Amnesty International: Immer mehr Staaten schaffen die Todesstrafe ab

Seite 4: Juristischer Kampf ums Überleben

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Im Dezember 2001 ordnete Richter William Yohn vor dem Bundesbezirksgericht in Philadelphia die Aussetzung der Todesstrafe und deren Umwandlung in lebenslange Haft ohne Bewährung an. Dieses Urteil wurde indes nie rechtskräftig, da die Gegenseite umgehend Berufung dagegen einlegte.

Am 17. Mai 2007 fand vor dem 3. Berufungsgericht in Philadelphia eine Anhörung statt, im Rahmen derer die drei Richter im März 2008 die Entscheidung von Richter Yohn von 2001 bestätigten. Die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia legte gegen dieses Urteil beim Supreme Court Berufung ein.

Der Oberste Gerichtshof entschied daraufhin, den Fall an das Gericht in Philadelphia zurückzuverweisen, mit der Maßgabe, die Richter mögen ihre Entscheidung vor dem Hintergrund des Falles des als Mörder verurteilten Neonazis Frank Spisak noch einmal überdenken. Bei dessen Prozess waren die Geschworenen nicht darauf hingewiesen worden, dass sie strafmildernde Umstände hätten geltend machen und lebenslange Haft statt Todesstrafe verhängen können.

Der Supreme Court meinte Ähnlichkeiten in den beiden Fällen entdeckt zu haben, weil auch im Falle Abu-Jamal die Jury vom Staatsanwalt falsch informiert wurde. Die Richter dachten nach - von November 2010 bis April 2011 - und blieben bei ihrer bereits 2008 geäußerten Ansicht, dass das 1982 wegen Polizistenmordes verhängte Todesurteil aufgrund der Fehlinformation der Jury verfassungswidrig sei. Damit war das Todesurteil nicht endgültig vom Tisch, dem Supreme Court blieb die Möglichkeit, die Entscheidung aus Philadelphia zu übergehen und letztendlich doch die Exekution anzuordnen.

In der Folge wurde 2011 vom Obersten Gerichtshof der USA unwiderruflich und allen unterdessen vorgelegten Fakten zum Trotz die Schuld Mumia Abu-Jamals festgestellt, die Todesstrafe jedoch in lebenslange Haft ohne Bewährung umgewandelt. Damit gilt der inzwischen weltberühmte Publizist als verurteilter Polizistenmörder, dem gnädigerweise die Hinrichtung erspart wurde.

Der Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia hätte 2011 die Möglichkeit offen gestanden, gegen das Urteil den Rechtsweg weiter zu beschreiten und einen neuen Geschworenen-Prozess einzuberufen. Dabei sei allerdings nicht die Frage Schuld oder Unschuld erörtert worden, sondern zur Disposition gestanden habe lediglich das Strafmaß: lebenslange Haft oder Hinrichtung. Das hätte allerdings trotzdem bedeutet, dass das Verfahren komplett neu hätte aufgerollt werden müssen.

Dabei hätte nach Ansicht von Mumia Abu-Jamals Anwaltsteam dessen Unschuld zweifelsfrei bewiesen werden können. Das wiederum hätte zur Folge gehabt, dass das höchste Gericht der USA einen nachweislich Unschuldigen zu lebenslanger Haft hätte verurteilen müssen, weil aufgrund der obskuren Vorgeschichte dieses Rechtsverfahrens die Möglichkeit eines Freispruchs nicht zur Debatte gestanden hätte. Offensichtlich teilte der damalige Bezirksstaatsanwalt Philadelphias, Seth Williams, diese Einschätzung, und verzichtete deswegen auf das Jury-Verfahren.

Am 8. Dezember 2011, einen Tag vor Mumias 30. "Jubiläum" als politischer Gefangener, war die Todesstrafe endgültig vom Tisch. Kurze Zeit später wurde er in den Normal-Vollzug in das Gefängnis SCI Mahony, Pennsylvania, verlegt.

Die Haft fordert ihren Tribut

Die Jahrzehnte davor hatte er in einem unterirdischen Bunker verbracht. Allein in einer etwa sechs Quadratmeter großen Zelle ohne Tageslicht. Die unmenschlichen Haftbedingungen fordern ihren Tribut: Im März 2015 musste er auf die Intensivstation eines städtischen Krankenhauses verlegt werden, nachdem er ins Koma gefallen war.

Dort wurde Diabetes diagnostiziert. Die Ärzte im Gefängniskrankenhaus hatten die Anzeichen offenbar schlicht ignoriert. Seitdem kämpft er mit Unterstützung seiner Familie, des Anwaltsteams und der unterdessen weltweiten Solidaritätsbewegung um eine adäquate Behandlung.

Aufgrund des internationalen Drucks wurden verschiedene Untersuchungen an ihm vorgenommen, u. a. auch in Hinsicht auf eine mögliche Krebserkrankung. Schließlich wurde eine Hepatitis-C-Erkrankung bei ihm diagnostiziert. Da die Behandlung sehr teuer ist, pro Patient ca. 90.000 US-$, verweigerte die zuständige Gefängnis-Behörde (Department of Corrections/DOC) die Behandlung.

