AfD-Machtübernahme: Mehr Rechtsstaat gegen den rechten Staat?

Björn Höcke, AfD. Bild: Ryan Nash Photography, Shutterstock.com

Verfassungsschutz, Verfassungsgericht, Kultusminister. Die drohende "Machtergreifung" der AfD schürt Aktionismus. Wie weit darf das in einer Demokratie gehen?

Die Machtergreifung" scheint näher zu rücken. Nachdem die Alternative für Deutschland (AfD) in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen (32,8 Prozent) und Sachsen (30,6 Prozent) hohe Ergebnisse erzielt hat und Umfragen zufolge auch in Brandenburg (29 Prozent) mit einer hohen Zustimmung in der Bevölkerung rechnen kann, mehren sich die Stimmen, die vor einem Umbau des Rechtsstaates und einem Bruch mit den Grundsätzen der Verfassung warnen.

Dabei können die Maßnahmen der "wehrhaften Demokratie" gegen die "Machtergreifung" selbst als weitreichende Eingriffe in das rechtsstaatliche Gefüge verstanden werden.

Doch zunächst der Versuch einer Bestimmung, worauf sich die extremen Gegenmaßnahmen gegen die in Teilen rechtsextreme Partei gründen.

Maßnahmenkatalog gegen die Kernwählerschaft?

Verschiedene Medien haben sich bereits mit der Frage beschäftigt, welche Politik eine Regierungsbeteiligung der AfD zur Folge haben könnte.

Für den Fall einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene hatte die Partei bereits im vergangenen Jahr einen Zehn-Punkte-Plan mit "Sofortmaßnahmen" vorgelegt, die sie umsetzen wolle. Das ZDF hat diese in einem Beitrag zusammengefasst:

  • Senkung der Energiekosten, um eine "Deindustrialisierung Deutschlands" abzuwenden.
  • Eine rigide Flüchtlingspolitik.
  • Rücknahme der Coronamaßnahmen und Volksentscheide.
  • Reaktivierung abgeschalteter und der Bau neuer Atomkraftwerke
  • Abschaffung des Verbots von Öl- und Gasheizungen
  • Aufhebung des Verbrennungsverbots
  • Abschaffung der CO2-Abgabe auf Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel.
  • Erhöhung der Pendlerpauschale auf 50 Cent ab dem ersten Kilometer.

Weitere kritische Punkte sind die Abschaffung des Spitzensteuersatzes und der Erbschaftssteuer. Nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaft, Marcel Fratzscher, würde gerade die Kernwählerschaft der AfD unter einer solchen "extrem neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik" am meisten leiden.

Im Vorfeld der Brandenburg-Wahl haben andere Medien weitere Punkte im Wahlprogramm der AfD ausgemacht, die den politischen Kurs radikal zum Negativen verändern könnten: Dazu gehört die proklamierte "Rückkehr zum Leistungsprinzip" in der Bildung, in der Kritiker eine Diskriminierung wirtschaftlich Benachteiligter sehen.

Die proklamierte Rückkehr zur "traditionellen Familie" und zur "individuellen Kinderbetreuung" wird dagegen mit einer Verschlechterung der Betreuungssituation vorwiegend für Kleinkinder gleichgesetzt.

Mit der Forderung nach einem guten Verhältnis zu Russland macht sich die AfD primär dort unbeliebt, wo diplomatische Beziehungen angesichts eines "unprovozierten Angriffskrieges" für indiskutabel gehalten werden.

Für den konkreten Fall einer Regierungsübernahme in Thüringen berichtete der MDR – selbst gelegentlich wegen seiner Kooperation mit dem Verfassungsschutz kritisiert – über den Fünf-Punkte-Plan des als rechtsextrem eingestuften AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke.

Dieser sieht vor:

  • im Namen des Freistaats Thüringen die Bundesregierung wegen ihrer Flüchtlingspolitik zu verklagen.
  • den Thüringer Verfassungsschutz zu "demokratisieren" und seine "Gesinnungsschnüffelei" zu beenden.
  • alle Fördermittel für Demokratie, Vielfalt und den Kampf gegen Rechtsextremismus zu streichen.
  • den Klimaschutz im Freistaat zu beenden.
  • den Medienstaatsvertrag zu kündigen.

Verfassungsschutz: Abschottung eines ganzen Bundeslandes?

Für den Fall einer Regierungsübernahme wurden bereits Szenarien diskutiert, wie eine Antwort der "wehrhaften Demokratie" aussehen könnte. Insbesondere der Umgang mit einem von der AfD geführten Landesverfassungsschutz stand dabei im Mittelpunkt der Debatte.

Laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) von Anfang August hätten Personen "aus Sicherheitskreisen in Bund und Ländern" bereits erwogen, in einem solchen Fall den Informationsfluss zwischen den Landesämtern für Verfassungsschutz und den von der AfD geführten Landesämtern zu unterbinden. So solle verhindert werden, dass vertrauliche Informationen in die Hände der AfD gelangen und "Ausspähversuche" durch das Landesamt unterbunden werden, wie das ZDF im August einen "hochrangigen Verfassungsschützer" zitierte.

Zudem wird eine Abschottung und damit "Blindheit" gegenüber extremistischen Bestrebungen im Einflussbereich des AfD-geführten Landesamtes befürchtet und über eine "andere Prioritätensetzung" bei der Beobachtung der linksextremistischen und islamistischen Szene spekuliert. Mit dem Umbau gegen den Umbau

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fragte kürzlich bei mehreren Landesämtern sowie beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach, ob sie einen Ausschluss Thüringens aus dem Verbund tatsächlich für eine gangbare Lösung hielten. "Sie wollten sich dazu aber nicht äußern", bilanziert die Zeitung. "Vielleicht auch deshalb, weil es für Thüringen noch eine Möglichkeit gibt, das Dilemma zu lösen", so die NZZ weiter.

Diese bestünde darin, dass der neue Landtag das Verfassungsschutzgesetz von der Zweidrittelmehrheit wieder auf eine einfache Mehrheit umstellt. Aber würde man damit nicht einer befürchteten Umwälzung des Rechtsstaates mit einer Umwälzung des Rechtsstaates begegnen? Ähnlich verhält es sich mit der Reform des Bundesverfassungsgerichts, die die Ampelfraktionen gemeinsam mit der Union auf den Weg gebracht haben und die die Karlsruher Richter jüngst in einer öffentlichen Stellungnahme begrüßten.

Die Initiative sieht vor, bestimmte Strukturen des Gerichts im Grundgesetz zu verankern. Dazu gehören die Stellung des Gerichts, die Aufteilung in zwei Senate, die Zahl der Richter sowie die maximale Amtszeit von zwölf Jahren und die Altersgrenze von 68 Jahren. Für eine Verankerung im Grundgesetz wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich, bisher reicht eine einfache Mehrheit.

Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) hat kürzlich ihr Einstimmigkeitsprinzip geändert, um zu verhindern, dass ein einzelnes Bundesland wichtige Entscheidungen blockieren kann – für den Fall, dass die AfD ein Bildungsministerium übernimmt. Bisher mussten alle Bundesländer zustimmen, damit Beschlüsse gefasst werden konnten. Jetzt reicht eine Mehrheit von 13 Ländern.

Mit der EU gegen die AfD?

Anlässlich der Landtagswahl in Thüringen hat das auf Rechtsfragen spezialisierte verfassungsblog.de ein Projekt gestartet, das sich mit der "Resilienz von Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland" beschäftigt. Das Thüringen-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, bis zur Landtagswahl zu recherchieren,

welchen Spielraum eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hätte, ihre Macht zum Schaden der Demokratie einzusetzen und sich im Falle einer Regierungsübernahme oder -beteiligung gegen rechtsstaatliche Bindung und Kontrolle, demokratischen Wettbewerb und öffentliche Kritik zu immunisieren. verfassungsblog.de

Einer der Beiträge, die verfassungsblog.de in der Projektrubrik versammelt, stammt von Luise Quaritsch, Policy Fellow am Jacques Delors Centre. Quaritsch, die bereits für die Europäische Kommission und die Universität der Vereinten Nationen tätig war, hatte am 28. August in ihrer Analyse https://www.delorscentre.eu/en/publications/detail/publication/no-eu-money-for-thuringia festgestellt, dass eine Machtübernahme der AfD sogar von der EU-Ebene aus beschränkt oder sanktioniert werden könnte.

Quaritschs Argument: Auch Landesregierungen müssten sich an die Grundwerte der EU halten. Das Einfrieren von EU-Geldern wäre laut der Politikwissenschaftlerin das effektivste Mittel, um die Einhaltung dieser EU-Grundwerte sicherzustellen.

Auch dieses Vorgehen erscheint angesichts der rechtsstaatlichen Souveränität zumindest grenzwertig, zeigt aber, welche Wege die wehrhafte Demokratie" zu gehen bereit ist. Nicht nur in Thüringen.