Auf dem Weg zur Cyberdemokratie

Seite 2: ÜBER POLITIKFREIE KONZEPTE; UNGLEICHHEIT UND DEN RÜCKBAU EINES NEUEN MEDIUMS

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Fragen wir nach den Ursachen, warum sich die Entgrenzung des militärischen [also politischen] Netzraums seit den späten 80ern als Entpolitisierung vollzog. Das hat nicht nur damit zu tun, dass es in der Politik augenblicklich fast ausschließlich um Standort, Markt und Profit geht, dass nicht elektronische Demokratie, sondern Bitbusiness angesagt ist, die Ära der neuen Unübersichtlichkeit gerade Mal ein Jahrzehnt gedauert und somit die Epoche der neuen Übersichtlichkeit des Marktes auch auf dem Felde der Kommunikation und Medien begonnen hat. Dies alles reflektiert zumindest hierzulande auch, was sich in einer zweiten, erklärenden These formulieren läßt:

In der Agenda der neuen, offiziellen Netzpolitik verwandelt der Cyberspace alles - nur nicht die Politik.

In der Utopie der neuen Informationsgesellschaft, von der uns die Politik in Gestalt der Regierung erzählt, ist der Politik die Rolle des Paria zugedacht.

3.1 POLITIK ALS PARIA

Eine Analyse der zahlreichen Konzept-, Strategie-, Planungs- und Programmierpapiere, die seit 1993 von der Bundesregierung oder verschiedenen EG-Einrichtungen publiziert wurden, läßt sich in drei Feststellungen zusammenfassen:
Mögliche Transformationen des politischen Systems durch die Entwicklung des neuen Massenmediums und Informationsraums Netz

  1. werden nicht thematisiert,
  2. in ein unpolitisches Problem der Verwaltungsrationalisierung verwandelt
  3. oder als Bedrohung des parlamentarischen Modus indirekter Demokratie perzipiert.

Das Problem wird vorweg mit allen Mitteln institutioneller Geschäftigkeit und multimedialer Lautgebung beschwiegen: parlamentarisch-mehrheitsfraktionell, ministeriell und kanzlerseitig.

Die von der Enquetekommission des Bundestages behandelte Zukunft der Medien kommt offenbar ohne jede Auswirkungen auf die Verfassung des politischen Systems aus. Vielleicht ist das der Grund, warum der Vorsitzende der Kommission Siegmar Mosdorf zur Eröffnungssitzung sagte, "daß wir es mit nichts weniger als einem ökonomischen, technologischen und kulturellen Quantensprung ... zu tun haben." Von einem Quantensprung in der Politik war nicht die Rede.

Im September 1994 befaßte sich erstmals der "Gesprächskreis für wirtschaftlich-technologische der Informationstechnik" (Petersberg-Kreis) unter Leitung des BMWi, BMBF und des BMPT mit dem Thema "Informationsgesellschaft" und beschloß zwei Arbeitsgruppen hierzu einzurichten, die, dann weiter differenziert, einzelne Arbeitsfelder bearbeiteten. Das Thema "Demokratie" war nicht dabei. Es kam auch nicht vor im Diskussionspapier des BMBF zum Thema "Informationsgesellschaft - Chancen, Innovationen und Herausforderungen" vom 15.05.1995 und im zentralen Textband des BMWi zum Thema Informationsgesellschaft vom selben Jahr. Das dann auf zentraler Ebene inszenierte, legitimationspolitisch starke Papier des "Rates für Forschung, Technologie und Innovation" vom Dezember 1995 "INFORMATIONSGESELLSCHAFT - Chancen, Innovationen und Herausforderungen" handelt die Demokratie- bzw. Politikfrage auf einer von 60 Seiten ab. Im zusammenfassenden Programmdokument "Info 2000: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" der Bundesregierung endlich taucht auf S. 85 in einem älteren Schaubild das Wort von der "politische Partizpation" auf - und gleich wieder ab. Nicht einmal die Agenda der im Herbst 1996 in Bonn gestarteten großen Dialog- und Akzeptanzoffensive "Forum Info 2000" bearbeitet die Demokratiefrage und die zukünftige Rolle der Politik in der Informationsgesellschaft.

Typisch ist der Themenwechsel : Es geht um "bürgernahe" Verwaltungen mit "dialogischen" Benutzerschnittstellen zum Bürger, vor allem aber um vernetzte, schlanke, effiziente und optimierte Verwaltungssysteme (z.B. realisiert über das Projektbündel Polikom, wobei zumeist die Telebrücke Bonn-Berlin als Pilotprojekt inszeniert wird und andere, demokratiepolitisch relevante Vorhaben wie Zeno eher ausgeklammert bleiben).

Demgegenüber ist schließlich die Thematisierung der demokratiepolitischen Dimension, sieht man von der bemerkenswerten Ausnahme der BMBF-Tagung "MachtInformation" im September 1996 einmal ab, äußerst karg, argumentativ bis in die Einzelformulierungen hinein standardisiert und verrät inhaltlich bestenfalls große Reserviertheit.
Zum Teil wortgleich Bundesminister Rüttgers vor der Alfred-Herrnhausen-Gesellschaft, der "Rat für Forschung, Technologie und Innovation" sowie "Info 2000":

  1. es dürfe keine Infragestellung der repräsentativen Demokratie durch Ausbau der sogenannten direktdemokratischen Technik geben,
  2. durch sachlich begrenzte Beteiligung auf ausschließlich kommunaler Ebene könne Politikverdrossenheit abgebaut und damit Legitimation gefördert werden. Elektronische Kommunikation gilt als neues Medium politischer Akzeptanzbildung.

