Angriff auf Libellenart

Raketen, die mit neuronalen Netzwerken zur Steuerung von Bewegungstäuschung ausgestattet sind, könnten Raketenabwehrsysteme besser austricksen

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Kürzlich haben australische Wissenschaftler über die erstaunlichen Flugmanöver von Libellen berichtet, die ihre Opfern oder Konkurrenten über ihre Position täuschen können. Gefördert wird das australische Forschungsprojekt auch vom Militär. Auch für militärische Verwendungen gedacht ist der ebenfalls vom Libellenflug abgeleitete optische Trick, den britische Wissenschaftler entwickelt haben.

Libellen können so fliegen, dass sie aus der Perspektive ihrer Opfer oder Rivalen still zu stehen scheinen, während näher kommen oder hin und zurück fliegen (Tarnung durch Flugkünste). Die australischen Wissenschaftler konnten mit synchronisierten Stereokameras die genaue Position der Libellen ermitteln. Wie die Psychologen Andrew Anderson und Peter McOwan von der University of London herausgefunden haben, lassen sich auch Menschen und Maschinen auf ähnliche Weise täuschen. Die Bewegungsbahn des Angreifers muss sich dabei an bestimmten Fixpunkten aus der Sicht des Ziels orientieren. So kann er stets in derselben Sichtlinie vom Ziel aus bleiben, wenn er immer frontal, aber auf einer radialen Bahn auf ihn zufliegt. Die optische Täuschung könnte etwa dazu dienen, dass sich Raketenabwehrsysteme besser unterlaufen lassen (Test für Raketenabwehrschild gescheitert).

Um ihre Berechnungen zu überprüfen, so berichtet New Scientist, testeten die Wissenschaftler diese in einem Computerspiel, indem sie Raketen gemäß der Bewegungstäuschung programmierten. Die Spieler mussten diese abschießen, bevor sie von ihnen getroffen wurden. Dabei nahmen die Spieler die Rolle von Abwehrraketen an, die angreifende Objekte lokalisieren und verfolgen müssen. Im Computerspiel konnten die Raketen, die eine optische Bewegungstäuschung ausführten, den Zielen weitaus näher als normal fliegende Raketen kommen, bevor sie abgeschossen wurden.

Auf Menschen wäre man bei dieser Technik als Gegenüber keineswegs angewiesen. Die Wissenschaftler haben neuronale Netzwerke so entwickeln können, dass sie die komplexen Flugbahnen lediglich aufgrund der Bewegungen des Zielobjekts berechnen konnten, wie sie von den Sensoren der angreifende Rakete erfasst werden. Dabei müssen sie nur ihre relative Position abschätzen, ohne dass ein Fixpunkt oder eine 360-Grad-Sicht benötigt wird. Trainiert hatten sie das neuronale Netzwerk mit Daten von Videos, auf denen Libellen ihre Opfer jagen.

Besonders gut würde die Bewegungstäuschung funktionieren, wenn mehrere Raketen hintereinander eingesetzt werden und auf derselben Bahn fliegen. Radar oder Infrarot-Systeme würden dann immer nur die erste Rakete erkennen, aber nicht erfassen können, wie viele insgesamt kommen. Auch Wärmesensoren könne man auf diese Weise austricksen. So könnte sich der Sprengkopf einer Rakete relativ kurz vor dem anvisierten Ziel erst von der letzten Antriebsstufe ablösen und auf dem Hintergrund des Rauschens, das durch das Verglühen des Triebwerks entsteht, durch Bewegungstäuschung dem Wärmesensor entgehen.

Die Technik könnte insbesondere für Staaten interessant sein, die nach Gegenmitteln gegen das vom Pentagon geplante Raketenabwehrsystem Ausschau halten. Das britische Verteidigungsministerium habe jedenfalls schon Interesse angemeldet. McOwan denkt aber auch an die Anwendung bei Computerspielen. Virtuelle Agenten könnten damit besser die Spieler austricksen.