Ausweitung der Spionage-Zone
Seite 2: Eine Nebelkerze
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Die Regierung und die Ministerin selbst sind nun in einer fatalen Lage. Sie haben sich selbst durch ihre Bekanntgabe hineinmanövriert, dass mit der Pegasus-Spyware gegen Robles und Ministerpräsident Sánchez spioniert wurde. Gleichermaßen halten dies Unterstützer und Oppositionelle für eine reine "Nebelkerze", um vom eigentlichen Skandal abzulenken.
Es ist natürlich auch politisch dumm. Kein Land der Welt gibt zu, dass es gelungen ist, den Regierungschef und diverse Minister auszuspähen. Klar ist zwar seit vergangenem Sommer, dass auch Staats- und Regierungschefs wie Emmanuel Macron oder Boris Johnson ausgespäht wurden, aber offiziell hat man das weder in Paris noch in London bestätigt.
Allein vom Sánchez-Handy sollen enorm viele Daten geklaut worden sein. Die Regierung gibt zu, dass von dessen Handy im Mai und Juni 2021 Daten im Umfang von 2,6 Gigabyte abgesaugt worden seien, vom Robles-Handy seien es 130 Megabyte gewesen. Damit sind auch der Geheimdienst CNI und die Sicherheitskräfte insgesamt weiter in die Schusslinie gerückt, da sie offenbar unfähig sind, die eigene Regierung zu schützen. Oder waren sie es sogar selbst, die spioniert haben?
Dass man ein Manöver versucht hat, um von der Spionage gegen Katalanen und Basken abzulenken, liegt längst offen. Denn seit fast einem Jahr ist den spanischen Sicherheitskräften bekannt, dass die Handys von Sánchez und Robles gehackt wurden. Betroffen sei auch die frühere Außenministerin Arancha González Laya und das, so meint auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), weise deutlich in Richtung Marokko.
Ausgerechnet einen Tag, nachdem Marokko die Grenze zur spanischen Exklave Ceuta erpresserisch geöffnet hat, worüber Telepolis ausführlich berichtete, sei auf dem Handy von Sánchez Pegasus aktiviert worden, als der Regierungschef Militär aufziehen ließ.
Man hat die Vorgänge also bis heute geheim gehalten, um sie nun als Nebelkerze zu benutzen, da die spanische Spionage gegen Katalanen und Basken aufgeflogen ist.
Wie bereits erklärt, ist davon nur die Eisbergspitze bekannt, weil bisher nur iPhones untersucht wurden und auch das nur in einem eng umgrenzten Bereich. Android-Geräte dagegen noch gar nicht. Doch 80 Prozent aller infizierten Geräte verfügten nach NSO-Angaben über Android. Es seien "breit" zivilgesellschaftliche Organisationen ausgespäht worden, erklärt zum Beispiel der IT-Experte Elies Campo, der für Citizen Lab an der Aufdeckung des Skandals beteiligt war.
"Bemerkenswertes Timing"
Sogar der Süddeutsche Zeitung (SZ) und ihrer Spanien-Korrespondentin, beide wahrlich gegenüber der Regierung nicht besonders kritisch, kommt der gesamte Vorgang "spanisch" vor. "Bemerkenswertes Timing" titelte die SZ am Dienstag.
"Tatsächlich bemerkenswert" sei vor allem der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Erkenntnisse über die Sánchez-Spionage: "Fast auf den Tag genau zwei Wochen", rechnet die Zeitung vor, nachdem das Citizen Lab zusammen mit dem US-Magazin The New Yorker die Pegasus-Spionage gegen Basken und Katalanen bekannt gemacht hatte. Auch für die SZ klang die "Verteidigung wie ein Eingeständnis".
