Beim Ukraine-Krieg geht es nicht um die Ukraine

Washington will Russland durch einen Sieg der Ukraine schwächen, um die US-amerikanische "regelbasierte internationale Ordnung" durchzusetzen

Die deutsche Regierung hat am vergangenen Dienstag unter dem Druck der Koalitionspartner und der USA sowie der übrigen Nato-Staaten und der 14-Nicht-Nato-Länder beim Treffen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein nachgegeben und erklärt, man werde auch schwere Waffen aus "deutscher Produktion" in Form von 50 gebrauchten oder alten Flakpanzern des Typs Gepard in die Ukraine liefern und ukrainische Soldaten in Deutschland zusammen mit den USA und den Niederlanden ausbilden (siehe: Direktlieferung deutscher Panzer an die Ukraine).

Jetzt also wird auch Deutschland den lange geforderten symbolischen Beitrag zur Verteidigung der Ukraine leisten, die bis zum Sieg durchhalten soll.

Der Panzer Gepard wurde bis 2010 von der Bundeswehr genutzt. Der Bundessicherheitsrat hat die Ausfuhr bereits genehmigt. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte nach dem Treffen: "Das ist genau das, was die Ukraine jetzt braucht."

Man könnte nach den kürzlich gemachten Äußerungen des US-Verteidigungsministers Austin eher sagen, schwere Waffen sind das, worauf die USA und die Nato setzen, um Russland für lange Zeit militärisch und wirtschaftlich zu schwächen. Die angebliche Verteidigung der freien Welt in der Ukraine ist dafür ein probates Mittel.

Die Ausbildung ukrainischer Soldaten "auf deutschem Boden", so Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), werde "gemeinsam mit unseren amerikanischen Freunden" und mit den Niederlanden geschehen.

Die amerikanischen Freunde hatten bereits vor dem Krieg ukrainische Soldaten in der Ukraine und in den USA ausgebildet, darunter auch Mitglieder des Regiments Asow und anderen Freiwilligenverbänden wie C14 oder dem Rechten Sektor, die der Nationalgarde und damit dem Innenministerium unterstehen, aber auch Teil der Streitkräfte sind und eine gewisse Selbständigkeit haben. Vor allem sind durch ihre extrem nationalistische, teils neonazistische Ideologie bekannt und berüchtigt. Man wird sehen, ob Deutschland nur Soldaten der regulären Truppen oder auch solche Militanten ausbildet, zu denen mitunter Rechtsextreme aus Deutschland und der ganzen Welt gehen, um Kampferfahrung zu sammeln?

Der US-Verteidigungsminister Austin hat nach seinem gemeinsam mit Außenminister Blinken absolvierten Pflichtbesuch beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj die Strategie der US-Regierung deutlich gemacht.

Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es das, was es beim Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr tun kann. Es hat bereits eine Menge militärischer Fähigkeiten und, offen gesagt, viele seiner Truppen verloren. Und wir wollen, dass sie nicht in der Lage sind, diese Fähigkeit sehr schnell wiederherzustellen.

Lloyd J. Austin, US-Verteidigungsminister

Das läuft, wenn Russland nicht klein beigibt, auf eine direkte Konfrontation USA/Nato hinaus, was seit Beginn des Krieges provoziert wird, auch wenn ständig beschworen wird, dass man "nur" Waffen und Geld liefert, aber nicht zum Kriegsteilnehmer werden will. Ein äußerst riskantes Spiel, bei dem alle Nato-Staaten brav mitspielen, schließlich ist die Gefahr hoch, dass ein Atomkrieg ausbrechen kann, wenn Russland sich zu sehr gefährdet sieht – und der Angriffskrieg gegen die Ukraine war auch bereits Folge der von der russischen Führung als solche wahrgenommenen Gefährdung durch die USA und Nato.

Das sollte alle Warnglocken läuten lassen, aber offenbar setzen die Amerikaner und ihre Koalition voraus, dass Russland schon keine Atomwaffen einsetzen wird – was auch nicht in der Ukraine geschehen muss.

In Ramstein schob Austin nach, was dazu auch von der Koalition der Willigen gefordert wird: Waffen, Waffen, Waffen. Und klar machte Austin auch, dass die USA die Marschrichtung angeben:

Wir sind hier, um der Ukraine zu helfen, den Kampf gegen die ungerechte Invasion Russlands zu gewinnen – und um die Ukraine für die Herausforderungen von morgen zu wappnen.

