Babyn Jar: Zwei Tage und zwei Jahre

Das Konzentrationslager Syrez bei Kiew. Bild: Public Domain

Am 29. und 30. September 1941 war die Schlucht von Babyn Jar der Schauplatz des größten Einzelmassakers des Holocausts. Tragischerweise wurden dort in den nächsten zwei Jahren der deutschen Besatzung noch zahllose weitere Menschen ermordet

Die Ermordung von 33.711 Juden innerhalb von zwei Tagen wurde am 80. Jahrestag (dem 29. September) auf Telepolis thematisiert und den wenigen Überlebenden dieses Massakers Gehör geschenkt.

An dieser Stelle soll nun, im zweiten von drei Teilen, die Geschichte Kiews unter deutscher Besatzung im Allgemeinen und die Morde an mehreren weiteren Zehntausenden Menschen in Babyn Jar, einer Schlucht am damaligen Stadtrand, dargestellt werden. Die unmenschlichen Verbrechen, die an den Bewohnern der Stadt begangen wurden, stehen ebenfalls stellvertretend für die außergewöhnliche Brutalität des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion.

Auch in diesem Artikel soll ein Hauptaugenmerk darin bestehen, die Überlebenden ausführlich zu Wort kommen und für die vielen Opfer sprechen zu lassen. Da diese Zitate entsprechend der Chronologie der beiden Jahren über den gesamten Artikel verteilt sind und teilweise an die Grenze des Erträglichen gehen, seien sensible Menschen vorab gewarnt.

Geflüchtete und versteckte Juden

Die deutschen Besatzer hatten öffentliche Verbote angebracht, die - jeweils unter Androhung der Todesstrafe - untersagten, Juden zu verstecken bzw. jeden Hausmeister aufforderten, alle Juden sowie Mitarbeiter der NKWD und Mitglieder der Kommunistischen Partei umgehend zu melden. Des Weiteren wurden Belohnungen für jeden denunzierten Juden ausgelobt.

Viele Juden, die versuchten in Kiew unterzutauchen, fanden nun nur noch selten Menschen, die bereit waren, die Gefahr auf sich zu nehmen, Juden zu verstecken. Eine Reihe von Juden wurden denunziert.

Die Konsequenz dieser ausweglosen Situation war, dass in den Wochen nach dem Massaker von Babyn Jar noch viele Hunderte Juden erschossen wurden. Dina Pronicheva, die wie durch ein Wunder das Massaker überlebt und geflüchtet war, wurde denunziert und abermals auf den Weg nach Babyn Jar gebracht. Sie überlebte nur mit viel Glück, da es ihr gelang, während der Fahrt unerkannt vom Lastwagen zu springen.

Andere, wie Rewekka Schwarzmann, waren auf der verzweifelten Suche, Menschen zu finden, die sich um ihr Baby kümmern würden, damit sie selber anschließend nach Babyn Jar in den Tod gehen könnten, weil sie alle Hoffnung aufgegeben hatten, ein Versteck zu finden.

Rewekka Schwarzmann jedoch hatte Glück. Sie konnte zwei Jahre lang in Kiew untertauchen (An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass trotz all dieser extremen Hindernisse viele Einwohner dennoch bereit waren, Juden das Leben zu retten. Beispielsweise der orthodoxe Priester Aleksei Glagolev. Die Anzahl der Einwohner Kiews, die die Auszeichnung "Gerechte unter den Völkern" erhalten haben, gibt hiervon beredet Zeugnis ab).

Weniger Glück hatten neun ältere Juden, die nach dem Massaker im Zentrum von Kiew auftauchten. Ein Zeuge berichtet:

Dort saßen sie Tage und Nächte lang. Die Leute gingen vorbei und hatten offensichtlich Mitleid mit ihnen, trauten sich aber nicht, auf sie zuzugehen. Dafür würde man hingerichtet werden. Dann starb einer (der Juden) vor Hunger. Wie furchtbar! Er starb vor Hunger, während eine große Stadt zuschaute. Nach einer Weile starb ein zweiter, ein dritter und ein vierter... Sie starben, und niemand entfernte die Leichen." Als nur noch zwei am Leben waren, "ging ein Kiewer auf einen deutschen Wachmann zu, der an einer Straßenecke stand. Er bat ihn, während er auf die Leichen zeigte, diese beiden zu erschießen. Der Wachmann überlegte einen Moment und tat es.