Nato und Russland: "Der Ukraine-Krieg ist ein Krieg zur Nato-Erweiterung"

Jens Stoltenberg gestand unlängst einen beachtlichen Grund für den Krieg ein. US-Wissenschaftler waren für dieselbe These verunglimpft worden. Was uns die Debatte lehrt.

Jeffrey D. Sachs – US-Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der New Yorker Columbia-Universität – war als Berater von mehreren UN-Generalsekretären tätig und ist Fürsprecher der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die bis 2030 umgesetzt werden sollen und zu denen auch das Ziel einer friedlichen gesellschaftlichen Entwicklung gehört.


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Sachs ist mit klarsichtigen Analysen über den Ukraine-Krieg und deutlichen Worten für eine Verhandlungslösung an die Öffentlichkeit getreten. Er vertritt die Einschätzung, dass es sich bei dem Ukraine-Krieg um einen Stellvertreterkrieg handelt, der über viele Jahre von den US-Regierungen provoziert worden ist, um ihr weltweite Vorherrschaft aufrechtzuerhalten. Deswegen müsse er von der jetzigen US-Regierung auch beendet werden.

Die größten Provokationen seien der 2014 von den USA unterstützte gewaltsame Sturz des demokratisch gewählten russlandfreundlichen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch gewesen und der US-Plan, die Ukraine in die Nato aufzunehmen.

Kürzlich hat Sachs einen Text mit dem Titel Die Nato gibt zu, dass der Krieg in der Ukraine ein Krieg der Nato-Expansion ist" in dem US-Online-Magazin Other News veröffentlicht.

Diesen Text habe ich mit Erlaubnis des Autors für Telepolis ins Deutsche übertragen und mit einigen Zwischenüberschriften versehen. Voranstellen möchte ich noch folgenden Kommentar.

Anfang September 2023 hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor dem EU-Parlament eine bemerkenswerte Rede gehalten, von der eine sorgfältige und vollständige Transkription in deutscher Sprache von der Schweizer Online-Plattform Globalbridge veröffentlicht wurde.

Darin weist Stoltenberg auf die enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato hin und macht auf zwei Tatsachen über den Ukraine-Krieg aufmerksam, die von den Leitmedien mehrheitlich ignoriert worden sind.

Zum einen handelt es sich um den Umstand, dass Stoltenberg in dieser Rede bestätigt, dass der Krieg in der Ukraine nicht erst im Februar 2022, sondern schon im Jahre 2014 begonnen hat.

Allerdings verschweigt Stoltenberg dabei, dass der von den USA massiv unterstützte Putsch auf dem Kiewer Maidan der konkrete Anlass war, warum sich die Bevölkerungen der Krim und des Donbass von der Ukraine trennen wollten. "Wie so oft: Man kann auch mit dem Verschweigen von Tatsachen die Unwahrheit sagen", heißt es dazu bei Globalbridge.

Und zum anderen findet sich im letzten Teil der Rede von Stoltenberg sein "Ausrutscher", auf den Jeffrey Sachs in seinem von mir übersetzten Artikel eingeht. Sachs vertritt die Position, diese Stellungnahme von Stoltenberg belege, dass die USA und die Nato blind und taub für die legitimen Sicherheitsinteressen anderer Länder seien.

Deshalb sei noch einmal an eine im Mai 2023 veröffentlichte ganzseitige Anzeige zum Krieg in der Ukraine in der New York Times erinnert, die von 14 renommierten US-Sicherheitsexperten unterzeichnet worden ist, zu denen auch Sachs gehörte.

Es handelt sich um eine höchst bemerkenswerte Anzeige, die von Eisenhower Media Network erstellt und finanziert worden ist. Der Text enthält zwei aussagekräftige Abbildungen, die dort untereinander platziert worden sind.

Die erste Abbildung zeigt eine Landkarte von Europa einschließlich des europäischen Russlands, in der die derzeitigen Militärbasen der USA und der Nato in den europäischen Ländern und im Vorderen Orient eingezeichnet sind, während die zweite Abbildung mit der Überschrift "Was ist, wenn der Spieß umgedreht wird?" eine Karte der USA mit eingezeichneten hypothetischen russischen Militärbasen in Mexiko, auf den karibischen Inseln und in Kanada darstellt.

Wem fällt bei der Ansicht dieser Bilder nicht das Sprichwort ein: "Was du nicht willst, das(s) man dir tu', das füg auch keinem andern zu"? Diese Regel setzt aber voraus, dass man den anderen als gleichberechtigt anerkennt.

Aber das wird in der internationalen Politik nicht von allen Parteien gleichermaßen anerkannt und praktiziert. Auf der US-amerikanischen Seite steht dem die herrschende Ideologie des Exzeptionalismus und des Unilateralismus entgegen.

Dabei ist der US-amerikanische Exzeptionalismus eine nationalistische Ideologie, die auf dem Postulat basiert, dass USA eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Nationen einnehmen und ihnen, d. h. ihren Eliten, deshalb alles erlaubt ist, was in ihrem Interesse liegt.

Und Unilateralismus bedeutet im Prinzip das Gleiche, nämlich "Einseitigkeit". In der Politik versteht man darunter das Handeln eines Staates im eigenen Interesse ohne Rücksicht auf die Interessen anderer.

Deshalb habe ich mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass in der Anzeige der US-Sicherheitsexperten in der NYT der Unilateralismus, der die US-Außenpolitik prägt, im Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung kritisch hinterfragt wird.

Dieser Unilateralismus vonseiten der USA muss zugunsten der Anerkennung eines Multilateralismus bzw. einer Multipolarität in den internationalen Beziehungen überwunden werden, wenn die Welt eine Zukunft haben soll.

In einer zu schaffenden multipolaren Welt könnten dann die Großmächte, die zugleich Atommächte sind, auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen, der Prinzipien der friedlichen Koexistenz und einer Gemeinsamen Sicherheit zusammenleben und bei der Bewältigung der großen Probleme der Menschheit konstruktiv zusammenarbeiten.

Die wichtigsten gemeinsamen Probleme sind die Gefahr eines Atomkriegs, die heute so groß ist wie zu keiner Zeit seit 1962, der Klimawandel und der Hunger in der Welt.

Im Folgenden die Übersetzung des Artikels von Jeffrey D. Sachs.

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