Besiedlung des Weltraums

Einige Phantasien über das Leben fern der Erde

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Warum sollte man an die Besiedlung des Weltraums denken? Die NASA führt zunächst ganz einfach biologische Gründe der räumlichen Expansion und des ungehemmten Wachstums an: "Warum ist Leben aus den Ozeanen gewandert und hat das Land kolonialisiert? Weil Lebewesen wachsen und sich verbreiten wollen. Wir haben die Möglichkeit, im Weltraum zu leben, deswegen werden wird das tun."

Man hat im Zeitalter nach dem Kalten Krieg von der Geschichte gelernt und sich neue Gründe für die Kolonialisierung angeeignet: "Der Hauptvorteil von Weltraumsiedlungen ist die Möglichkeit, neues Land zu bauen und es nicht jemandem wegzunehmen. Das gestattet, aber garantiert nicht eine riesige Verbreitung der Menschheit ohne Krieg und Zerstörung der irdischen Biosphäre." Durch Auswanderung könnte man der Überbevölkerung der Erde, der Vernichtung ihrer Biosphäre und dem möglichen Einschlag von Asteroiden entgehen, was besonders durch Shoemaker und die darauf basierenden Filme "Deep Impact" und "Armaggedon" (siehe Herausforderung Weltraum) ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gebracht wurde.

Allmählich also setzt wieder der Drang in den Weltraum an, der als Alternative zum Cyberspace für die Sehnsüchte nach neuen Eroberungen und neuen Grenzüberschreitungen gilt. Aufbauend wie immer auf technischen Leistungen, die im Zuge nationaler Interessen während des Kalten Krieges gemacht wurden, stehen jetzt wirtschaftliche Erwägungen im Vordergrund und entgleitet der Weltraum allmählich dem Zugriff des Staates. Wissenschaftliche Motive garnieren noch die neuen Projekte. Ein japanischer Konzern etwa plant, im nächsten Jahrtausend Touristen ins Weltall zu bringen und ein Weltraumhotel auf dem Mond zu bauen. Auch die NASA will sich mehr und mehr kommerziell interessanten Märkten öffnen. Mögliche Märkte sind natürlich weiterhin Satelliten im Orbit für die Kommunikation, die Flug- oder Verkehrsüberwachung oder zur Erdbeobachtung, aber auch touristische Reisen, Mülldeponien und Gewerbegebiete mit vollautomatischen Fabriken im All, in denen beispielsweise mit Biotechnologien gearbeitet oder neue Kunststoffe hergestellt werden.

Alles wird davon abhängen, wann und ob man sichere und kostengünstige Transportmöglichkeiten entwickeln wird. Noch kostet ein Kilo Fracht, die man in den Orbit bringt, zwischen 5000 und 30000 Mark. Doch schon bald soll die Internationale Raumstation einsatzbereit sein, zu der man mehrmals im Jahr Versorgungsflüge unternehmen muß, während die Space Frontier Foundation fordert, daß man doch die abgehalfterte Raumstation MIR reparieren und als ersten Unterbringungsort für private Weltraumreisende nutzen sollte. Solche kleinen und profanen Schritte, die gerade den Weltraum ankratzen, genügen natürlich den neuen Menschen der technischen Front nicht, die mit dem Kommerz auch die Grundlagen von neuen "Gemeinschaften" im Raum schaffen wollen.