Es geht offenbar nur um den Ausbau konsultativer oder vielleicht dialogischer Elemente, so wie es eine einschlägige Werbeschrift des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung aus dem Jahr 1996 formuliert: die Bundesregierung habe sich "seit Jahren mit der Frage (beschäftigt), wie die Bürgerinnen und Bürger online informiert werden können." Elektronische Kommunikation gilt hier als neues Medium politischer Akzeptanzbildung.

Während sich auf EG-Ebene in den ersten strategischen Programmpapieren und Dokumenten wie dem Bangemann-Report ein durchaus vergleichbares Politikverständnis gezeigt hat, erörtern die neueren Papiere auch demokratiepolitische Fragestellungen. Zu nennen sind insbesondere das "Grünbuch: Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft" der Europäischen Kommission, der Bericht der Arbeitsgruppe 2 des Forums Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission "Basic Social and Democratic Values in the Virtual Community" [Brüssel, Final report 1996] und vor allem der innovative Bericht der High Level Expert Group: "Eine europäische Informationsgesellschaft für alle" [Brüssel Januar 1996].

Von den politischen Positions- und Programmpapieren der Bundesregierung unterscheiden sich diese Berichte dadurch, dass politische Kommunikation nicht nur als Frage des Informationszugangs bzw. der Verteilung und Sicherung von Informationen und des konsultativen Feedbacks verstanden wird, sondern auch die komplizierte Frage nach der Veränderung von politischen Entscheidungsprozessen, der " unmittelbaren Referendumsdemokratie" aufgeworfen wird. Der Bericht der "Gruppe der hochrangigen Experten" entwickelt dabei als einziger seine skeptische Argumentation aus einer kritischen Sicht auf die Sozialstruktur und -verfassung der (neuen) Informationsgesellschaft, um zu begründen, warum ohne eine aktive Gesellschaftspolitik das Demokratisierungspotential der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nicht wirksam werden könne.

Für alle hier genannten Texte ist jedoch typisch, dass sie weder Visionen, Utopien oder Szenarien einer politischen Ordnung der zukünftigen Informationsgesellschaft entwickeln noch irgendwelche konkrete Vorschlägen und Handlungsorientierungen zur Gestaltung des zukünftigen politischen Systems vorlegen.

In den konkreten politischen Planungen zur Informationsgesellschaft seitens der europäischen Gremien spielt die Frage nach der Demokratiepolitik und der Veränderungen der politischen Organisation Europas keine Rolle.

3.2 DER UMBAU DES NETZES ZUM VERTEILMEDIUM

Die gängige Netzpraxis tendiert immer stärker, wie Ralf Hecht gezeigt hat, auf private Kommunikation via Email. Dazu gehören die Visitenkarte, die persönliche ID der privaten Selbstinszenierung durch eine WWW-Homepage ebenso wie der weit überwiegende Teil des Chattens mittels der Nutzung eines öffentlichen Angebotsraums im WWW.

Demgegenüber nimmt die Nutzung der klassischen, vergleichsweise interaktiven Massenkommunikationsanwendungen Mailing-Listen und Newsgroups ab.

Diese Entwicklung deutet unverkennbar eine Annäherung des Internet an das digital verbreitete Vielkanalfernsehen an. Die Einbindung kommunikativer Elemente wird vernachlässigt, so dass die Tendenz zu einem Verteiler- und nicht zu einem Kommunikationsmedium geht.

Ralf Hecht

In der Art und Weise, wie Politik im Netz präsent ist und kommuniziert wird, spiegelt sich der mittlerweile dominierende Umbau des Netzes zu einem Verteilmedium. Nicht-interaktive Verteilmedien - wie das Fernsehen - können aber bestenfalls zur individuellen Meinungsbildung, nicht aber zur öffentlichen politischen Willensbildung beitragen. Ein wesentlicher Grund für diese Veränderung ist die Entwicklung des multimedialen WWW zur Plattform, zur allgemeinen Benutzerschnittstelle des Netzes. Das WWW transformiert das Netz in ein Medium, das die Konsumtion oder Nutzung außerordentlich demokratisiert, die Produktion jedoch mittlerweile durch die Implementierung einer extrem differenzierten und hochprofessionalisierten technischen Kultur dramatisch rehierarchisiert, deren Aneignung immer mehr ökonomisches und soziales Kapital voraussetzt.

Mit der Professionalisierung der Netzangebote wird die Etablierung von Angeboten in finanzielle Größenordnungen gehoben, die von Privatpersonen nicht mehr realisierbar sind. Die Firma Cadillac beispielsweise gab Mitte 1996 an, dass die Konzipierung und Einrichtung ihres Web-Servers eine Million Dollar Produktionskosten wert war. Damit wird das Zentrum des Interaktivitätsversprechens des neuen Mediums zerstört: der leicht zu vollziehende Rollenwechsel zwischen Produktion und Konsumtion. Spätestens hier nun kommen die realgesellschaftlichen Ungleichheiten ins Spiel, wenn es um die Verteilung politischer Angebotsmacht im neuen Informationsraum geht.

