AKW-Abschaltung ohne garantierte Milliardengewinne?

Seite 2: Spanien bremst beim Ausbau der Erneuerbaren

Einen stärkeren Ausbau von erneuerbaren Energien hatte auch Oettinger einst gefordert, da darüber die Energieabhängigkeit Spaniens hätte gesenkt werden können.

Das Sonnen-, Wind- und Wellenland müsste heute nicht sehr viel Geld für Gas oder Öl ausgeben, um es klimaschädlich zur Stromerzeugung zu verbrennen. Oettinger hatte auch gute Argumente gegen den angeblichen Wegfall von einigen tausend Arbeitsplätzen in der Atomindustrie, die von der Atomlobby ebenfalls erneut argumentativ bemüht werden.

"Ein starker Ausbau der erneuerbaren Energiequellen bis 2030 könnte mehr als drei Millionen Arbeitsplätze schaffen", heißt es zu Spanien in einen EU-Strategiepapier. Hingewiesen wurde darin auch darauf, dass darüber die internationale Wettbewerbsfähigkeit Spaniens gestärkt werden würde, "da Industriezweige mit sauberen Technologien weltweit immer größere Bedeutung erlangen".

Nichts davon ist allerdings passiert. Lange Zeit wurde sogar genau das Gegenteil praktiziert. Die ultrakonservative Vorgängerregierung hatte nicht nur das absurde Tarifsystem geschaffen, sondern auch beim EE-Ausbau massiv auf die Bremse getreten und damit Spanien in einem Zustand der Abhängigkeit und Erpressbarkeit gehalten.

Die Volkspartei (PP) hatte sogar eine Sonnensteuer eingeführt, um weitgehend erfolgreich zu verhindern, dass sich die Bevölkerung Photovoltaikanlagen auf die Dächer setzt, um damit die eigenen Stromrechnungen zu senken und die Energieabhängigkeit des Landes zu verringern.

Diese absurde Sonnensteuer der PP wurde zwar von den Sozialdemokraten (PSOE) inzwischen abgeschafft, aber die "progressivste Regierung" in der Geschichte des Landes, wie sie sich selbst bezeichnet, hat bisher kaum etwas dafür getan, um die Produktion auf den Hausdächern auch für den Eigenverbrauch zu fördern.

Gerade darüber könnten nicht nur die Stromrechnungen der Verbraucher gesenkt, sondern zudem ein stärkeres Angebot geschaffen werden, womit die Preise ebenfalls unter Druck kämen.

Absurdes Tarifmodell für Strom

Massive Anreize auch für die Eigenproduktion zu schaffen, wäre vor allem nötig gewesen, bevor die sozialdemokratische Regierung übereilt und basierend auf falschen Prognosen kürzlich ein neues Tarifmodell für Endverbraucher eingeführt hat. Auch darüber wurden die Preise für die Endverbraucher stark erhöht und dem Strom-Oligopol neue Milliarden zugeschoben. Begründet wurde das neue Modell mit Klimaschutz und "ökologischer Nachhaltigkeit".

Es solle ein bewussterer Umgang der Konsumenten mit der Energie erreicht und die Infrastruktur besser genutzt werden, erklärte die Regierung im Juni. Damals rechneten die der Regierung nahestehenden Zeitungen wie El País diese absehbare reale Preiserhöhung für die Bevölkerung schön. Sie behaupteten, durch gezielten Strom-Einsatz könne die Stromrechnung sogar vermindert werden.

An dieser Stelle wurde bereits aufgezeigt, dass dies illusorisch ist. Bestenfalls wäre das möglich gewesen, wenn man größere Verbraucher wie Heizungen, Klimaanlagen, Waschmaschinen oder Herde nur in der Nacht benutzen würde. Es kam aber über die steigenden Großhandelspreise sogar noch schlimmer.

Obwohl die Regierung zwischenzeitlich sogar schon wieder Notmaßnahmen ergriffen hat, um die enorm steigenden Stromrechnungen der Verbraucher zu senken, steigen deren Stromrechnungen aber weiter stark. So wurde im Sommer die Mehrwertsteuer auf Strom für gut zehn Millionen Kleinverbraucher von 21 auf zehn Prozent gesenkt und eine Steuer auf die Energieerzeugung in der Höhe von sieben Prozent gestrichen.

Da die Sozialdemokraten wieder einmal nur an den Wirkungen herumgedoktert hatten, statt an die Ursachen zu gehen, verpufften diese Maßnahmen fast vollständig, brachten aber Mindereinnahmen bei Steuern. Bestenfalls wurden über sie die Erhöhungen der Stromrechnungen etwas gedämpft. Tatsächlich sind die Preise für die Durchschnitts-Endverbraucher in einem Jahr aber um 35 Prozent gestiegen. Seit Januar ist der Preis bis August sogar um 26 Prozent angeschwollen. Im Vergleich zum Vormonat waren es im August schon fast acht Prozent.

In allen drei kürzlich neu eingeführten Preiszonen des Tagesverlaufs liegen die Durchschnittspreise nun längst deutlich über denen im August des Vorjahres. Das haben Verbraucherschützer vorgerechnet. Vor einem Jahr kostete die Kilowattstunde die Verbraucher durchschnittlich noch gut zwölf Cent. Nun sind es im Durchschnitt nach Berechnungen von Facua schon mehr als 22 Cent.