Kolonialisierung des Mars und Wiederbelebung der amerikanischen Identität

Mitten im Sommerloch des Jahres 1996 ist es der NASA - vielleicht auch im Vorgriff auf die Pathfinder-Expedition - gelungen, einen erfolgreichen Coup zu landen, der die Aufmerksamkeit der Medien trotz der Olympischen Spiele, dem Attentat in Atlanta und dem geheimnisvollen Absturz der TWA-Maschine binden konnte. Ein drei Milliarden alter Stein, der vom Mars stammt, sollte angeblich Spuren primitiven Lebens enthalten. Grund genug, die eingeschlafenen Projekte der Weltraumflüge wieder aufzunehmen, auf dem Mars nach Leben zu suchen und zu suggerieren, daß vielleicht auch Weltraumsiedlungen sich dort gewinnbringend ansiedeln könnten. Flugs wurde von der NASA auf dem WWW eine Seite eingerichtet, die uns mit Informationen über den Mars versorgt. Darunter findet sich auch ein Pamphlet, das sehr schön die Verbindung der Weltraumkolonialisation mit der Angst enthält, daß die amerikanische Gesellschaft ohne neue Grenze und so ohne die Möglichkeit der Expansion auseinanderfällt. Robert Zubrin von der NASA hatte allerdings schon vor der Entdeckung des Steins dafür plädiert, den Mars als neue Frontier Amerikas in Angriff zu nehmen, um "die Seele Amerikas wiederherzustellen", und er ist überhaupt ein rühriger Promotor für bemannte Weltraumflüge und Raumkolonien.

Zubrin hat auch eine Vision, nämlich gleich den Umbau des Mars zu einer neuen Erde, genannt Terraforming. Auch wenn der Mars nicht gerade einladend wirke, so habe er doch alles, was man brauche, um ihn zu einem Planeten mit Leben und so zum Aufenthaltsort mit dem Menschen zu machen. Für einen Stadtmenschen, so Zubrin , sei auch eine arktische Landschaft wie eine Wüste, während sie für einen Eskimo "reichhaltig" wäre. Alles, was man für die ersten Schritte brauche, sei die vorhandene Technologie, etwas von der Chemie des 19. Jahrhunderts und ein bißchen Schwung. Die Marsatmosphäre könne man künstlich durch Fabriken, orbitale Spiegel oder Asteroiden aufwärmen. Dann müsse noch genügend Sauerstoff freigesetzt werden, das in den Eisflächen des Mars gebunden sei - und schon könne sich Leben ansiedeln und der Planet grün werden.

Da es vor allem die Amerikaner sind, die versuchen, mit dem noch brachliegenden Weltraum ihre Tradition als Pioniere und Siedler und damit ihre "Frontier"-Identität wieder aufleben zu lassen, ist nicht uninteressant, die Argumentation eines Befürworters der Raumkoloniosation einmal näher anzusehen. Auf dem Grunde der amerikanischen Seele, deren Merkmale eine egalitäre Demokratie, Individualismus und Innovationsgeist seien, befindet sich für Zubrin die "Existenz der Frontier". Amerika ist aus der globalen Besiedlungswelle hervorgegangen, die das Zeitalter der Entdeckungen für Europa eröffnete. Doch jetzt, nachdem die Besiedlungswelle schon seit 100 Jahren in Kalifornien, der westlichen Grenze, angekommen sei, stelle sich die Frage, was mit Amerika geschehe, wenn die Frontier verschwunden ist. "Kann eine freie, egalitäre, dekokratische, innovative Gesellschaft mit einem Geist des Machens erhalten werden, wenn der Raum zum Wachsen verschwunden ist?"

Alles verschlechtert sich, weil nur die grenzenlose Bewegung und die Schaffung von Neuem eint. Daran aber müsse man festhalten, weil es keine Alternative zum westlichen Lebensstil gibt: "Die westliche humanistische Zivilisation, wie wir sie kennen und heute schätzen, wurde durch Expansion geboren, sie reifte durch Expansion und kann nur in einer dynamischen Expansion weiter existieren." Als die Eroberer und Einwanderer aus Europa kamen, haben sie die alten Herrschaftssysteme hinter sich gelassen. Amerika war kein Land, in dem man einfach lebte, sondern ein Ort für Weltenbauer. Was dabei mit den Ureinwohnern passiert ist, wird stillschweigend übergangen, ebenso wie die Neueinwanderer, die ja auch ihrer Kultur entfliehen, offenbar für den weiteren Aufbau Amerikas nichts beizutragen haben. Sie können nur als "Last" empfunden werden, weil es ohne neues Land keine Arbeit mehr gibt. Jetzt jedenfalls geht es dem Niedergang zu. Die Politik ist machtlos und die Gesellschaft starr geworden, das Leben wurde überreguliert, die Menschen scheuen das Risiko, die Wirtschaft geht den Bach hinunter, die Innovationsrate geht zurück und - der größte Schrecken - die Idee des Fortschritts selbst hat an Überzeugungskraft verloren. Amerikas Mission für die Welt geht ohne Raum, den man besiedeln und erobern kann, die Luft aus.

