Die vage Bedrohung durch Bioterrorismus bindet Forschungsgelder

US-Mikrobiologen kritisieren, dass zuviel Geld in die Erforschung von waffenfähigen Erregern fließt, das zur Bekämpfung der wirklich gefährlichen Krankheiten fehlt

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Es ist zwar einsichtig, dass die Bemühungen, mehr Sicherheit vor möglichen Terroranschlägen zu schaffen, nicht unbedingt die allgemeine Sicherheit vermehren, sondern auch das Gegenteil bewirken können. Zumal beim Terrorismus, der zumindest in den westlichen Ländern trotz hoher Angstbesetzung im Verhältnis zu anderen Gefahren wenig Opfer fordert. Die geringe Wahrscheinlichkeit hält auch Lottospieler nicht ab, stets auf ihr Glück zu setzen, und sie verhindert eben auch nicht, dass gegen möglichen Terrorismus massiv zu Lasten von anderen Dingen aufgerüstet wird. Deutlich wird dies bei dem besonders mit Angst besetzten Thema des Bioterrorismus (Biopanik).

Anschläge mit biologischen Waffen sind immer noch weitgehend pure Möglichkeiten. In der letzten Zeit fand nur ein Anschlag in den Vereinigten Staaten statt, bei dem einige Anthrax-Briefe verschickt wurden. Diese haben zwar - Gott sei Dank - nur sehr wenigen Menschen das Leben gekostet, dafür aber eine ungeheure, von den Medien als Durchlauferhitzer gesteigerte Aufgeregtheit geschaffen (Die Pocken am Frühstückstisch). Schlimme Epidemien wie früher die Pest oder noch immer die Grippe haben freilich vor Augen geführt, was möglich wäre, wenn jemand Erreger scharf machen und gezielt verbreiten könnte.

Obgleich die Anthrax-Anschläge nicht mit dem islamistischen Terrorismus zusammen hängen, ihr Urheber aber noch immer nicht gefunden wurde (Auf der Spur der Anthrax-Briefe), haben sie nach den Terroranschlägen vom 11.9. doch eine völlig irrationale Wirkung entfaltet (Milzbrand und die Angst), die schließlich auch mit dazu beigetragen hat, den Irak-Krieg zu rechtfertigen. Dass Hussein tatsächlich über Atomwaffen verfügen sollte, hatte niemand wirklich unterstellt, aber mit der vermeintlichen Existenz von chemischen, vor allem von biologischen Waffen wurde gezielt Angst geschaffen und die Bedrohlichkeit des Diktators erhöht. Und auch jetzt noch ist die abstrakte Möglichkeit eines verheerenden Anschlag mit biologischen Waffen ein Szenarium, das die Angst vor dem Terror schürt und die primäre Rolle der Sicherheitspolitik legitimiert.

Die US-Regierung hat besonders auf militärische Prä- und Intervention gesetzt, aber auch mit dem Heimatschutzministerium ein eigenes "Sicherheitsministerium" geschaffen, das durch durch große Interventionen in Sicherheitstechnik vor allem der Gefahrenabwehr dient. Da aber nicht beliebig viel Geld vorhanden ist, ziehen die Investitionen in bestimmten Bereichen Geld von anderen Bereichen ab. Das aber kann selbst wiederum gefährlich werden, wenn Forschung in Bereichen, die mit der noch immer abstrakten Gefährdung durch Bioterrorismus zu tun haben, mit vielen Milliarden gefördert wird, und diese der "normalen" medizinischen Forschungsförderung entzogen werden, in der nach Mitteln gesucht wird, um existierende gesundheitliche Probleme zu lösen, die alltäglich Opfer fordern.