Sogar in der Nacht, wo der Strom als Anreiz eigentlich von 24 bis acht Uhr am Morgen besonders billig sein sollte, wurde in der ersten Augusthälfte schon ein Preis von mehr als 15 Cent fällig. In der teuersten Preiszone (hora punta) von 10 bis 14 und von 18 bis 22 Uhr mussten spanische Verbraucher mit 31 Cent pro Kilowattstunde mehr als die Verbraucher in Deutschland bezahlen.

Bezieht man die Kaufkraft in diese Rechnung ein, dann ist der Strom in Spanien real viel teurer als in Deutschland, wie auch hier herausgearbeitet wurde.

Klar ist, dass der politische Druck auf die Sánchez-Regierung deutlich gestiegen ist. Sogar im Urlaubssommer kam es zu Protesten gegen die Einführung des Zeitzonen-Systems und später auch gegen die ansteigenden Rechnungen über die wachsenden Großhandelspreise.

Denn die versprochenen Erleichterungen der Stromrechnungen kamen nämlich nicht. Angesichts immer neuer Rekordpreise versucht Sánchez nun die Flucht nach vorne. Auch um die Steuerausfälle durch Vergünstigung auszugleichen, die nun bis März verlängert werden sollen, will die Regierung nun 2,6 Milliarden Euro aus den aus dem Himmel gefallenen Gewinnen abgreifen.

Die Energieriesen sollen, allerdings auch wieder nur zeitlich befristet, einen Teil des Stroms aus der Atom- und Wasserkraft zum realen Preis außerhalb der Strombörse verkaufen, um die Strompreise zu senken. Die Unternehmen könnten "es sich leisten", erklärte der Regierungschef.

Senkung der Strompreise

Ob eine Senkung der Strompreise, noch dazu im Ausmaß von 22 Prozent, realistisch ist, ist mehr als zweifelhaft. Und eine Reform des absurden Tarifsystems, wie sie schon Oettinger gefordert hatte, ist das wahrlich auch nicht. Daran traut sich die Sánchez-Regierung nicht heran. Dabei könnte eigentlich nur darüber dafür gesorgt werden, dass die Strompreise im Verhältnis zu den Gestehungskosten stehen können.

Die Sozialdemokraten versuchen sich angesichts der steigenden Empörung wieder einmal mit Flickwerk, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und möglichen Protesten schon im Vorfeld die Spitze zu nehmen. Der Unmut gegen diese Politik wird allerdings immer größer, da diese Regierung bekanntlich auch viele andere Versprechen einfach nicht umgesetzt hat, wie die Abschaffung der Arbeitsmarktreform oder des Maulkorbgesetzes der Vorgänger. Stattdessen bastelt sie sogar an höchst fragwürdigen repressiven Gesetzen, die sogar Zwangsverpflichtungen und die Gleichschaltung der Medien in einem "Krisenzustand" vorsehen.

Der politische Wille zu wirklichen Änderungen bei den Sozialdemokraten ist gering und sie werden dazu auch nicht vom linken Koalitionspartner "Unidas Podemos" gezwungen, der bisher jede Kröte fast widerstandslos geschluckt hat. Das ist natürlich auch der Atomlobby bekannt, die sich nun frühzeitig auf die Hinterfüße stellt, um reale Veränderungen zu verhindern.

Denn sie weiß auch, dass die beiden Regierungsparteien zwar den Ausstieg aus der teuren und gefährlichen Atomkraft versprochen hatten, aber in der Realität genau das Gegenteil passiert. Durch die Hintertür werden sogar die Laufzeiten von Schrottreaktoren und Gelddruckanlagen verlängert. Dabei hatte die "progressive" Regierung angekündigt, dass kein Atomkraftwerk länger als die 40 Jahre laufen werde, für die sie längstens ausgelegt waren.

Populistisch hat Sánchez angesichts der Drohungen der Atomlobby nun erklärt:

Die Regierung wird stets die Interessen der Bürger vor jeglichen Partikularinteressen oder gegen jeden Druck verteidigen.

Pedro Sánchez

Glauben muss man das nicht, denn bisher hat das seine Regierung weder in der Energiefrage noch an anderen Punkten getan und praktisch alle Wahlversprechen nicht erfüllt oder gebrochen.

Anzumerken ist, dass auch die Drohung mit den Abschaltungen nur eine leere Drohung ist. Sogar in der regierungsnahen in El País ist nachzulesen, dass die Atomkraftwerksbetreiber die Anlagen nicht einseitig schließen können: "Sie müssen eine Stilllegung beim Ministerium beantragen, das nach einem Bericht des Netzbetreibers Red Eléctrica entscheidet."

Die Rechtslage schreibt zudem vor, dass es für eine endgültige Stilllegung eines Berichts des Netzbetreibers bedarf, in dem mögliche Auswirkungen der Stilllegung auf die Versorgungssicherheit dargelegt werden müssen. Lehnt das Ministerium die Abschaltung auf Basis des Berichts ab, können die Betreiber nur auf Entschädigung vor Gericht klagen.

Trotz allem ist zu erwarten, dass Sánchez gegenüber den Energieriesen einknicken und ihre Zusatzgewinne ebenfalls praktisch unangetastet lassen wird. Dem Druck mächtiger Lobbys ist es auch zu verdanken, dass die Arbeitsmarktreform der Konservativen bisher unangetastet blieb.