Ohne eine Frontier, von der man Luft zum Atmen erhält, verschwindet der Geist, der die progressive humanistische Kultur hervorgebracht hat, die Amerika der Welt während der letzten Jahrhundert offeriert hat. Das Problem ist nur der nationale Verlust - der Fortschritt der Menschen benötigt eine Avantgarde, aber es ist kein Ersatz in Sicht.

Robert Zubrin

Ohne neue Frontier, ohne Entdeckungsfahrten in eine unzivilisierte Wildnis, sterben alle Werte der Aufklärung ab. Die Erde ist bereits zu erschlossen und vernetzt. Die Polizei ist schon überall, keine freie Entwicklung einer neuen Gesellschaft mehr möglich: "Wenn Menschen die Würde erhalten sollen, die durch die Erschaffung ihrer eigenen Welt entsteht, dann müssen sie von der alten Welt frei sein." Der Mond ist einfach noch zu nahe an der Erde, und überhaupt ist er für Menschen zu unfreundlich, während der Mars alles hat, was man benötigt, und zudem weit genug weg ist, "um seine Siedler von der intellektuellen, legalen oder kulturellen Vorherrschaft der alten Erde zu befreien."

Einer der Hauptargumente für die Ausfahrt in neue Länder ist die Erhaltung der Diversität. In der globalen, durch Telekommunikation- und Transportmittel verkleinerten Welt geht die gesunde Vielfalt der menschlichen Kulturen zugrunde. Von ökologischen Kenntnissen nimmt man nur auf, daß räumliche Isolation die Vielfalt fördert, während Dichte, wie sie in den Regenwäldern existiert, außer Acht gelassen wird. Nur durch die Besiedlung von weit entfernten Welten kann sich noch eine neue Evolutionslinie entwickeln: "Eine Welt wird einfach zu klein sein, um die Vielfalt zu bewahren, die nicht bloß deswegen erforderlich ist, damit das Leben interessant bleibt, sondern auch, um das Überleben der menschlichen Rasse zu sichern." Und wenn die irdischen Ressourcen beschränkt sind, dann kann es nur einen tödlichen Konkurrenzkampf um sie geben. Eine Verständigung ist für Menschen ohne Raum und Ressourcen nicht möglich. Einzig in einem Universum mit unendlichen Ressourcen können alle Menschen Brüder sein. Dann eben kann man die Eigentumsverhältnisse so lassen , wie sie sind, weil sich ja jeder, der will, ein neues Claim abstecken kann.

Natürlich aber geht es auch um den technischen Fortschritt, der noch bis zum Kalten Krieg angehalten hat, jetzt aber mehr und mehr stagniert. Für einen erneuten Schub der technischen Innovation und damit für wirtschaftliche Macht würde eine Besiedlung des Mars sorgen.

Man stelle sich eine entstehende Zivilisation auf dem Mars vor. Ihre Zukunft würde entscheidend vom Fortschritt der Wissenschaft und Technologie abhängen. Genau wie die Erfindungen, die durch den 'Yankee-Geist' des Frontier-Amerikas hervorgebracht wurden, eine mächtige Antriebskraft für den weltweiten menschlichen Fortschritt während des 19. Jahrhunderts darstellten, so würde der 'Mars-Geist', der in einer Kultur entsteht, die Intelligenz, praktische Ausbildung und den Zwang, wirkliche Beiträge zu liefern, am höchsten schätzt, weit mehr als seinen normalen Anteil an wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüchen hervorbringen und so den Fortschritt der Menschen im 21. Jahrhundert dramatisch beschleunigen.