Reale Ungleichheit verdoppelt sich, wenn auch gebrochen und modifiziert, in der Netzwelt.

3.3 DIE NETZWELTLICHE VERDOPPELUNG DER REALEN UNGLEICHHEIT

Und die Träume, Reportagen, Bilder, Editorials des Wohnzimmer-Publizisten aus Augsburg stehen im Netz gleichrangig neben FAZ, Welt, WDR oder SPIEGEL.

Spiegel 11/1996, S.88

Die gängige Abstraktion von den realgesellschaftlichen, materiellen Voraussetzungen politischer Gleichheit, die ihrerseits erst politischer Partizipation verallgemeinerbar macht, ist fester Bestandteil der Illusionsrhetorik der schönen neuen Netzwelt. Demgegenüber muß auf grundlegende Ungleichheiten verwiesen werden, die den neuen Informationsraum auszeichnen und die nur in wenigen Fällen als Übergangsphänomen der Konstitutionsphase des Netzes als Massenmedium begriffen werden können.

Es geht um Ungleichheit

  1. in der Verfügung über die der Netzkommunikation vorausgesetzten Basisressourcen (Energie, Telephon usw.), die nur bei ca. einem Fünftel der Weltbevölkerung vorliegt;
  2. in der geographischen Verteilung der Standorte der Netzwerkcomputer weltweit und innergesellschaftlich, die Kontinente und geopolitische Großräume ausblendet und statt dessen im lokalen wie globalen Maßstab bereits vorhandene Knoten und Routen hoher Kommunikationsdichte untersetzt;
  3. im Eigentum an Übertragungsnetzen, Servern, Operationssystemen, Routern usw., das, analog zur historischen Entwicklung der politischen Ökonomie der Printmedien, des Radios und des Fernsehens, den Weg vom öffentlichen und privatem Kleineigentum zum monopolförmigen Großeigentum geht;
  4. in der politischen Herrschaft über die institutionellen Arrangements der Netze, die, wie das Beispiel der Corporation- und Communitynetze zeigt, demokratisch kaum legitimiert sind;
  5. in der Geschlechter-, Sozial- und Qualifikationsstruktur der NetznutzerInnen und individuellen Provider;
  6. in den administrativen oder finanziellen Zugangskontrollen zu Netzen;
  7. in den Zugängen zu Bandbreiten bzw. Übertragungsgeschwindigkeiten und damit in den Möglichkeiten, an neuen hochschwelligen Netzkreisläufen teilhaben zu können;
  8. in der Produktion und Nutzung interaktiver Dienste und insgesamt in der Ressourcenungleichheit zwischen den vormals auf dem Netz stark präsenten privaten und akademischen Anbietern und den heute das Netz beherrschenden ökonomischen Providern;
  9. in der technischen, kulturellen, sozialen und kommunikativen Kompetenz und der Beherrschung der englischen Sprache
  10. in der Zeichenausstattung, d.h. Namensgebung und ihrer Beziehung zu Realnamen, und hinsichtlich des Eigentums (Copyright) am Content: Bilder, Texte, Zeichen sind bekanntlich nicht frei, sondern in Eigentumsverhältnisse verwickelt, die sich auch auf dem Netz reproduzieren.

Diese Ungleichheiten begründen natürlich, warum das gegenwärtig etwas mehr als 1 % der Weltbevölkerung ansprechende Netz - je weiter es sich entwickelt - vor allem jene repräsentiert, die realgesellschaftlich Ressourcen mobilisieren können und schon dort als starke Institutionen präsent sind. Natürlich gibt es die Media-Rich und die Media-Poor im Netz.

DIE LOGIK DES HYPERTEXTES STRUKTURIERT DIE POLITISCHEN VERHÄLTNISSE IM INFORMATIONSRAUM MIT.

3.4 HYPERTEXT UND MAINSTREAM

Begeben wir uns in den Informationsraum hinein und fragen, ob er Eigenschaften hat, die dort - und nirgendwo sonst - existieren und ob diese eine politische Implikation haben.

Als auszeichnende Eigenschaft des WWW- nicht des Usenet oder der Email - wird die Hypertext-, also Verweisstruktur angesehen. Das Revolutionäre an Verweisen ist die Transzendierung der Fußnote. Mit dem WWW erhält die Fußnote mindestens eine weitere Fußnote und noch eine und noch eine - etwas, was kein Textverarbeitungsprogramm von Bill Gates jemals konnte.

Was bedeutet diese Verweispraxis und welche politische Bedeutung hat sie? Hier führt die Rede vom "Information Highway" oder der "Informationsgesellschaft" in die Irre. Die politische Rolle der Verweispraxis erklärt sich nicht aus der Existenz oder Überfülle von "Informationen", sondern aus der Knappheit an Aufmerksamkeit. Georg Franck hat jüngst in einem Text - der allerdings den Kapitalbegriff sinnlos extensiv handhabt - über Aufmerksamkeit darauf verwiesen. Links strukturieren die Verteilung von Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und schließlich Anerkennung im Informationsraum.

