Aufschwung XL oder Rezession und Deflation?
Während man in Deutschland auf ein hohes Wachstum hofft, steigt weltweit die Angst vor Rezession und Deflation
Zweischneidiger könnten die Informationen kaum sein, die aus dem bundesoffiziellen Deutschland gerade verkündet werden: Da wird vom Aufschwung XL schwadroniert und das prognostizierte Wachstum für Deutschland im laufenden Jahr auf 3% angehoben. Gleichzeitig wächst an vielen Märkten die Angst vor einem Rückfall in die Rezession und in Japan ist das fast schon wieder soweit. Die Zinsen für scheinbar sichere Staatsanleihen sinken auf Rekordtiefs, weil eine mögliche Deflation bei der Flucht in diese Anlageform eingepreist wird.
Die Kluft zwischen den schönen Prognosen in Deutschland und dem, was sich an den Finanzmärkten abspielt, könnte derzeit kaum größer sein. Gerade hat die Bundesbank ihre Prognose des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das laufende Jahr auf 3% angehoben. In Frankfurt geht man von der "Annahme einer weiteren moderaten Expansion der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in der zweiten Jahreshälfte" aus, deshalb sei "aus heutiger Sicht für den Jahresdurchschnitt 2010 von einem Anstieg des realen BIP in Deutschland von rund 3% auszugehen", heißt es optimistisch im Monatsbericht. Noch im Juni war die deutsche Zentralbank noch von knapp 2% ausgegangen.
Die Bundesbank sekundiert damit den deutschen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der von einem möglichen "Aufschwung XL" schwadroniert hatte, nachdem die deutsche Wirtschaft im 2. Quartal um 2,2% gewachsen istg. So ist es kein Wunder, dass die Bundesregierung die Prognose der Zentralbank erfreut aufgreift. Auf ihren Webseiten ist zu lesen, dass auch die Bundesbank für das 2. Halbjahr davon ausgehe, dass "sich die wirtschaftliche Dynamik fortsetzen wird". Gesprochen wird davon, dass aus Frankfurt ein "Lob für das Zukunftspaket der Bundesregierung" käme.
Das ist eine reichlich propagandistische Auslegung. Denn das Zukunftspaket wird auf den gesamten 80 Seiten nicht ein einziges Mal erwähnt. Die Zentralbank drückt sich ohnehin viel zögerlicher aus, als die Interpretation der Bundesregierung vermuten lässt. Sie schreibt, "die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung dürfte sich im zweiten Halbjahr fortsetzen – wobei Risiken aus der Entwicklung an den internationalen Finanzmärkten weiter fortbestehen". Dieser letzte warnende Halbsatz fiel bei der Bundesregierung genauso weg, wie deren Interpretation keine der vielen Warnungen enthält, welche die Bundesbank immerhin noch anführt. Sie spricht zum Beispiel davon, dass die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte auf einen moderateren Expansionspfad einschwenken werde. "Entsprechend wird sich das bisher außerordentlich hohe Exportwachstum verlangsamen", kommt ein entscheidender Satz für die Exportnation Deutschland.
Dass sich nun "eine langsamere Gangart" andeute und in den großen Schwellenländern "teilweise schon konjunkturelle Überhitzungserscheinungen erkennbar" seien, fällt in Berlin aber unter den Tisch. Auch den Hinweis der Bundesbank, dass in China "die Bedingungen für Kredite an Haushalte und Unternehmen deutlich verschärft wurden", womit es zu einer Abkühlung kommen wird, wurde gestrichen. Dass sich auf anderen wichtigen Exportmärkten, wie in den USA und Japan, die Lage sehr trübe ist, hat die Bundesbank aber noch realisiert. Sie spricht an, dass das Wachstum in den USA "spürbar moderater" ausfalle und in Japan sogar eine "Pause eingelegt" habe.
So verwundert eigentlich auch nicht mehr, dass in der Berliner Auslegung nichts davon steht, dass sich trotz allem die "Lage der deutschen Staatsfinanzen 2010 aufgrund der expansiven finanzpolitischen Ausrichtung nochmals erheblich verschlechtern" werde. Die Bundesbank weist auch darauf hin, dass der "konjunkturelle Einfluss auf die Defizitentwicklung gedämpft bleiben" werde, weil die "Wachstumsstruktur für die öffentlichen Haushalte – im Gegensatz zum Vorjahr – einnahmenunergiebig ist". Deshalb werde die "Defizitquote weiter spürbar ansteigen" und die "Schuldenquote, die bereits im Vorjahr sprunghaft gestiegen war, wird erneut stark zunehmen", warnt die Bundesbank.
