Alexej Nawalny - ein Märtyrer für die Freiheit?

Alexei Nawalny 2020. Bild: Michał Siergiejevicz, CC-BY-2.0

Alexej Nawalnys Tod erschüttert die liberale Welt. Ist er Russlands neuer Freiheitsmärtyrer? Wofür er stand und wofür er sterben musste.

Am Freitagabend war der Boulevard Unter den Linden in Berlin weiträumig abgesperrt. Einige Tausend Menschen wollten nach der Meldung vom Tod des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny ihre Wut und ihre Trauer vor die russische Botschaft in Berlin tragen. Dort dominierten die Rufe "Der Mörder ist Putin", aber auch sachlichere Parole wie "Mord auf Raten".

Das war eine nachvollziehbare Reaktion. Denn egal, wie man zum Programm von Nawalny steht, ist er auch ein Symbol für den russischen Staatsautoritarismus, der jede Alternative zu Putin kriminalisiert. Dabei entwickelte Nawalny seine Gefährlichkeit für die gegenwärtige Herrschaft gerade, weil er sich selbst als Alternative innerhalb des russischen Nationalismus verstand.

Zumindest in den ersten Jahren stand Nawalny eindeutig rechts von Putin, wenn er beispielsweise gegen Einwanderer aus dem Kaukasus rassistisch agierte.

Nawalnys Vermächtnis: Russlands Weg ohne Putin

Dass er in den vergangenen Jahren als Gesicht der Opposition gegen Putin galt, dürfte auch mit der Entwicklung innerhalb einer Bewegung zu tun haben, die vor allem eine Parole eint: ein Russland ohne Putin.

Da konnten sich dann auch Linksliberale auf Nawalny einigen, der mit seiner Taktik der pragmatischen Stimmabgabe bewies, dass es falsch gewesen wäre, ihn auf die Anfangsjahre als nationalistischen Ideologen zu reduzieren. So rief Nawalny seine Anhänger auf, in allen Wahlkreisen den Kandidaten, die Stimmen zu geben, die in Opposition zu Putin standen und die Chance hatten, zu gewinnen.

So kam es, dass erklärte Antikommunisten sogar manchmal aus taktischen Gründen die sozialkonservative Kommunistische Partei ankreuzten. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass es an der Basis dieser Kommunistischen Partei, die sonst viele außenpolitische Positionen von Putin unterstützt, auch eine Strömung existiert, die sich klar gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine ausspricht.

Darüber, wie überhaupt über die verschiedenen Strömungen der russischen Antikriegslinken, hat der Historiker Ewgeniy Kasakow in seinen im Unrast-Verlag erschienenen Buch "Spezialoperation und Frieden" informiert, das trotz mancher aktuellen Veränderungen noch immer eine wichtige Quelle ist, wenn man mehr über russische Antikriegsbewegung von links wissen will.

Warum Nawalny für den Kreml eine Bedrohung darstellte

Ein solches Buch müsste es auch über die rechte und liberale Anti-Putin-Opposition geben. Es könnte dann vielleicht erklären helfen, wie ein Nawalny zum Hauptfeind des Putin-Regimes werden konnte und warum er weiter als Gefahr für die gegenwärtige Herrschaft in Russland betrachtet wurden.

Um das festzustellen, braucht man sich nicht an Spekulationen über die genauen Todesumstände von Nawalny zu beteiligen. Es reicht die massive Repression zu betrachten, mit denen Nawalny in den letzten Jahren überzogen wurde. Eine Erklärung könnte in dem besonderen Charakter des Putin-Systems liegen, den der Politikwissenschaftler Thorsten Fuchshuber mit Verweis auf Adorno als Racket-Staat bezeichnete.

Ein zentraler Unterschied zwischen dem Racket-Staat zu den bürgerlichen Demokratien besteht darin, dass dort ein Machtwechsel durch Wahlen, die ja zur Stabilität bürgerlicher Herrschaft beitragen, nicht vorgesehen sind. Wer sich dann bemüht, eine Wahlalternative zu werden, wird zum Staatsfeind erklärt und dann schnell zum "ausländischen Agenten", eine besondere Unterdrückungsform autoritärer Herrschaft, wie sie auch unter Stalin üblich war.

Machtwechsel durch Wahlen nicht vorgesehen

Das würde erklären, warum das Regime den bürgerlichen Kontrahenten Nawalny zum Staatsfeind erklärte. Er könnte schnell einen Nachfolger bekommen, denn Boris Nadeschin darf nicht gegen Putin kandieren, weil er tatsächlich mehr als ein Zählkandidat wäre.

Dabei rechnet niemand damit, dass er Putin hätte besiegen können. Aber schon ein Drittel der Wählerstimmen wäre im Racket-Staat Russland eine Kampfansage. Das macht auch den Unterschied zur autoritären Herrschaft in der Türkei aus, wo Erdoğan noch um Stimmen kämpfen musste.

Sollte Nadeschin, der ebenfalls Teil des russischen Nationalismus ist, nicht klein beigeben, könnte bald die Staatsrepression einsetzen, die nicht nur Unterschriften für ungültig erklärt. Diese Unfähigkeit eine Konkurrenz im System zu akzeptieren, ist aber keine Stärke, sondern eine Schwäche des Putin-Regimes. Denn gerade diese Konkurrenz würde eine gewisse Stabilität der Herrschaft bedingen.

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