Robert Zubrin

Seltsamerweise jedoch entstand aus dem Amerika, das noch einen Wilden Westen hatte, kein großer wissenschaftlicher oder technischer Fortschritt, der eher in den Ländern zustandekam, deren Bevölkerung in die USA auswanderte. Auch nach dem Krieg sorgte die Einwanderung für einen Schub der technischen und wissenschaftlichen Innovation, die im neo-liberalen Ambiente des amerikanischen Kapitalismus mit seinen Elite-Universitäten nur schneller zum Zug kommen konnte.

Auffällig für diese Art der Argumentation jedoch ist vor allem, daß man alte, vorgeblich erfolgreiche Rezepte aus der eigenen Vergangenheit unbefragt aufnimmt und nur nach neuen Zielen sucht. Politische Lösungen werden gar nicht gesucht, eine Veränderung der Wirtschaft scheint völlig undenkbar zu sein. Es geht lediglich um die Suche nach neuen Ventilen, wie man die drohenden inneren Konflikte unter Beibehaltung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und Wohlstandsverteilung beibehalten kann. Ähnlich wie die vorrevolutionären Gesellschaftskritiker im Zeitalter der Vernunft einst ihre Utopien auf Inseln fern im Meer ansiedelten, so ist es heute der Weltraum, der Neues möglich macht. Der Unterschied aber ist, daß es keine konkreten Phantasien mehr gibt, man einzig darauf hofft, daß Neues und Besseres schon entstehen werde, wenn man nur mehr Raum besitzt, die Technik vorankommt und eine Distanz zum Alten besteht.

Fortschritt, Dynamik, Kreativität und wachsende Individualisierung sind die vordringlichsten Hoffnungen. Demokratie wird zwar als Wert angesehen, weil offensichtlich Marktwirtschaft und Demokratie einst zusammen entstanden sind, aber man denkt weder über demokratische Verfahren oder Chancengleichheit noch über soziale Gerechtigkeit oder Wohlstandverteilung nach. Das Fehlen jeder Bemerkung zum Thema Eigentum ist beredt genug und unterscheidet die neuen Utopien grundlegend von den alten. Vielleicht denkt man ja, daß im unendlichen Raum des Universums mit seinen unerschöpflichen Ressourcen jeder zum Eigentümer wird, was bereits der Traum der einstigen Einwanderer gewesen ist.

Vom Sieg der westlichen Welt

Aber selbst Einwanderer aus der alten Welt huldigen der Suche nach einer neuen Frontier und damit den Expansionsdrang der kapitalistischen Wirtschaft, die als allein seligmachende gilt. Isaac Asimov, der bekannte Science Fiction Autor, ist gewissermaßen von Berufs wegen optimistisch, was technischen Fortschritt anbelangt. Obwohl er 1923 gerade noch ins Gelobte Land einwandern konnte, bevor die ersten Beschränkungen der Immigration in Kraft traten, knüpft er an die vergangene Tradition der Einwanderung an, wenn er die Kolonialisierung des Weltraums propagiert - und diese, wenn sie denn vorankäme, als "Sieg des Westens" bezeichnet. Selbst einst kein reicher Einwanderer, glaubt er, daß die neue Auswanderungswelle in den Weltraum nicht nur den Reichen zugute käme. Schließlich wären einst auch nicht die Reichen und Mächtigen nach Amerika ausgewandert. Er erinnert an den Spruch an der Freiheitsstatue, der von allen Frontier-Besessenen und Propagandeuren der American Idea gerne vergessen wird, weil er an eine Vergangenheit erinnert, von der man nichts mehr wissen will, von der man nur benutzt, was einem gerade in den Kram paßt: "Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free, The wretched refuse of your teeming shore."

