Amri-Ausschuss: Kapitulation vor dem Verfassungsschutz?

Seite 3: "Wir können darauf nicht antworten"

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Im Abgeordnetenhaus ging das Spiel nach den alten Regeln allerdings weiter und zwar im Ausschuss selber. Als in der öffentlichen Presserunde die Frage gestellt wurde, ob denn die Akten des LKA über die Gelder für die V-Leute mittlerweile eingetroffen seien, entgegnete der Ausschussvorsitzende: "Wir können darauf nicht antworten. Wenn sie da wären, könnten wir Ihnen nichts dazu sagen, weil sie geheim eingestuft wären." Und auch die Nachfrage, man wolle nur wissen, ob ja oder nein, beschied er negativ.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses antwortete gegenüber der Öffentlichkeit genauso wie kurz zuvor noch die Zeugin des Verfassungsschutzes gegenüber dem Ausschuss. Es war wie eine Verlängerung. Vielleicht macht das erklärlicher, warum er den Verweigerungen der Verfassungsschützerin mehr als einmal nachgab. Zu besichtigen ist hier ein Gesamtsystem, in dem die Exekutive die Regeln bestimmt, die auch für die Legislative und die Öffentlichkeit gelten sollen und die verinnerlicht wurden.

Dabei waren diese Unterlagen, aus denen hervorgeht, wann es wo und zu welchem Thema V-Mann-Einsätze gab, bereits im November 2018 offen erörtert worden. Anlass war der Zeugenauftritt des LKA-Chefs. Damals hatte die Vertreterin der Hinterbliebenen, Astrid Passin, in der Presserunde die Frage gestellt, ob der Ausschuss diese Dokumente nicht anfordern wolle, und die Auskunft erhalten, das sei bereits geschehen und die Unterlagen würden dringend erwartet werden. Ein dreiviertel Jahr später ist die Antwort als "geheim" eingestuft. Man könnte den Eindruck gewinnen, auch das Parlament will sich unkontrollierbar machen.

Nun meldete sich ganz am Schluss Andreas Schwartz zu Wort, der bei dem Anschlag verletzt wurde und sich erst im Juli der letzten Operation hatte unterziehen müssen. Er hatte die Ausschusssitzung als Besucher verfolgt. Wörtlich sagte er an die Abgeordneten gerichtet: "Das war eine Kapitulation des Untersuchungsausschusses gegenüber dem Verfassungsschutz." Der Ausschuss habe keine Antworten auf seine Fragen bekommen. Er wünsche sich "mehr Hartnäckigkeit", und dass der Vorsitzende "mehr Druck" mache.

Die fragestellenden Abgeordneten der Linken und der Grünen nahm er von seiner Kritik ausdrücklich aus. Und so war es vor allem zwei Abgeordneten von SPD und CDU vorbehalten, Widerspruch anzumelden. "Wir kapitulieren nicht, wir halten uns an die Geheimhaltungsregeln", meinte Frank Zimmermann, unterstützt von Stephan Standfuß. Das könne man nicht ändern. Wenn der Ausschuss nicht in nicht-öffentlichen Sitzungen tagen würde, würde er bestimme Informationen gar nicht bekommen.

Und noch ein Versäumnis ist zu vermelden, das in diese Szenerie passt. In einer Sitzung vom April 2019 hatten zwei LKA-Beamte, die mit dem Fall Amri befasst gewesen waren, Auskünfte vollständig und grundsätzlich verweigert. Sie hatten nach dem Anschlag die Amri-Akte beim LKA manipuliert. Das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde später eingestellt. Vor dem Ausschuss begründeten sie ihre Auskunftsverweigerung damit, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen würden. Der Ausschuss akzeptierte das nicht und wollte beim Landgericht durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes ein Aussage erzwingen, wie er damals erklärte. Als eine Journalistin jetzt nachfragte, was daraus geworden sei, erfuhr man: noch nichts. Der Ausschuss wollte erst jetzt, vier Monate danach, beraten wie er vorgehen wolle.

Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz im Deutschen Bundestag

Im Bundestag herrscht noch Sommerpause, die Sitzungen beginnen erst in vier Wochen. Allerdings ergab sich in der letzten Tagung vor der Sommerpause Ende Juni ein Sachverhalt, der Konfliktstoff birgt. Es stellte sich heraus, dass das Bundesjustizministerium einen Vertreter im Ausschuss sitzen hat, auch in den internen Sitzungen, der eigentlich ein Zeuge ist: Ministerialrat Michael Greßmann. Er war im Januar 2017 am Abschiebevorgang des Amri-Freundes und Mord-Beschuldigten Bilel Ben Ammar beteiligt. Er veranlasste, dass die Bundesanwaltschaft der Abschiebung zustimmte, obwohl sie zu der Einschätzung gelangt war, Ben Ammar könne in die Anschlagspläne eingeweiht gewesen sein und Hilfestellung geleistet haben.

Als möglicher Zeuge dürfte er nicht an den Sitzungen teilnehmen, an den internen Beratungssitzungen des Ausschusses schon gar nicht. Das Justizministerium weiß das genau. Das Verhalten des Ministeriums ist umso verwerflicher, als im Oktober 2018 ein vergleichbares Personalproblem mit dem Bundesinnenministerium (BMI) aufgeflogen war. Lange Zeit saß eine Oberregierungsrätin des BMI im Ausschuss, die zuvor im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in der Abteilung für islamistischer Terrorismus tätig war - und damit eben eine Zeugin. Als der Ausschuss auf diesen Umstand stieß, zog das BMI die Frau sehr schnell aus dem Gremium zurück. Irgendwann wir sie als Zeugin geladen werden.

Doch zur gleichen Zeit beließ das Justizministerium (BMJ) seinen Vertreter in der Runde, obwohl er entscheidend im Amri-Komplex gehandelt hatte. Kann sein, dass das BMJ hoffte, dieser Sachverhalt werde nicht bekannt. Das hieße nur, dass die Regierung versucht, mit den Abgeordneten Katz und Maus zu spielen.

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