Knapp zwei Jahre lang prozessierte das Anwaltsteam in der Angelegenheit. Am 3. Januar 2017 ordnete Bundesrichter Robert Mariani eine einstweilige Verfügung an, binnen einer Frist von 2 Wochen die Verträglichkeit eines Hepatitis-C-Medikaments zu testen, und die Behandlung von Mumia Abu-Jamal zu beginnen.

Unbehandelt ist Hepatitis-C eine tödliche Krankheit, mit dem Medikament besteht eine 95%ige Heilungschance. Mehr als 7.000 Gefangene allein im Bundesstaat Pennsylvania leiden daran. Eine Entscheidung im Falle Abu-Jamal käme ihnen allen zugute. Das DOC legte Widerspruch gegen diese Anordnung ein. Mumia Abu-Jamals Anwaltsteam beschritt erneut den Rechtsweg.

Die Begründung des DOC lautete, dass nicht klar sei, ob die Anordnung Marianis jemals rechtskräftig werde, also müsse sie bis dahin nicht befolgt werden. Muss sie doch, hielt das 3. Berufungsgericht in Philadelphia dagegen. In der vergangenen Woche wurde tatsächlich mit der Behandlung begonnen. Mumia Abu-Jamal wurde die erste von insgesamt 84 Medikationen verabreicht. Allerdings währte dessen Freude nur kurz, denn zeitgleich bekam er die vernichtende Diagnose, dass seine Leber mittlerweile derart angegriffen ist, dass eine Heilung fraglich ist. Zwar wird sich das Organ vermutlich allmählich erholen, doch bleibt ein erhöhtes Krebsrisiko.

In einem am 31. März 2017 von Prison Radio geführten Interview nahm Mumia Abu-Jamal - für ihn ungewöhnlich emotional - dazu Stellung:

Meine erste Reaktion darauf war Schock, Wut, Ungläubigkeit. Wenn ich 2015 behandelt worden wäre, wenn ich 2012, als sie eigener Auskunft zufolge erstmals die Diagnose stellten, behandelt worden wäre, wäre die Schädigung meiner Leber nicht so weit fortgeschritten. […] Ich denke, dass das jetzt für viele Mitgefangene in den Gefängnissen Pennsylvanias ein Schritt voran und ein großer Tag ist, aber ich kann euch versichern, dass ich selbst mich im Moment gar nicht so fühle.

Mumia Abu-Jamal

Doch sollte Mumia Abu-Jamal in der weiteren juristischen Auseinandersetzung gegen die Gefängnisbehörde von Pennsylvania Erfolg haben, könnte der Bundesstaat dazu gezwungen sein, allen ca. 6.000 an Hepatitis-C erkrankten Gefangenen medizinische Hilfe zu geben. Das hätte auch Präzedenzcharakter für alle Gefangenen weit über den Bundesstaat hinaus. Unterschiedlichen Angaben zufolge sind zwischen 400 - 700.000 der insgesamt ca. 2,3 Millionen Gefangenen in den USA betroffen.

Allerdings hat der Bundesstaat Pennsylvania deutlich gemacht, in dieser Angelegenheit notfalls bis vor die höchste Instanz, den US Supreme Court zu ziehen, dessen Besetzung Präsident Trump in der jüngsten Vergangenheit zu einem politischen Schwerpunkt gemacht hat. Der Kampf Mumia Abu-Jamals und anderer Gefangener, ihre Grundrechte auf medizinische Behandlung und Menschenwürde durchzusetzen, verläuft unter den aktuellen politischen Bedingungen in den USA extrem steinig und mühsam.

Nächster Anlauf zu einem neuen Verfahren

Am 24. April 2017 findet in Philadelphia eine juristische Anhörung über Unregelmäßigkeiten in den früheren Berufungsverfahren statt. Der ehemalige Bezirksstaatsanwalt Ronald Castille war u.a. 1988 daran beteiligt, ein Berufungsverfahren zu verhindern. 1994 saß er dann mit Wahlunterstützung der Fraternal Order of Police (FOP), einer Art Polizeibruderschaft, die Mumia Abu-Jamals Verurteilung maßgeblich mitbetrieben hat, im Pennsylvania Supreme Court (PASC), um Mumias Klage dagegen abzuweisen.

Wegen des offensichtlichen Interessenskonfliktes forderte Mumia Abu-Jamals Verteidigung Castille 1994 auf, sich aus dem Fall zurückziehen. Er weigerte sich und begründete es überraschend offen damit, dass fast alle Richter des PASC Wahlunterstützung durch die FOP erhalten hätten. Castille verhielt sich in weiteren Verfahren ähnlich, was dem inzwischen pensionierten Richter vor kurzem zum Verhängnis wurde.

Mumia Abu-Jamals Mitgefangener Terrence "Butter" Williams konnte vor dem US Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA, durchsetzen, dass Castille sich in seinem Verfahren aus eben diesem beschriebenen Interessenskonflikt hätte heraushalten müssen. Trotzdem bleibt fraglich, ob nun auch Mumia Abu-Jamal am 24. April 2017 einen neuen Klageweg zugesprochen bekommt.

Infos unter: www.bring-mumia-home.de

Literaturtipp:

Schiffmann, Michael, Wettlauf gegen den Tod, Promedia Verlag

Mumia Abu Jamal - Der Kampf gegen die Todesstrafe und für die Freiheit der politischen Gefangenen, Laika Verlag.