Schule der Nation: Was Hänschen lernt

Schule soll nicht zuletzt die Akzeptanz sozialer Ungleichheit vermitteln. Symbolbild: F1Digitals auf Pixabay (Public Domain)

Der schulischen Lernkonkurrenz wird von ihren Veranstaltern bei gegebener Chancengleichheit auch eine "Legitimationsfunktion" zugesprochen. Soll das ein Lob sein? Zudem stellt sich die Frage, wann Chancengleichheit besteht. (Teil 2 und Schluss)

Die bürgerliche Schulpädagogik und die Bildungsbehörden gehen davon aus, dass im Auftrag der Schule zur "Allokation" die Aufgaben der "Qualifikation" und der "Selektion" ihrer Absolventen zusammenfallen.

"Vier gewinnt"

Dabei besteht zwischen dem Erwerb von Wissen und der seltsamen – dem Diktat von Zeit und Noten ausgesetzten – Bewährung dabei ein wesentlicher Unterschied, der sich zum Gegensatz auswachsen kann. Dem Begreifen einer Sache ist es äußerlich, wie lange man dazu braucht, und man weiß auch nicht, was man begriffen oder auch nicht verstanden hat, wenn man die Denkleistung "sehr gut", "befriedigend" oder "mangelhaft" nennt.

Sinn ergeben solche falschen Abstraktionen nur als Mittel des schulischen Konkurrenzvergleichs. Gelegentlich merkt die Schule selbst und reagiert darauf, dass sich Ausbildung und Auslese in die Quere kommen können. „PISA“ hat durchaus gezeigt, dass ein Dreier-Durchschnitt im Lesen, Schreiben und Rechnen und die elementare Beherrschung dieser Kulturtechniken zwei Paar Stiefel sind.

In Baden-Württemberg soll an knapp 40 Grundschulen ausprobiert werden, ob ein Lernen ohne Noten nicht "nachhaltiger" ausfällt, usw. Ihre „Allokationsfunktion“ wird die Schule darüber sicher nicht verlieren.

Eine andere Folge des Lernens unter Konkurrenzbedingungen ist das jedem in Erinnerung gebliebene instrumentelle und opportunistische Verhältnis, das Schüler dazu einnehmen. Das erklärt, warum das Prinzip "Vier gewinnt" unter ihnen so populär ist, mit dem man ausdrückt, dass man in Mathematik, Chemie oder Französisch zwar nichts Substanzielles verstanden hat, aber mit der Bewertung "ausreichend" noch versetzt wird.

Was vom "Bulimie-Lernen" übrig bleibt

Parallel dazu ergibt sich eine Art des Wissenserwerbs, der plakativ auf "Bulimie-Lernen" getauft wurde, von dem also nach dem Einpauken und fristgerechten Ausspucken im Erfolgsfall die selbstbewusste Erinnerung bleibt, unter Druck nicht versagt zu haben. Stolz macht offenbar auch die Erfahrung, dass das Fingieren von Wissen, also das Spicken oder Abschreiben, oftmals das gleiche Resultat erbringen kann wie die Kenntnisse selbst.

Eine weitere Aufgabe und Wirkung des Bildungswesens kennt die Schulpädagogik unter dem Namen "Legitimationsfunktion". Gelegentlich kritisch, meist aber zustimmend wird diese laut Wikipedia so definiert: "Schulsysteme sind Instrumente der gesellschaftlichen Integration. In ihnen ist die Reproduktion von solchen Normen, Werten und Weltsichten institutionalisiert, die zur Stabilisierung der sozialen und politischen Verhältnisse dienen."

Erziehung zur Akzeptanz sozialer Ungleichheit

Ähnlich ein pädagogisches Institut aus Bozen: "Die Schule soll bei den Heranwachsenden Loyalität gegenüber dem bestehenden politischen und gesellschaftlichen System entwickeln, und dies besonders durch das Akzeptieren der Berechtigung sozialer Ungleichheit." Zwei Bemerkungen dazu:

Erstens ist es sehr konsequent, wenn die Schule nicht nur Sprachen oder Naturwissenschaften zum Gegenstand der Leistungsunterscheidung macht, sondern in gleicher Weise auch ihren Auftrag zur staatsbürgerlichen Erziehung. "Normen und Werte" werden als Bestandteil von Fächern der Gesellschaftskunde unterrichtet und abgeprüft, wobei sich die Lehrenden gewiss sind, dass in den präsentierten "Weltsichten" verbürgtes Wissen vorliegt.

Das Grundschulkind vernimmt zum Beispiel, den Bäckerladen gebe es wegen der Brötchen, und Fabriken sprängen mit Arbeitsplätzen ein, weil nicht alle Leute ein Geschäft besäßen. Polizei und Armee wären für Ordnung und Frieden da, und Politiker würden sich um das Ganze kümmern, wofür die Bäcker, Polizisten und der Papa auf Schicht nun mal keine Zeit hätten.

Warum manche Bäckereien und Handwerker derzeit zumachen, weil die Lohntüten der Papas nur noch den Discounter und "Do it yourself" hergeben, lässt sich nicht mehr spielerisch, sondern erst später lernen. Dann, wenn die Schüler in die Hefte schreiben, die Marktwirtschaft biete die adäquate Antwort auf das Problem der "Knappheit", denn die Gütermengen seien begrenzt, die Konsumwünsche aber endlos.

Dass der Kapitalismus umgekehrt einen Warenreichtum hervorbringt, indem er die Fähigkeit der Lohnabhängigen beschränkt, denselben zu kaufen, wird als Fehlentwicklung gedeutet, die eine richtige Wirtschaftspolitik aber immer wieder beheben würde. Im Lehrbuch steht auch, es brauche den Staat, weil der Mensch ein Wolf ist, und auch der Staat selbst sei demokratisch einzuhegen, damit er nicht seinerseits zum Raubtier wird.