Neun-Euro-Ticket: Nachricht von einem anderen Planeten

Wirtschaftsliberale zeigen sich in der Debatte um Mobilität klassenbewusst. Symbolbild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay (Public Domain)

Für eine kurze Zeit hatte das Billigticket auch Menschen mit geringem Einkommen Mobilität und soziale Teilhabe beschert. Doch in der Welt der Macht und des Geldes interessiert das niemanden.

Bei all den Sorgen wegen Inflation und explodierenden Energiekosten war das Neun-Euro-Ticket für sehr viele Menschen in diesem Sommer ein Lichtblick, eine wirkliche Entlastung, die Kosten sparte und ein ganz neues Gefühl der unbeschwerten Nutzung von ÖPNV und Regionalbahnen schuf. Die Zahl der beim Fahren ohne Fahrschein Erwischten ging drastisch zurück. Neun Euro im Monat konnte sich fast jeder leisten.

Das war auch für die Gerichte und Gefängnisse eine enorme Entlastung. Allein in Berlin müssen sich Richter jährlich mit 40.000 Fällen beschäftigten, in denen Angeklagten das "Erschleichen einer Beförderungsleistung" vorgeworfen wird. Rund 65.000 Menschen pro Jahr werden deshalb bundesweit zu Geldstrafen verurteilt; und Tausende sitzen in den Gefängnissen, weil sie die Strafe nicht bezahlen können.

Der Paragraph 265a im Strafgesetzbuch, der die Grundlage dafür ist, ist übrigens eine regelrechter Klassenkampfparagraph: Nicht nur das Fahren ohne Fahrschein, sondern auch der "Zutritt zu einer Veranstaltung oder Einrichtung" in der Absicht, das Eintrittgeld nicht zu bezahlen, wird als Straftat definiert. Die Armen trifft die volle Härte des Gesetzes.

Daran nimmt auch der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann keinen Anstoß. Schließlich ist der deutsche Liberalismus ja seit jeher vor allem Wirtschaftsliberalismus und hat meist sehr wenig mit bürgerlichen Freiheiten für die weniger Begüterten zu tun. "Gratismentalität" wird denjenigen vorgeworfen, die mit dem Neun-Euro-Ticket erstmals unbeschwert mobil waren. So kann sich Buschmann dann auch nur vorstellen, die Haftzeiten für das Fahren ohne Fahrschein zu verkürzen. Abschaffen will er sie nicht.

Tief sitzende Abneigung gegen einkommensarme Menschen

Die Abneigung – um nicht zu sagen, der Hass – dieser Liberalen gegen die Armen geht so weit, dass sie bestenfalls einem 49-Euro-Ticket zustimmen wollen, obwohl Greenpeace ihnen vorgerechnet hat, dass man ein Monatsticket für den bundesweiten ÖPNV auch für 29 Euro verkaufen könnte, ohne dass es die öffentliche Hand mehr kosten würde. Der einfache Grund: Es würde wesentlich häufiger verkauft werden.

Das legt auch eine Untersuchung des Instituts Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt nahe. Die Erfurter Mobilitätsforscherinnen und Mobilitätsforscher hatten 6000 Fragebögen in ihrer Stadt verteilt und 1157 zurückbekommen. Das Ergebnis: Die Menschen wünschen sich ein dauerhaft günstiges Ticket, mit dem sie überall fahren können, und wären im Durchschnitt bereit 25 Euro dafür auszugeben.

Was aber vielleicht noch viel wichtiger ist: Die Studie ergab auch, dass das Neun-Euro-Ticket vor allem für Menschen mit geringem Einkommen einen erheblichen Zugewinn an sozialen Kontakten und an Mobilität bedeutete.

Während sich konservative und liberale Politiker des Öfteren abfällig darüber äußerten, die Menschen würden das Ticket ja "nur zum Reisen" nutzen, sprechen die Erfurter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von mehr sozialer Teilhabe und einer gesteigerten Lebenszufriedenheit vieler Befragter in den unteren Einkommensgruppen "durch vermehrte Sozialkontakte, außerhäusige Aktivitäten und die verbesserte Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge".

Das können sich Politiker, die mit einem Porsche auf Sylt herum brausen oder dorthin im Privatjet fliegen, natürlich nicht recht vorstellen. Für sie sind das offensichtlich Nachrichten von einem anderen Planeten, deren Bewohner nur als billige Arbeitskräfte interessieren.

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