Nun haben über 700 amerikanische Mikrobiologen, die sich mit bakteriellen Infektionen beschäftigen, in einem offenen Brief an Elias Zerhouni, dem Direktor der National Institutes of Health (NIH), kritisiert, dass nach dem 11.9. vor allem Forschung mit Steuergeldern gefördert wird, die mit Biowaffen zu tun hat, aber kaum Nutzen für die Gesundheitsversorgung besitzt. So sei die Zahl der geförderten Forschungsprojekte über mögliche waffenfähige Erreger von Krankheiten wie Milzbrand, Pocken, Pest, Tularämie, Rotz oder Fleckfieber seit 2001 um über 1500 Prozent angestiegen, während die Förderung von Forschungsanträgen über nicht mit Biowaffen zusammenhängende Erreger insgesamt um 41 Prozent zurück gegangen sei. Das sei, so die Wissenschaftler, eine verfehlte mikrobiologische Forschungspolitik, zumal die Fortschritte der Genforschung Durchbrüche in vielen Bereichen in Aussicht stellen. Die Gefahr bestünde, dass dies nun nicht mehr geschehen wird, jedenfalls nicht mehr in den USA.

Tatsächlich wurden die Mittel, die in die Biowaffen-Forschung gingen, am damit befassten National Institute of Allergy and Infectious Disease (NIAID) der NIH von 53 Millionen US-Dollar im Jahr 2001 auf 1,4 Milliarden im Jahr 2004 angehoben. Nach einer Statistik des Sunshine Project stieg die Förderung der Forschung über bakterielle und virale Erreger, die für Biowaffen in Frage kommen, vom Zeitraum 1999-2001 bis zu dem von 2002-2004 um über 2000 Prozent. Stipendien für die Erforschung von Milzbranderregern wurden seit 2001 um 3471 Prozent, Tularämie-Forschungsstipendien um 3100 Prozent erhöht. Zwar wurde auch die Erforschung der Grippe stärker gefördert (wobei es auch um die umstrittene Forschung über den Erreger der Spansichen Grippe geht), aber Förderung von Forschungsprojekten über Malaria, TBC, Hepatitis, HIV u.a. ging um 20 Prozent und mehr zurück. 2003 gab es in den USA beispielsweise 129 Fälle von Tularämie, einen Fall von Pest und keinen von Milzbrand, dagegen über 44.000 Fälle von AIDS, 34.000 von Syphilis oder fast 15.000 von TBC.

Die Forschungspolitik der US-Regierung leitet nicht nur Gelder um, sondern riskiert auch, dass die gefährlichen Erreger, an denen vermehrt in den Laboratorien geforscht wird (Schritt zum biologischen Wettrüsten), zufällig nach außen, aber auch in die Hände von Terroristen gelangen könnten. Für die Wissenschaftler, die die Petition unterzeichnet haben, ist aber vor allem die Gewichtung falsch:

Fünf Menschen starben an den Milzbrandanschlägen, aber Tausende und Millionen sterben auch in diesem Land jedes Jahr an Malarie und Cholera und allen anderen infektiösen Krankheiten. Es gibt Bakterien, die viel schlimmer sind als Anthrax, und langfristig wird Amerika unter diesen Entscheidungen leiden.

Bonnie L. Bassler, Mikrobiologin an der Princeton University

Das Sunshine Project macht zudem darauf aufmerksam, dass bis zu 98 Prozent der mit Forschungsgeldern ausgestatten Wissenschaftler Erstantragsteller sind, die die Möglichkeit nutzen, leicht an Gelder heranzukommen, aber gleichzeitig über geringe Erfahrung beim Umgang mit den gefährlichen Erregern verfügen dürften. Die Organisation hatte bereits letztes Jahr kritisiert, dass über 30 der mit Stipendien im Rahmen der Biowaffen-Forschung bedachten Labors nicht die Sicherheitsvorkehrungen beachten, die für die Arbeit mit gefährlichen Erregern vorgeschrieben sind.

Nach einer aktuellen Umfrage des Trust for America's Health (TFAH) steht bei den Amerikanern die Sorge vor Bio-Terrorismus keineswegs an erster Stelle. Am meisten besorgt sie über Krebs, gefolgt von Herzerkrankungen und Dickleibigkeit. Dann erst kommen Ängste vor Terrorismus mit chemischen (11%) oder biologischen (7%) Waffen. Allerdings glaubt nur die Hälfte der Befragten, dass das Gesundheitssystem wirklich auf Anschläge mit biologischen Waffen vorbereitet ist.