Lloyd J. Austin

Er verwies auf die Dringlichkeit, schnell zu handeln (und ohne groß ins Nachdenken zu kommen):

Ich möchte, dass diese ganze Gruppe heute mit einem gemeinsamen, transparenten Verständnis der kurzfristigen Sicherheitsanforderungen der Ukraine abreist – denn wir werden weiterhin Himmel und Erde in Bewegung setzen, um sie zu erfüllen.

Lloyd J. Austin

Austin brachte die Moral beim angeblichen Kampf um die Freiheit ins Spiel, machte aber auch klar, dass es nicht um die Ukraine geht, sondern eigentlich um die "regelbasierte internationale Ordnung", die von Washington kontrolliert wird. Die Ukraine wird gebraucht, um Russland klein zu kriegen.

Wahrscheinlich ist die Strategie, die Allianz Russland-China aufzubrechen. Mit einem Russland, das militärisch geschwächt ist, können die USA, was schon längst ausgemachtes Ziel ist, direkt gegen den Hauptkonkurrenten um die Weltmacht antreten, gegen China.

US-Amerikanische Kriegsziele

Die New York Times stellt ganz richtig eine Veränderung der US-amerikanischen Kriegsziele fest. Man kann sich allerdings fragen, ob diese nicht schon seit 2014 bestehen.

Es gehe Washington nicht mehr um einen Kampf über die Kontrolle über die Ukraine, sondern um einen Kampf, der die USA direkter gegen Russland stellt, bemerkte die Zeitung am Anfang dieser Woche.

Zuvor hatte Präsident Biden immer wieder betont oder vorgegeben, dass keine US-Truppen in den Konflikt einsteigen oder dass keine Flugverbotszone eingerichtet werde. Doch wurde das Engagement dann sukzessive offensiver. Angeblich sollte die Bemerkung, dass Russland geschwächt werden soll, die Ukraine stärken, aber ähnlich wie die USA 2001 den langen globalen Krieg gegen den Terror ausriefen, sollen nun die Alliierten wohl auf einen langen und neuen Kalten Krieg eingestimmt werden, der jederzeit in einen heißen umschlagen kann:

Längerfristig jedoch wird Austins Beschreibung von Amerikas strategischem Ziel Präsident Wladimir W. Putin in seiner oft geäußerten Überzeugung bestärken, dass es bei dem Krieg in Wirklichkeit um den Wunsch des Westens geht, die russische Macht zu schwächen und seine Regierung zu destabilisieren.

Indem sie das US-amerikanische Ziel ausgeben oder darstellen als "ein geschwächtes russisches Militär", werden Austin und andere in der Biden-Administration deutlicher, was sie als Zukunft sehen: einen jahrelangen ständigen Kampf um Macht und Einfluss mit Moskau, der in gewisser Weise dem ähnelt, was Präsident John F. Kennedy als den "long twilight struggle" des Kalten Krieges bezeichnete.

New York Times

Auffällig ist, dass Austin mit keinem Wort auf die Gefahr eines Atomkrieges eingeht. Wenn Russland so geschwächt werden soll, dass es nicht einmal mehr einen solchen Krieg wie gegen die von den USA seit 2015 mit Milliarden hochgerüstete Ukraine führen kann, wird die Folge sein, dass die Putin-Regierung gestürzt wird, wodurch Russland ins Chaos von Machtkämpfen gerät und womöglich zerfällt – was Europa nicht gerade sicherer machen wird.

Oder die russische Führung wird zu immer stärkeren Mitteln greifen, um die Souveränität des Staats zu sichern – womöglich bis zum Einsatz von Atomwaffen. Russland könnte beispielsweise eine Atomwaffe in großer Höhe über den USA explodieren lassen, ohne direkt einen Ort anzugreifen, um aber das ganze Land durch den dadurch erzeugten elektromagnetischen Impuls (NEMP) lahmzulegen, bei dem alle ungehärteten elektronische Systeme zumindest kurzfristig ausfallen.

