlossen wird, muss mit der Vorlage des Repräsentantenhauses, dem H.R. 4437: Border Protection, Antiterrorism, and Illegal Immigration Control Act of 2005 abgeglichen werden. Die Maßnahmen, die darin gefordert werden, sind massiv und reichen von der Errichtung eines 700 Meilen langen Zauns als "Grenzsicherung" mit Mexiko bis zur Ahndung der illegalen Einwanderung als Verbrechen und Gefängnisstrafen für den Beistand von "undocumented workers". Statt von der Legalisierung des Status von schaetzungsweise 11 bis 12 Millionen Einwanderern ohne Papiere ist ihrer Abschiebung die Rede.

Foto: April10.org

Die ungewöhnlich großen Zahlen der Demonstrationsteilnehmer - gestern waren es allein in Phoenix, Arizona mehr als 100.000, am Sonntag über eine halbe Million in Dallas, Texas - gehen auf die Organisationsfähigkeiten eines losen Bündnisses aus Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Studenten, örtlichen "community agencies" und nicht zuletzt spanischsprachigen Medien zurück. Die katholische Kirche will ihre Schäfchen nicht nur beieinanderhalten, sondern für Zuwachs sorgen. Als beispielhaft für interkonfessionelle Zusammenarbeit gilt das religiöse Bündnis, das sich an der Südgrenze der USA um "Illegale" kuemmert.

Aus dem Gewerkschaftsspektrum tut sich vor allem die 1,8 Millionen starke Dienstleistungsgewerkschaft SEIU hervor, die sich im vergangenen Jahr vom Dachverband AFL-CIO abgespalten hatte und massiv Mitgliederwerbung und –organisierung bei "Illegalen" betreibt. Als "community agencies" gelten die fast 150 aktiven workers centers im ganzen Land, in denen sich undokumentierte Arbeiter und ihre Familienmitglieder Unterstützung und Rat sowie oft auch medizinische Notversorgung holen können.

Neu ist das Engagement von sonst unauffällig und auf den Kommerzsektor beschränkten Radio-DJs der viel gehörten Latino-Radiosender quer durch die USA. In urbanen Zentren wie Los Angeles, New York und Chicago, die als größte Latinomärkte gelten, sind spanischsprachige Sender seit Jahren keine Ausnahme mehr. Dazu kommen Tages- und Wochenzeitungen wie El Diario, La Raza und La Opinion, die die Berichterstattung über die Immigrationsdebatte und die Demonstrationen seit Wochen an erste Stelle setzen.

Der Latino-Medienmarkt wächst kontinuierlich. Im Fernsehbereich steht der hispanische Gigant Univision mit 62 Fernsehsendern, die 98 Prozent der spanischsprachigen Haushalte in den USA erreichen, an vorderster Stelle. Auf Platz zwei folgt Telemundo. Die nächste Station, die die Aktivisten anpeilen, ist der 1. Mai, der zum Streiktag der Immigranten erklärt werden soll.

On May 1, we are calling No Work, No School, No Sales, and No Buying, and also to have rallies around symbols of economic trade in your areas (stock exchanges, anti-immigrant corporations, etc.) to protest the anti-immigrant movements across the country.

Es gehe um nicht mehr und nicht weniger als Amnestie und Würde für die "Illegalen", heißt es in dem Streikaufruf.