Das Web generiert den eigenartigen, systemspezifischen Zwang, Kenntnis vorhandener Präsenzen durch Links auszuweisen, somit das Bemühen, in einem Raum eigene Zentralität zu demonstrieren, dessen einfachste Grundstruktur eben durch das Verhältnis von Zentrum und Peripherie gebildet wird. Die grassierenden Hotlists, die es in anderen Medien so eben nicht gibt - das Fehlen von politischen Hotlists zeigt, dass dieser Bereich zu peripher ist; aber cool political sites of the day und ähnliches gibt es wohl - stehen für diesen Imperativ. Nur wer Verweiskompetenz demonstriert, verhält sich programmgerecht, systemspezifisch, informationsraumgerecht.

Anerkennung durch andere vollzieht sich über einen zweistufigen Bildungsprozess von Zentralität: erstens Nachweis der Kenntnis des Informationsraumes durch Verweise auf andere/s, zweitens Aufbau eines exklusiven Angebots, auf das selbst verwiesen wird, das also ins Zentrum rückt - am Ende steht als Höhepunkt die Namensgebung: ein Angebot wird benannt nach dem Namen des Anbieters. Seit 1996 existieren Verzeichnisse, die täglich weltweit Web-Sites nach der Anzahl der Zugriffe auflisten. Netzreputation - oder soziales Netzkapital entsteht durch kompetente Verweise auf andere/s und Verweise anderer auf sich selbst.

Reputation und Zentralität durch Hypertextverweise hängen auf durchaus vertraute wechselseitige Weise miteinander zusammen: Reputation schafft Zentralität, Zentralität generiert Reputation. Es gibt jedoch eine substantielle Differenz zwischen beiden Prozessen. Netzspezifische Reputation kann nur durch Zentralität im Verweissystem entstehen. Ein Prozess, der für die erste (Früh-)Phase der politischen Geschichte des WWW-Netzes bis etwa 1994 typisch ist, in der das Militär von seiner im Gesamtspektrum der modernen Medienpolitik einmaligen Position noch zehrte und folglich die verschiedenen - militärischen und privaten - Akteure des "right side of the Web" gegenüber einem kaum präsenten sonstigen politischen Spektrum harmonisch hegemonial zusammenspielten. Netzunspezifische Reputation demgegenüber kann irgendwoher kommen und Zentralität herstellen. Dafür stehen Organisationen, Institutionen oder Parteien, die das Netz seitdem in der zweiten Phase seiner politischen Entwicklungsgeschichte kolonisieren und aus ihrer importierten Reputation äußerst schnell Zentralität begründen. Der 1995/6 entbrannte Kampf um Trademarks und Domänenkennzeichnungen spiegelt diesen Vorgang wider.

Nun beginnt sich das realgesellschaftliche Spektrum auf dem Netz zunehmend spiegelbildlich abzubilden. Legitime politische Organisationen und Positionen, zivile staatliche Einrichtungen und die politische Mitte werden seit 1994/5 in rasch wachsender Zahl und mit zunehmendem Ressourceneinsatz präsent auf dem Netz: Mainstream-Medien wie "Spiegel" und "Focus", Bundestagsparteien, Großverbände. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Zunehmend parallel geschaltet verläuft mittlerweile bereits eine dritte Phase: die Demonstration von Verweiskompetenz seitens jener, die durch eine - aus der Perspektive des Netzes: geliehene - externe Reputation Zentralität (Fremdverweise auf sich selbst) generierten und diese Verweise nun nutzen, eine eigene Verweisstruktur aufzubauen und damit netzsystemspezifische Verweiskompetenz zu demonstrieren, also zusätzliche - doppelte - Zentralität zu generieren. Damit positionieren sie sich als starke Netzakteure, die Einfluß ausüben können. Wer einmal auf den Sites des Weißen Hauses oder der CDU gelandet ist, soll - bis auf Stoffelche - dort alles bekommen können, was er oder sie so braucht. Denn Politiker reden nicht gerne in oder zu Räumen, die sie nicht kontrollieren können.

In einem Raum, in dem zählt, wer sich zentral positioniert, steht das Verhältnis von Zentrum (oder Zentren) und Peripherie(n) im Mittelpunkt der Operationslogik und damit des subjektiven Interesses der Akteure. Diesem Verhältnis können sich jene, die sich auf dem Web zu positionieren suchen, nicht entziehen. Die Konsequenz ist sehr einfach: die Zehntausende von selbst bezahlten und selbstgemachten Web-Home-Pages, die Verweise auf den "Spiegel" oder das "White House" oder womöglich "CDU.org" setzen, bilden zentrale Knoten der Aufmerksamkeitsverteilung und sind zugleich ein - völlig vergeblicher - Versuch, den Zustand des Peripheren, des Außenseitertums zu verlassen. Der Hyptertextmechanismus ist nichts anderes als ein äußerst zwingender Imperativ, Peripherie, Marginalität oder, politisch formuliert, potentiellen Dissens zugunsten von Zentralität oder Mainstream zu verlassen. Die technische Logik der globalen Hyptertextmaschine WWW hat also womöglich politische Implikationen - sie orientiert auf das politische Zentrum.