Propaganda aus Berlin
Die propagandistische Auslegung des August-Berichts macht deutlich, dass nun auch die schwarz-gelbe Regierung vor allem auf die Psychologie setzt. Doch mit der Strategie, an wesentlichen wirtschaftlichen Grunddaten vorbei eine Politik propagandistisch auszurichten, ist Angela Merkel schon zu Beginn der Krise deftig auf die Nase gefallen. Vielleicht sollte man sie daran erinnern, dass ihre Regierung auch in Berlin im Frühjahr 2008 keine Krise erkennen wollte (Psychologie der Krise). Weil die Eckdaten der Weltwirtschaft angeblich weiter solide seien, wurde auch damals von einer Wachstumsverlangsamung gesprochen. Erstaunlich, wie sehr sich die Wortwahl gleicht.
Allerdings geben schon die Warnungen der Zentralbank ein wenig Aufschluss darüber, warum man an den Börsen das deutsche Rekordwachstum so gar nicht feiern will. Trotz der positiven Bundesbank-Prognose ging auch am Freitag die Frankfurter Börse deutlich in die Knie. Obwohl der Leitindex DAX schon am Donnerstag um fast 1,8% eingebrochen war, fiel er auch am Freitag erneut um 1,15%. An den Börsen glaubt nämlich niemand wirklich die Propaganda aus Berlin, dass der Aufschwung an Breite gewonnen habe. An allen wichtigen Finanzplätzen Europas ging es weiter deutlich bergab. Ohnehin sehen viele in der deutschen Exportwut ein großes Problem, zu der nun auch die Sparwut in Europa kommt, die schon jetzt einige Länder zurück in die Rezession geführt hat und anderen nur ein minimales Wachstum beschert.
Die Kritik an der Politik, die in Europa vor allem in Berlin festgelegt wird, ist nicht neu. Da wird vor allem aus den USA kritisiert, dass nun die Erholung der Weltwirtschaft durch die Sparwut in Gefahr gebracht wird. Auch die Kritik an dem enormen deutschen Handelsbilanzüberschuss ist nicht neu und in Frankreich wird immer wieder betont, dass man einen Tango nicht alleine tanzen kann (Am deutschen Wesen kann Europa nicht genesen). Nicht selten wird auch in der deutschen Sparsamkeit und dem betriebenen Lohndumping ein zentrales Problem gesehen. Tatsächlich ist Deutschlands konjunktureller Sommernachtstraum auch deshalb stark gefährdet, weil er nicht vom nationalen Konsum gestützt wird. Er kann, weil er sich vor allem auf den Export begründet, sehr schnell wieder in sich zusammen brechen.
Ängste um US-Konjunktur
Und genau das vermutet man an den Finanzmärkten, angesichts der Entwicklungen weltweit, vor allem in den USA. Denn dort wachsen die Ängste davor, dass die Wirtschaft wieder in die Rezession zurückfällt, weshalb die Ängste vor dem "Double-Dip" stärker werden. So waren es letzte Woche erneut schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt, welche diese Ängste schüren. In der vergangenen Woche stieg die Zahl der Erstanträge für Arbeitslosenhilfe in den USA wieder auf eine halbe Million, gab das US-Arbeitsministerium am Donnerstag bekannt. Dass erstmals seit November 2009 wieder die magische Grenze überschritten wurde, macht deutlich, dass sich das starke Wachstum, das noch stärker als in Deutschland war, wieder in sich zusammenbricht, denn auch die Konsumenten halten sich zurück (Konsumenten lassen US-Wirtschaft im Stich).
Da die Arbeitslosigkeit wieder steigt und die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf einem Niveau ist, das nur mit dem in der Großen Depression in den 1930er Jahren vergleichbar ist, nimmt auch die Dynamik des Bankensterbens weiter deutlich an Fahrt auf. Der Einlagensicherungsfonds (FDIC) hat zum Wochenende gerade erneut acht Geldinstitute geschlossen. Das in Schulden versinkende Kalifornien führt als Krisenregion mit nun 24 von 118 Pleitebanken die traurige Liste an. Bei der Geschwindigkeit könnte der Rekord 2009, als 140 Banken abgeschmiert sind, sogar noch im Sommer gebrochen werden.