Während man die Spionage gegen die Katalanen und Basken nicht aufklären will – schon vor jeder Untersuchung in Madrid wird behauptet, dass in Spanien nicht illegal geschnüffelt werde (wobei zahllose Skandale und Gerichtsverfahren längst das Gegenteil beweisen) –, so ist man im Fall der Spionage gegen die Regierungsmitglieder schon jetzt ohne Untersuchung fest davon überzeugt, dass die eigenen Dienste es jedenfalls nicht gewesen sein sollen. Die Regierung ist sich "absolut sicher", dass es ein Angriff von außen gewesen sei.
Marokko
Die Hinweise, dass Marokko hinter der Attacke auf Sánchez und seine Minister steht, sind tatsächlich sehr deutlich. Dafür spricht auch die Spionage gegen die ehemalige Außenministerin Laya. Das erklärt ebenfalls, warum man erst mit einjähriger Verspätung die Spionage öffentlich gemacht hat. Zuvor hätte das den Schmusekurs zu Marokko deutlich behindert, dem auch Laya zum Opfer fiel.
Die Baskin Laya, war offensichtlich nicht bereit, der dauernden marokkanischen Erpressung nachzugeben. Anders als die Schutzherrin der Spione, Robles, wurde sie wegen einer zu unnachgiebigen Haltung gegenüber dem autokratischen marokkanischen Regierungschef von Sánchez geschasst.
Diese Vorgänge werfen nun auch Fragen auf. Was hat Marokko vom Sánchez-Handy abgesaugt? Ist der spanische Regierungschef erpressbar und fährt deshalb eine neue fatale Linie gegenüber König Mohammed VI.?
Er gibt plötzlich der Forderung Marokkos nach und erkennt gegen das Völkerrecht und UN-Sicherheitsratsresolutionen die Souveränität Marokkos über die illegal besetzte Westsahara an. Wie der ehemalige US-Präsident-Trump schlägt er sich in einem radikalen Schwenk auf die Seite Marokkos.
Wie Telepolis schon mehrfach berichtet hat, wurde damit auch die Schutzmacht Algerien massiv verärgert und damit das Land, aus dem Spanien noch im letzten Jahr 40 Prozent seines Gasbedarfs bezogen hat. Inzwischen droht Algerien den Spaniern sogar damit, den Gashahn komplett abzudrehen, weil das Land dem aggressiven Widersacher Marokko aus der Patsche helfen und dessen Energienotstand mit Gaslieferungen aus Spanien lindern will.
Das könnte insgesamt fatale Folgen für die europäische Energieversorgung haben. Warum tut Sánchez all das gegenüber einer autoritären Regierung, die ihn mit großer Wahrscheinlichkeit ausgespäht hat?
Die Regierung in Not
Er bringt auch seine Regierung weiter in arge Not. Der Koalitionspartner und die Unterstützer sind es längst leid, dass die Sánchez-Regierung einen neoliberalen Kurs fährt und bei allen sozialen Verbesserungen stets auf der Bremse stehen.
Dass weder die Franco-Verbrechen geahndet werden, man Waffen zur Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts in die Ukraine schickt, während man das der Westsahara mit Füßen tritt, treibt die Unterstützer längst auf die Barrikaden. Dass sogar UP nun klar fordert, dass wegen der Spionage Köpfe in der Regierung rollen müssen, zeigt, dass es auch der Truppe zu bunt wird, die bisher eine Kröte nach der anderen schlucken musste.
Sánchez drängt längst in die Arme der rechten PP, die ihm schon mehrfach eine Mehrheit sichern musste, wie bei der Ablehnung des Spionage-Untersuchungsausschusses. Doch da die PP die letzten Wahlen gewonnen hat, zum Teil mit der Unterstützung der ultrarechten Vox wie in Madrid haushoch, wäre das eine GroKo mit Verfallsdatum.
Die große Generalprobe findet am 19. Juni im bevölkerungsreichen Andalusien statt. Gewinnt die Ultra-Koalition auch dort klar wie zuletzt in Kastilien-Leon, wird die PP Sánchez wie eine heiße Kartoffel fallen lassen - er bekommt keinen Haushalt hin und muss Neuwahlen ansetzen, welche die PP-Vox-Koalition gewinnen dürfte.