Am Rande sei vermerkt, dass die Generierung von Zentralität ökonomisch auch durch eine Strategie erreicht wurde, die "Netscape-Strategie" genannt werden könnte und die 1996 auch Microsoft imitierte: Schenkung, also die kostenlose Bereitstellung von Informationen - z.B. eines Browser-Pogramms - im Tausch gegen Verweise.

Durch die Verteilung der Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit (Links, Zugriffe) wird die ökonomische Geographie des Netzes als Massenmarkt konstruiert, das Internet wird in eine "unermeßliche Immobilie" (Wesemann) verwandelt, auf dem Zonen hohen [netscape.com] wie niedrigen [www.blah.com] Wertes mit schlechten und besseren Adressen entstehen.

3.5 NAVIGATOREN IM POLITISCHEN RAUM

Die politisch bedeutungsvolle technische Logik des Hyptertextmechanismus wird durch die spezielle Funktionsweise der mittlerweile etablierten Orientierungsprozeduren massiv gestützt.

SUCHMASCHINEN UNTERSTÜTZEN HÄUFIG DIE POLITISCHE LOGIK DES HYPERTEXTES

Während bis 1994 Kataloge, virtuelle Bibliotheken, Verzeichnisse, Guides und den Browsern beigegebene Sammlungen zur Benutzerführung das dominierende Orientierungsmittel auf dem Netz waren, haben ihnen seitdem die weit ausgreifenden Suchmaschinen offenbar den Rang abgelaufen, von denen "Internet Sleuth" Anfang 1996 über 900 zusammenstellte. Ihre Nutzung ist zur Standardprozedur geworden, die das sequentielle oder diffuse Abarbeiten von Verweisen weitgehend ersetzt.

Die Kapazität dieser Programmkomplexe der Suchmaschinen ist mittlerweile beträchtlich: Alta Vista gab im November 1996 an, 30 Millionen Seiten von 275000 WWW-Servern sowie vier Millionen Artikel von 14000 Usenet-Gruppen voll indiziert zu haben. Die täglichen Zugriffe auf die Site liegen bei 23 Millionen. Lycos, welches das Netz täglich katalogisiert, hatte Anfang 1996 19 Millionen URLs (einschließlich Bildern, FTP und Gopher) und Ende 1996 70 Millionen URLs erfaßt, darunter 11,5 Millionen WWW-Seiten, von denen weniger als die Hälfte voll indiziert waren; die Lycos-Datenbasis umfaßte im Frühjahr 1996 ca. 2,3 Milliarden Wörter.

Die Suchmaschinen nutzen Softwareagenten (Spider), um eine URL nach der anderen aufzusuchen. Dort einmal angekommen, verhalten sich die einzelnen Maschinen jedoch unterschiedlich. Einige Maschinen senden ihren Agenten zu jeder Seite und nehmen den Volltext jeder Seite auf. "Andere", so schreibt ein Beitrag in Internet World vom Mai 1996, "analysieren zunächst die Adressen des Datensatzes, um zu ermitteln, welche Sites am populärsten sind (typischerweise, indem sie die Anzahl der Links ermitteln, die auf die fraglichen Sites verweisen). Dann schicken sie Programme aus, um Informationen nur über diese Sites zu erfassen". Ein Beispiel ist die Excite-Suchmaschine, die ca. 1,5 Millionen Seiten indiziert hat: "Die Maschine versucht nicht, alle Web-Seiten zu sammeln, sondern sie baut eine Schätzung der populärsten Seiten auf, indem sie die Links erfaßt, die auf Seiten liegen, die bereits als bekannt seien. Um Seiten zu finden, die noch nicht populär sind, wird der Spider zu einer Anzahl "What`s New"-Sites geschickt."

Zu Lycos vermerkt Internet World: "Lycos baut seine Datenbank kumulativ auf, statt sie periodisch von Neuem zu generieren. Indem Lycos Informationen über neue und bereits existierende URLs regelmässig updated, stellt die Lycos-Software ein Maß der Popularität jeder Site her, indem sie nach der Zahl anderer Links schaut, die auf diese Sites verweisen. Die Maschine nutzt dann diesen Popularitätsindex, um jede einzelne Suche durchzuführen." Auch der Web Crawler fungiert nach dem Popularitätsindex. Seine ca. 500 000 Seiten umfassen - neben den selbst angemeldeten - nur solche Seiten, die "gut besucht erscheinen oder Lücken in der vorhandenen Datenbank füllen." Die Suchmaschine Infoseek, die ca. 1 Million Seiten indiziert hat, ordnet die gefundenen Seiten nach "Relevanz", d.h. nach der Übereinstimmung mit den abgefragten Parametern und ermöglicht eine Anschlußsuche nach "ähnlichen Seiten". Open Text, WWW-Worm und Lycos vermerken, wie oft Suchbegriffe gefunden wurden und erstellen so einen zusätzlichen Filter.

Die mittels Generierung und erweiterter Reproduktion von "Popularitätsindexen" funktionierenden Suchmaschinen verdoppeln so die technische und politische Logik des Hypertextmechanismus.

