Warum es gefährlich ist, ukrainische Kriegsopfer herunterzuspielen

Am 7. März 2023 wurde der ukrainische Kommandeur Dmytro Kotsiubailo bei einem Kampfeinsatz in der Nähe von Bachmut getötet. Bild: Armyinform.com.ua

Im Westen ist fast nichts über die ukrainischen Opfer zu hören. Das hat fatale Effekte. Unterstützen die US-Amerikaner die brutale Zermürbung, weil die Berichterstattung verzerrt ist?

"Die Ukraine wird gewinnen." Eine Abwandlung dieses Satzes ist zum inoffiziellen Mantra der US-Politik gegenüber dem Ukraine-Krieg geworden, das in zahllosen Kolumnen, Interviews und Reden geäußert wird. In ihnen wird zugleich ein unbefristetes Engagement der USA für die ukrainischen Kriegsanstrengungen versprochen und den politischen Entscheidungsträgern vorgeworfen wird, dass sie keine größeren Mengen und noch mehr Eskalation erzeugende Waffentypen bereitstellen.

Der damalige britische Premierminister Boris Johnson hat sich Berichten zufolge zu Beginn des Krieges gegen Friedensgespräche auch auf der Grundlage ausgesprochen, dass die Ukraine mit ausreichender Unterstützung Russland militärisch besiegen könne, weil das Land schwächer erschien, als viele zuvor dachten.

Branko Marcetic schreibt für Jacobin, Washington Post und Guardian.

Diese Haltung wurde durch die unbestätigten Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangten, über die erheblichen Schäden, die dem russischen Militär zugefügt wurden, noch verstärkt.

Abgesehen von dem verheerenden Verlust an Ausrüstung – nach einer Schätzung die Hälfte der einsatzfähigen Panzer und bis zu acht Prozent der aktiven taktischen Kampfflugzeuge – scheint sich der Konsens unter westlichen Stellen hinsichtlich der Zahl der russischen Opfer auf schwindelerregende 200.000 zu belaufen. Das wären für Russland mehr Tote als in allen seinen anderen Konflikten nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengenommen.

Doch die zentrale Behauptung eines fast sicheren ukrainischen Militärsiegs über dezimierte russische Streitkräfte wird in Ermangelung eines wichtigen Maßstabs für die militärische Lage aufgestellt: nachprüfbare Verluste auf dem Schlachtfeld.

Von Beginn des Krieges bis heute hat die Ukraine, ebenso wie Russland, ihre Verluste als Staatsgeheimnis behandelt, das so streng gehütet wird, dass nicht einmal die US-Geheimdienste und -beamten, die die ukrainische Führung in Fragen der Militärstrategie beraten und bei der Kriegsplanung helfen, genau wissen, wie viele Ukrainer im vergangenen Jahr getötet und verwundet wurden.

Und das, obwohl, wie ein ukrainischer Offizier dem Wall Street Journal kürzlich in einem Artikel über den Zermürbungskampf um die Stadt Bachmut sagte, "den Krieg nicht die Partei gewinnt, die Territorium gewinnt, sondern die Partei, die die bewaffneten Kräfte des Gegners vernichtet".

Wir verfügen im besten Fall über unterschiedliche Schätzungen. Im November sagte Mark Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, dass in der Ukraine "wahrscheinlich" mehr als 100.000 Soldaten getötet oder verwundet wurden und 40.000 Zivilisten starben, was sich mit dem öffentlichen Eingeständnis der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in gleichen Monat deckt. Als Folge des allgemeinen Aufschreis sah sie von der Leyen jedoch gezwungen, die Zahl als angeblich ungenau zurückzunehmen.

Im Januar dieses Jahres schätzte der Chef der norwegischen Streitkräfte, Eirik Kristoffersen, die Opferzahl des ukrainischen Militärs auf über 100.000 und die der getöteten Zivilisten auf etwa 30.000 – allerdings betonte auch er die Unsicherheit dieser Zahlen.

Wie auch immer die genauen Zahlen lauten mögen, die Ukraine hat mit Sicherheit sehr gelitten. Im vergangenen Juni behauptete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, das Land verliere "60 bis 100 gefallene Soldaten pro Tag und erleide etwa 500 Verwundete".

Als die Schlacht um Bachmut zum Brennpunkt des Krieges wurde, enthüllte ein Bericht des Spiegels im Januar, dass der deutsche Geheimdienst "alarmiert" sei über die Zahl der ukrainischen Todesopfer, die die Verteidigung der Stadt nach sich ziehe, und kommt zu dem Schluss, dass die ukrainischen Streitkräfte "jeden Tag eine dreistellige Zahl von Soldaten verlieren".

Ein Amerikaner, der an der Seite der ukrainischen Armee in der Stadt kämpft, sagte kürzlich gegenüber ABC, dass "die Lebenserwartung an der Frontlinie etwa vier Stunden beträgt". Mehr als ein Dutzend der dort kämpfenden Soldaten sagten dem Kyiv Independent, sie hätten das Gefühl, dass sie wie ihre russischen Kollegen kaum ausgebildet und mit zu wenig Mitteln in den Tod geschickt würden. Die Zeitung schlussfolgerte, dass die ukrainischen Verluste dort "hoch zu sein scheinen".