Der russische Außenminister Lawrow hat gerade wieder vor der Möglichkeit eines dritten Weltkriegs und eines Atomkriegs gewarnt, was man durchaus sehr ernst nehmen sollte. US-Staatssekretärin Nuland hat zwar bereits der Ukraine versichert, man werde auf den Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine entsprechend reagieren, aber nicht weiter erläutert, wie das aussehen wird.

Natürlich werden im Pentagon Pläne geschmiedet, wie man sich im Fall eines Einsatzes von Atomwaffen verhalten wird, um dann selbstverständlich zuerst die USA zu schützen. Aber man muss sich fragen, wie man das von Austin ausgegebene Ziel erreichen will, dass Russland für lange Zeit geschwächt ist, wozu die Ukraine und die Ukrainer als eine Art Bodentruppen ge- oder missbraucht werden, wenn das Land weiterhin Atomwaffen besitzt, die auch in die USA reichen und einen Overkill ermöglichen?

Dazu hört man aus Washington nichts, auch nicht von den auf die militärische Lösung versessenen Grünen, Liberalen und Mitgliedern der Union.

Auf zur neuen Weltordnung

Frederik Kempe, Präsident des Think Tanks Atlantic Council, erklärte kürzlich, dass eine neue Weltordnung im Entstehen sei und sie durch den Ukraine-Krieg befördert werden könne:

Die Schlussfolgerung ist verlockend: Sollte die Ukraine als unabhängiges, souveränes und demokratisches Land überleben, werden die von den USA und Europa unterstützten Kräfte gegen die zuvor aufstrebenden russisch-chinesischen Kräfte des Autoritarismus, der Unterdrückung und (zumindest im Falle Putins) des Bösen wieder an Kraft gewinnen.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

Kempe erklärt dazu, die Welt sei auf die neue von Washington kontrollierte Weltordnung – die von Austin beschworene "regelbasierte internationale Ordnung" – noch nicht vorbereitet. Es stehe Großes auf dem Spiel:

Die Frage ist nicht, wie die neue Weltordnung aussehen wird, sondern vielmehr, ob die USA und ihre Verbündeten durch die Ukraine die Erosion der Errungenschaften des letzten Jahrhunderts rückgängig machen können, um so einen ersten Schritt zur Schaffung der ersten wirklich "globalen" Weltordnung zu tun.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

Versuche dazu habe es nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Ende des Kalten Kriegs gegeben. Die nach dem Kalten Krieg etablierte internationale Ordnung wurde durch die Nato-Osterweiterung und durch im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtete Institutionen wie Weltbank, IMF oder EU begründet. Aber dann setzte eine Erosion ein, bedingt durch ein Nachlassen von Washington, die internationale Ordnung, also die amerikanische Ordnung, zu stützen und zu verteidigen. Das soll jetzt anders werden:

Der russische Außenminister Sergej Lawrow besuchte diese Woche Neu-Delhi, um Indien für seine Weigerung zu danken, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, eine Haltung, die von Brasilien, Mexiko, Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten geteilt wird. "Wir sind bereit, Indien mit allen Waren zu beliefern, die es kaufen möchte", sagte Lawrow.

Um die künftige Weltordnung zu gestalten, müssen die USA und Europa zunächst die Entwicklung des westlichen und demokratischen Niedergangs in der Ukraine umkehren. Der Rest wird folgen müssen.

Frederik Kempe, Atlantic Councel

In der Ukraine wird die Schlacht um die globale Kontrolle ausgefochten. Aber darüber wird nicht gesprochen, weil angeblich der Westen nur auf Russland reagiert und die Ukraine schützen will. Jetzt ist man immerhin schon so weit, dass es nicht um einen Waffenstillstand oder Friedensverhandlungen geht, sondern um einen nicht näher ausformulierten "Sieg" der Ukraine als Handlanger der westlichen Interessen, die eine multipolare Welt zugunsten einer amerikanischen Vorherrschaft bekämpfen.

Nach Russland, sollte es keinen dritten Weltkrieg geben, geht es gegen China. Dumm nur, dass man mit Waffen und Kriegen die Klimaerwärmung, die Umweltzerstörung und das Artensterben nicht lösen kann. Das würde globale Kooperation, keine US-amerikanisch dominierte internationale Ordnung erfordern.

Der Artikel erschien zuerst auf Krass & Konkret