Die netzweltliche Verdopplung realer Ungleichheit, die das Zentrum begünstigende Programmlogik des Hypertextes und die Verstärkungseffekte der Suchmaschinen nach dem Motto "Wer hat, dem wird gegeben" - man könnte auch sagen: "Wer Links hat, dem werden Reputation, Raum und Recht gegeben" - sind Hürden, die in Rechnung gestellt und überwunden werden müssen, wenn das Netz als Medium und Ort von Demokratiepolitik gebraucht werden soll.

Eine letzte, prinzipielle Problematik kommt hinzu. Hier geht es nicht um den breit diskutierten Informationszugang oder die gesellschaftliche Informationsverteilung. Die Ungleichheit politischer Machtverteilung ist nicht das Ergebnis ungleicher Informationsverteilung, wie Bibliothekare und Intellektuelle gerne glauben. Wer herrscht, tut dies nicht, weil er mehr weiß. Die Konzentration der Diskussion auf zuwenig oder zuviel oder falsch verteilte Informationen geht am politischen Kern vorbei: es geht darum, wie welche Informationen entstehen, wozu sie genutzt werden, welche Bedeutung sie für die Bildung eigener Interessen haben, ob sie relevant sind für Entscheidungen, wie Politik im - sozialen -Informationsraum selbst entsteht.

DAS NETZ ALS INFORMATIONSRAUM - DIE GRENZEN UND NICHT DAS ZENTRUM SIND DAS POLITISCHE PROBLEM

In seinem Urteil zum Communications Decency Act zog der Federal Court im amerikanischen Philadelphia zur Beschreibung des Internets Vergleiche zur Zeitung, Bücherei oder zum Postamt, zum Theater, zu öffentlichen Forum und virtuellen Gemeinschaften.

The Internet may fairly be regarded as a never-ending worldwide conversation...the most participatory form of mass speech yet developed.

DAS NETZ KANN EIN MEDIUM FÜR DIE "GROSSE UNTERHALTUNG", ALSO POLITISCHE MEINUNGS- UND WILLENSBILDUNG SEIN. ES IST KEIN RAUM FÜR POLITISCHE ENTSCHEIDUNGEN.

Diese neue kommunikative Vergesellschaftung im virtuellen Raum revitalisiert das Konzept des "öffentlichen Platzes" jenseits von Arbeit und Wohnung. Aus den neuen öffentlichen Räumen erwächst eine neue kommunale und zugleich globale Öffentlichkeit. Solche Rede ist, sobald wir sie als Element der bürgerlichen Öffentlichkeit begreifen, die eine Erfindung der politischen Gesellschaft des Kapitalismus war, kein Selbstzweck, sondern substantielle Begründung von Volkssouveränität.

Es geht darum, "dass die unbehinderte Rede der Bürger von sich aus zu einem Verfahren finde, zu einem Prozeß. Der Prozeß, in dem sich die Vernünftigkeit des Streites immer deutlicher offenbare, dränge am Ende zum Urteil, zur Entscheidung, in der sich die volonté générale herstellen müsse. Öffentlichkeit wird also dazu gebraucht, die vagen und vorurteilsvollen Meinungen der Privatleute zum Beschluß, zum Gesetz zu führen. Dieser Zweck der Öffentlichkeit und der unbeschränkten Meinungsbildung," kritisiert Claus Koch , "nämlich die Vernünftigkeit der Institutionen zur Selbstbeherrschung der Bürgerschaft zu ermitteln, steht gerade nicht dem Internet eingeschrieben."

Wieso ist im Informationsraum die Bildung eines allgemeinen Willens, seine Äußerung in einer Entscheidung und deren Durchsetzung nicht möglich? Ist die Losung des Internet tatsächlich, dass Mitmachen möglich ist, aber nicht siegen? Bietet der neue Informationsraum also nur das, was Helmut Qualtinger in den prophetischen Satz faßte: "Ich weiß zwar nicht wo ich hinfahr, aber dafür bin ich schneller dort"? Wie soll denn die politische Ordnung und die Ordnung der Politik im Cyberspace entstehen?

Auf der Tagung "Macht Information" im September 1996 - und später in einem FOCUS-Kommentar zum Thema "Wieviel Bytes verträgt die Demokratie?" - hat der Freiburger Ordinarius Ludger Kühnhardt behauptet, dass es im Netz kein Zentrum mit "zentralem Mandat" gibt, aus dem gleichsam die "Ordnungen der Politik" hervorkommen, weshalb im zentrumslosen Netz der "Ort der Politik verloren" gehe, demgegenüber "mehr und nicht weniger staatliche Autorität" angesagt sei. So kann nur der argumentieren, für den der politische Raum mit einem privilegierten Zentrum ausgestattet sein muß, um überhaupt als politischer Raum ausgezeichnet zu sein, und für den die Dezentralitätsvorgabe aus einer Welt technisch gleichberechtigter Datenknoten ein Kontrollrisiko aufwirft.