Die Ängste um die US-Konjunktur teilt auch die US-Notenbank (FED), die nun wieder die Notenpresse angeworfen und die Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft wieder Link auf verstärkt:8/148169 hat. Der Bundesbank-Chef wiegelt zwar ab, doch er hält die Sorgen um einen Rückfall der Weltwirtschaft in die Rezession nur als "leicht übertrieben". Tatsächlich dürfte er nicht an Brüderles Aufschwung XL glauben, sonst würde er kaum dafür plädieren, den Geldhahn der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Banken weiterhin unbeschränkt offen zu lassen. Die EZB stellt den Banken für Refinanzierungsgeschäfte weiterhin unbegrenzt Liquidität zum Leitzins von 1% zur Verfügung und dopt damit deren Bilanzen weiter. Axel Weber will die Entscheidung über den Rückzug der Notfall-Kredite ins nächste Jahr vertagen, sagte er gegenüber der US-Nachrichtenagentur Bloomberg.
An den Finanzmärkten ist festzustellen, dass vorwiegend in vermeintlich sichere Staatsanleihen und ins Gold geflüchtet wird. Während der Goldpreis deshalb wieder deutlich steigt, die Zinsen für Staatsanleihen gegen dagegen deutlich in den Keller. Die Rendite für 30-jährige Bundesanleihen ist unter die Schwelle von 3% gesunken. Das gab es noch nie. Ähnlich sieht es für ähnliche Anleihen in den USA aus. Auch die zehnjährigen US-Anleihen werden nur noch mit gut 2,6% gehandelt und das ist der tiefste Stand seit 17 Monaten. In Japan notieren Anleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren sogar schon unter der Schwelle von 1%.
Jojo-Effekt
Viele Experten gehen inzwischen davon aus, dass in diesen niedrigen Zinsen auf langfristige Anlagen am Anleihemarkt eine bevorstehende Deflation eingepreist wird. Vor allem in den USA droht, dass das Land real in den Teufelskreis aus sinkenden Preisen und Löhnen gerät. Japan machen schon zwei Jahrzehnte Deflation zu schaffen, nachdem dort die Immobilienblase platzte. Im vergangenen Jahr kehrte die gefährliche Deflation nach Japan zurück. Auch in den USA waren, wie in anderen Ländern, im Rahmen der Krise schon deutliche Deflationstendenzen zu beobachten.
Japan darf ohnehin als Gradmesser angesehen werden, denn auch diese Exportnation hatte zwischenzeitlich wieder ein deutliches Wachstum verzeichnet. Doch dieser Aufschwung ist nicht nur, wie in den USA, eingebrochen, sondern schon fast wieder in sich zusammengebrochen. Nach vorläufigen Berechnungen wurde im 2. Quartal nur noch ein Minimalwachstum im Vergleich zum Vorquartal von 0,1 % verzeichnet.
Japan macht zu schaffen, dass der Exportboom abbricht, nachdem viele Lager wieder aufgefüllt wurden und der private Konsum weiter schwach ist, weil die Verbraucher auf sinkende Preise setzen. Auch in Japan zeigt sich der gefährliche "Jojo-Effekt". Schließlich wurde hier im 1. Quartal noch ein BIP verzeichnet, das 4,4% über dem des Vorjahreszeitraums gelegen hat. Im 2. Quartal lag es gerade noch 0,4% höher als im Vorjahreszeitraum, dabei wurde ein Wert erwartet, der deutlich über 2% liegen sollte. Japan hat damit nicht nur den Posten als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt an China abgegeben, sondern hier droht im ersten großen Industrieland der erneute Rückfall in die Rezession, also der Double-Dip, und damit die gefährliche Stagdeflation.
Warum sich die Lage in Deutschland großartig anders entwickeln sollte als in Japan, dafür gibt es angesichts der Rahmendaten eigentlich keine vernünftigen Gründe. Es gäbe aber eine Möglichkeit zum Gegensteuern. Statt das Dumping bei Löhnen und erkämpften Rechten fortzusetzen, wie es jetzt allseits gefordert wird, müssten die Löhne in Deutschland deutlich steigen, damit die Wirtschaft auch über die Binnennachfrage gestützt wird. Denn anders als die Arbeitgeberverbände und deren Lobbyisten glauben machen wollen, die nun erneut Lohnverzicht fordern, um den Aufschwung nicht zu gefährden, dürfte genau dieser Lohnverzicht zurück in die Rezession führen.