Angst vor dem Virus, Vertrauen auf den Staat?

Seite 3: Fazit

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Auf die Kritik am Zustand des Medizinbetriebs von Teilen der Öffentlichkeit, der Wissenschaft und der Gewerkschaften hat die politische Führung in den letzten Jahren gepfiffen. Die Informationen aus China, die dazu hätten beitragen können, den ersten Infektionen vorbereitet entgegenzutreten, wurden für uninteressant erklärt.

Der Nicht-Virologe Christian Y. Schmidt hat seit Mitte Februar davor gewarnt, dass das Virus Europa erreichen werde. Zur selben Zeit gaben die verantwortlichen Stellen an, dass man alles im Griff habe. Sämtliche Maßnahmen seither - Aufrufe zum Social distancing, Versammlungsverbot, Schließung von Schulen und Grenzen - kamen immer zu spät. Auch der Lockdown wird zu spät kommen. Es geht nicht mehr darum, was passiert, es geht um das, was längst passiert ist.

Junge Welt, 21./22.3.2020

So also ist "die Krise" in dieser Form zustande gekommen: Die Infektionszahlen sind Produkt politischer Entscheidungen - ebenso wie das Gesundheitssystem, mit dem sie jetzt bewältigt werden müssen und eben nicht bewältigt werden können. Für die Politik sieht die Sache genau umgekehrt aus: Sie muss angeblich mit dem umgehen, was sie vorfindet.

Dass sie gestern Mittel gehabt hätte und es an ihrem Willen gefehlt hat, weil sie ganz andere Zwecke auf der Tagesordnung hat als eine "Versorgung" im Normalleben und auch in eventuellen Notfall-Situationen, will sie nicht wissen - jetzt gilt es, nach "vorne zu schauen" und das "Notwendige" anzupacken…

Auf wessen Kosten die Krisenpolitik geht, steht dabei fest.

Nochmal: Es ist ein Unding, dass in Deutschland die Forderung nach einem Shutdown aller nicht-lebensnotwendigen Arbeitsplätze noch nicht aufgekommen ist. Wer den Schaden hat, braucht auf den Spott nicht lange zu warten.

Der Kanzlerin wie den Qualitätsjournalisten fällt "jetzt" auf, wer eigentlich das Essen herschafft, die Regale einräumt, den Müll wegmacht und Menschen pflegt, wenn sie krank werden. Diese Leute - auch das sagen sie laut - werden "erbärmlich schlecht bezahlt".

Fragt sich nur, wer dafür eigentlich sorgt. Und ob diese "Helden unseres Alltags" eigentlich gut beraten sind, so auf die Politik zu vertrauen. Oder ob nicht aus Gründen der Vernunft und des persönlichen Wohlergehens endlich etwas mehr "Distanz" sinnvoller wäre - nämlich zu diesem Staat, seinen Kalkulationen und seiner Wirtschaft.

Dr. Renate Dillmann ist Journalistin und Dozentin für Sozialpolitik.

Buchveröffentlichungen:

Dillmann: China - Ein Lehrstück, VSA-Verlag Hamburg 2009 - zur Zeit nur als eBook erhältlich

Dillmann/Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat, VSA-Verlag Hamburg 2018