Doch nicht das fehlende Zentrum, sondern die Tatsache fehlender Grenzen ist das Problem des politischen Netzraums. Politik meint Entscheidungen über Machtverteilung zwischen großen gesellschaftlichen Gruppen oder Klassen. Sie setzt voraus, dass im politischen Raum Machtressourcen knapp sind. Funktioniert Politik noch so im Cyberspace, der "endless frontier", wo derjenige, der sich dort bewegt, ununterbrochen die widersprüchliche, eigentümliche Erfahrung der Grenzenlosigkeit und der ständigen Präsenz von Grenzziehungen macht, er in einem Informationsraum operiert, der praktisch keine Grenze hat und zugleich voller Grenzzäune und fragmentierter Öffentlichkeiten ist?

Eine politische Theorie des Cyberspace muss auf diesem Grundparadoxon aufbauen. Im Cyberspace gibt es Grenzziehungen, die sogar - im Vergleich zur realen Welt - ganz leicht gezogen werden können: durch Namensgebung (Domain-System) und virtuelle Adressierungen, Clusterbildung von Adressen, spezielle Passwörter, Eintrittsgebühren oder, vor allem, Softwareprotokolle (" Das Internet ist Software" - Ethan Katsh). Im wirklichen Leben werden diese Schließungstendenzen in "so einem wunderbaren Medium" (Middelhoff, Bertelsmann) vielfach unterfüttert: Arbeitsplatzrechner werden nur noch ohne Diskettenlaufwerk aufgestellt, die Email-Nutzung im Betrieb wird verboten, Firewalls gegen Eindringlinge werden aufgestellt usw.

Daraus ergibt sich, dass Inhalte oder Verhaltensweisen, die in einem Informationsraum akzeptiert und möglich sind, im nächsten nicht gelten und die Sicherung solcher Grenzen vergleichsweise weitaus weniger Aufwand erfordert als im Falle reale existierender Grenzen. Gemessen an der Realwelt des Immobilienmarktes ist die Eigentumskonstruktion in der virtuellen Welt, der Aufbau von Schranken, von kommerziellen Zugangsschwellen, exklusiven Zonen und Räumen leicht. Doch diese Grenzen sind durchlässig, umgehbar, zeitweilig - also relativ. Entscheidungen, die Machtverhältnisse in einem gegebenen Informationsraum generieren oder tangieren, politischen Entscheidungen also, kann sich der Netizen eben entziehen, indem er schweigt, eine neue Identität annimmt, sich anonymisiert aufmacht oder den virtuellen Raum verläßt.

Eintrittskosten und Austrittskosten sind gering. Während in der wirklichen Welt der wirklichen Staaten die Realisierung politischer Zielsetzungen wie auch die Rechtsdurchsetzung letztendlich auf die Fähigkeit zur Ausübung physischer Gewalt bauen kann, ist im virtuellen Raum die Durchsetzungsfähigkeit, also die Gültigkeit der Regeln und Normierungen, auf Zustimmung angewiesen. Sie kann nicht mit Zwang sanktioniert werden. Es ist also sehr zweifelhaft, dass der Netzraum ein Platz für zwingend folgenreiche Entscheidungen ist, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können: "Abwanderung" (Hirschman) - Exit - ist möglich, das Netz hat - im Unterschied zum realen Staat - immer einen Ausgang. Wenn politische Entscheidung über Machtverteilung zwischen gesellschaftlichen Gruppen die Essenz politischen Handelns ist, dann ist das Netz insofern strukturell unpolitisch, weil es kein derart essentieller Entscheidungsort sein kann.

Ungeachtet, ob das Internet als ein Medium der Kommunikation oder als Informationsraum ("Cyberspace") konzipiert wird, so ist es gerade deswegen kein Mittel oder Ort der Entscheidung. Und insofern trifft auch die Beobachtung von Horst Bredekamp in der "FAZ" zu: das Reden und Schreiben auf dem Netz führt nicht zum Zustand "der Übereinstimmung oder des Bruches, sondern zur beständigen Erweiterung von Varianten."

Eine konkrete Beobachtung hierzu: politische Positionen und Meinungen finden sich zuhauf auf den politischen WWW-Sites - Konflikte nicht. Die Sites beziehen sich nicht aufeinander: CDU ignoriert SPD, PDS ignoriert die Grünen, die Grünen ignorieren die CSU. Die Spezialkulturen, die sich ein Aussetzen dem Anderen gegenüber ersparen, vereinheitlichte Präferenz-Gemeinschaften und homogene Cyber-Gruppen also, dominieren, vom Zappen und Surfen der Voyeure und Netzflaneure in uns allen einmal abgesehen. Es entstehen fragmentierte Identitäts- und "Informationsinseln" (Hecht) der Selbstbewerbung und des politischen Marketing und keine medialen Netze von miteinander in Konflikt stehenden Diskursen, die historische Rekonstruktionen auf verschiedenen kognitiven und Interesseniveaus erlauben.

