Afghanistan: 30 tote Taliban oder über 70 tote Zivilisten?

Luftangriffe mit Bombern oder Drohnen sind keineswegs so präzis, wie sie gerne dargestellt werden, allerdings ist es mit der Wahrheit im Krieg schlecht bestellt

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Propaganda und Falschmeldungen gibt es nicht nur am Kaukasus, sondern natürlich auch in den anderen Konfliktgebieten. So sind nach Angaben des afghanischen Innenministeriums bei einem Luftangriff der von den USA geführten Alliierten in der Provinz Herat 76 (19 Frauen, 7 Männer und 50 Kinder) oder gar 91 Zivilisten, zumeist Frauen und Kinder, ums Leben gekommen, weitere seien verletzt worden. Bis zu 15 Häuser seien zerstört worden.

F-15E Strike Eagle im Einsatz in Afghanistan. Bild: USAF

Aus Sicht des Pentagon hat man allerdings eine erfolgreiche Mission ausgeführt und mehr als 30 Aufständische sowie den Taliban-Kommandeur Mullah Sadiq von diesen getötet. Zuvor seien afghanische und Koalitionstruppen, die den Führer der Aufständischen gefangen nehmen wollten, angegriffen worden. Sie hätten dann die Stellung der Aufständischen unter Beschuss genommen und Luftunterstützung angefordert. Durch die Bombardierung seien dann die Aufständischen getötet worden, aber keine Zivilisten. Man habe zudem ein Waffenlager gefunden. Der für den Distrikt zuständige Vertreter des Gouverneurs habe die Operation für gut befunden.

Am [http://www.defenselink.mil/news/newsarticle.aspx?id=50894 selben Tag] wurde ebenfalls in der Provinz Herat eine weitere erfolgreiche Mission im Sinne des Pentagon durchgeführt und dabei angeblich wieder mehr als 30 "Militante" getötet. Waren es in dem einen Fall Taliban oder Aufständische, so sind es hier Militante. Die vage Beschreibung verschleiert, dass es nicht den einen Gegner gibt, sondern ebenso wie im Irak eine Vielzahl von Gruppierungen mit unterschiedlichen, manchmal nur lokalen oder regionalen Interessen. Die Combined Joint Task Force 101 beschreibt die Aktion hier so, dass afghanische und Koalitionstruppen Razzien durchführen wollten und dabei von Militanten beschossen worden seien. Erst nachdem 200 Zivilisten hätten fliehen können, habe man das Feuer erwidert und Luftunterstützung angefordert. Aus der Luft sei eine Stellung der Militanten zerstört und mehr als 30 getötet wurden. Es habe keine toten Zivilisten gegeben.

Mit kleinen Variationen handelt es sich um dasselbe Drehbuch, das einerseits den Erfolg des Kampfs herausstreichen und andererseits klar stellen soll, dass es keine Kollateralschäden gegeben hat. Die Vorwürfe, dass besonders mit den Angriffen aus der Luft oft falsche Ziele zerstört und Zivilisten getötet werden, reichen weit zurück (Afghanistan: Bomben auf die Hochzeit, Präzisionsangriffe in Afghanistan). Selbst der afghanische Präsident Karsai musste des Öfteren diese Kritik äußern, da solche Angriffe auf Zivilisten nicht nur das Ansehen der Koalitionstruppen weiter untergraben, sondern auch das der Regierung, die von den Koalitions- und den ISAF-Truppen gestützt wird. Der Sprecher des Weißen Hauses, Gordon Johndroe, übte sich auf einer Pressekonferenz erst einmal darin, die Informationen aus dem afghanischen Ministerium zu bezweifeln., da die USA und die Nato ihre Verpflichtung sehr genau einhalten würden, Opfer unter Zivilisten zu vermeiden.

Das Innenministerium habe, so eine Mitteilung desselben, eine Delegation aus Vertretern der Armee, der Polizei und der Geheimdienste, zu dem Ort geschickt, um den Vorfall zu untersuchen. Sie habe die Angaben bestätigt. Allerdings gibt es auch innerhalb der afghanischen Ministerien unterschiedliche Einschätzungen. So spricht das Verteidigungsministerium, das allerdings selbst unter Kritik käme, wenn die anderen Berichte zuträfen, von 25 getöteten Aufständischen und von 5getöteten Zivilisten (3 Frauen, zwei Kinder). Da kann man mit den Zahlen schon spielen, immerhin wären die getöteten Aufständischen unter den Opfern noch in der Mehrzahl. Andere Berichte, so die BBC, variieren in den Opferzahlen, sprechen aber meist von Zivilisten.