Natürlich finden sich Gegenbeispiele der direkten Thematisierung und des Austragens politischer Konflikte auf dem Netz, aber sie werden dort nicht gültig entschieden. Was auf den ersten Blick als ein Gegenbeispiel erscheint, wie z.B. die jüngste Abstimmung über die Gründung einer offenbar rassistischen Newsgroup zu weißer Musik, die mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde, ist nicht nur, nüchtern betrachtet, völlig peripher, sondern ein Beleg für die These: die Betreiber dieser Gruppe können einen eigenen Informationsraum für ihr rassistisches Projekt aufmachen oder das Netz verlassen, was sie auch getan haben, und im wirklichen Leben Rassisten bleiben. Das Netz kann somit ein Medium für die "große Unterhaltung", also politische Meinungs- und Willensbildung sein. Es ist keines für politische Entscheidungen.

Auf den ersten Blick realisiert das Internet den neuen, alten bürgerlichen Weltzugriff: von einem - seinem - Ort aus, dem Netz-PC, die Welt zu ergreifen, zu begreifen und über sie zu verfügen. Doch die Welt hat kein Ende und der Ort ist bodenlos. So spielen diffuse Fragmentierungen in zahllose Netzräume und Grenzenlosigkeit des Cyberspace zusammen: beides beschränkt, untergräbt, zersetzt den Bildungsprozeß einer über die technische Architektur hinausgehenden diskursiven Gemeinsamkeit.

Deshalb ist die Idee eines demokratischen Weltstaates auf dem Netz ebenso lächerlich wie die von den wirklichen gesellschaftlichen Interessengegensätzen absehenden menschheitsharmonisierenden Weltbürgerideen der Vergangenheit und daher können die zumeist amerikanischen "Teledemocracy"-Hobbyprojekte vielleicht gerade mal noch als anrührend-aufmunternde Don Quijotterien durchgehen. Und so interessant das Nachdenken darüber auch ist, ob elektronische Agents und Spider wählen können und dürfen, so ändert dies nichts daran, dass es nichts bedeutet, ob sie wählen dürfen oder nicht: ihre Stimme, einmal abgegeben, verliert sich folgenlos im Cyberspace.

Wo das "Ich-Fernsehen" und das "EgoNet" zu einer virtuellen Welt verschmelzen, die auf Verdoppelung individuellen Wohlbehagens aus ist, wird die Chance des Netzbürgers, sich dem Unterschied, der Differenz, dem Widerspruch, dem Fremden auszusetzen, radikal minimiert. An die Stelle der Massenmärkte für Massenmedien sind schon lange massenhaft Spezialmärkte für Individualkommunikation getreten. Die großindustrielle Fabrikation eines nach Millionen zählenden Heers von Netzmonaden ist im Gange - was da als Motivation bleibt, ist womöglich gerade einmal die Teilhabe an der Chance des Aufbaus eines virtuellen Kapitalakkumulationsraums ohne Ende, am Weg ins unendliche Neuland des virtuell aufgestockten Kapitalismus. Politische Subjekte, die mehr sind als feedbackfähige Netzmonaden, kommen in diesem Szenario nicht vor.

3.7 DAS NETZ ALS MEDIUM IST DIE DEMOKRATIEPOLITISCHE FALLE

Obwohl das Netz als Ergebnis politischer, nämlich militär- und technikpolitischer Entscheidungen entstanden ist, bildet es also insofern einen unpolitischen Raum, als es kein Ort für Entscheidungen über Machtverhältnisse ist. Dennoch findet in ihm durchaus Politik statt. Politische Anbieter, Mailing-Listen, Sites, Chats, Zensur, Allianzen, Aktionen, Unterschriftenlisten, Petitionen, Voting und Flaming - alles ist zu finden und noch viel mehr. Doch das alles hat mit Kampf um Sichtbarkeit und die Ermöglichung von Aufmerksamkeit, mit Meinungs- und Willensbildung, also auch mit Entscheidungsvorbereitung oder -konfiguration zu tun, nicht mit Wahl oder Entscheidungsfällung und wenig mit ihrer Implementierung. Wer im politischen Informationsraum agiert, hat schließlich noch mit einem weiteren demokratiepolitisch relevanten Problem zu tun, das aus der technischen Konstruktion des Netzes resultiert.

Mit dem Internet wurde technisch ein Kommunikationsmedium geschaffen, dessen prozessierender Inhalt durchgängig als Privatkommunikation arrangiert werden kann. Mit der Möglichkeit zur Verschlüsselung ist historisch erstmals eine Form politischer Kommunikation entstanden, die der Staat nicht mehr kontrollieren kann. Damit werden demokratische Schutzmechanismen, die für den Modus öffentlichen Redens entwickelt wurden, außer Kraft gesetzt: das Recht auf Freiheit vor (z.B. anonymer) Kommunikation nazistischer, rassistischer oder sexistischer Inhalte, das Recht auf Gegendarstellung, das Recht auf Diskriminierungsfreiheit sozialer oder ethnischer Minderheiten, die Norm öffentlicher Kritik usw. All das greift nicht mehr, wenn jede Kommunikation privatisiert werden kann. Der Preis für die Freiheit vor - im Falle des Internet dann eben notwendigerweise unbegrenztem - staatlichem Eingriff in die Privatkommunikation, die nur durch eine prinzipielle Aufhebung des Rechts auf private Kommunikation mit Hilfe unbegrenzter Verschlüsselung möglich ist, führt zur massiven Einschränkung historischer Errungenschaften demokratischer Öffentlichkeit .