Alle haben für Asimov eine Chance, in den Weltraum zu gelangen, sie brauchen nur ein Ticket für die Überfahrt. Auch die früheren Einwanderer wußten nicht, wohin sie gingen. Sie hatten keine Ahnung von Schiffahrt und waren den Schiffsbesatzungen hilflos überlassen. Sie waren harten Umständen bei der langen Reise ausgesetzt. Sie konnten in Stürmen umkommen und wußten, daß sie bei der Landung auf eine Wildnis und manchmal auch auf feindliche Einwohner stoßen würden. Aber sie nahmen die Reise auf sich, weil sie etwas suchten. Daher sollten vor allem die Amerikaner wissen, was es bedeutet, das Heim zu verlassen und eine völlig fremde Welt zu gehen. Doch für Asimov ist die Auswanderung und Kolonialisierung der Wildnis nicht nur eine amerikanische Tradition, sondern diese verkörpert nur in besonderem Maße die als anthropologische Konstante verewigte Expansionsnotwendigkeit des Menschen. Seit 50000 Jahren hat die Menschheit ihren Lebensraum ständig vergrößert. Jetzt bewohnt sie die ganze Erde. Die Wildnis ist verschwunden, die Erde voll und kein Raum zur Kolonialisierung mehr vorhanden.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind wir mit einer Situation konfrontiert, in der wir buchstäblich keinen Raum mehr zur Expansion besitzen. Wir haben alle Berge überschritten und alle Ozeane durchquert. Wir sind bis an das Ende der Atmosphäre gereist und in die Tiefen der Meere vorgedrungen. Wenn wir uns nicht in einer Welt niederlassen wollen, die unser Gefängnis ist, dann müssen wir uns darauf vorbereiten, die Erde zu verlassen.

Isaac Asimov

Umweltverschmutzung und Überbevölkerung können das Gefängnis zur Todeszelle machen. Wir müssen aber die Industrialisierung weiterführen, damit die Menschen leben und überleben können. Der einfachste Weg wäre daher, wenn man wie üblich nichts verändern will, die Industrie in den Weltraum auslagern würde, wo überdies Sonnenwinde den Dreck ins Universum wegblasen würde. So könnte die Erde zu einer Welt von Parks, Farmen und wilder Natur werden, ohne daß man die Vorzüge der Industrialisierung aufgeben müßte.

Die Expansion der Menschen in den Weltraum hat für Asimov überdies eine befriedende Wirkung. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg mit seinen Gewinnern und Verlierern blieb kein Haß übrig, denn es gab den Westen, den man gemeinsam erobern und kultivieren konnte. Darüber vergaß man die alten Kämpfe und wuchs zu einer Nation zusammen. Man braucht also einfach etwas Neues, Großes und Wachsendes, wodurch die alten Probleme bedeutungslos werden. Deswegen sei die Kolonialisierung des Weltraums als globales Projekt ein gutes Äquivalent für den Westen. Die Besiedlung des Weltraums wird die Menschheit kooperieren lassen und sie zusammenführen.

Stets also gleichen sich die Argumente. Wir kennen sie aus der Zeit, als die Nationen und Staaten sich durch die Schaffung von Feinden und durch den anschließenden Krieg einten oder erneut stabilisierten. Jetzt ist dieselbe Logik am Werk: Erhaltung des Systems durch Expansion in den Raum. Die Verkünder der neuen Revolution und des neuen Abenteuers können oder dürfen sich nicht vorstellen, daß sich die Gesellschaften und ihre Wirtschaftssysteme verändern. Noch ganz im mechanistischen Denken verhaftet, suchen sie nach einem Ventil, um die aufgestauten Energien abzulassen. Doch im Hintergrund steht nicht nur das Begehren nach individueller Freiheit, sondern lauert die Angst der herrschenden Klasse, ihre Macht verlieren zu können, die sie mit dem freien Markt erhalten haben. Die digitale und technische Revolution ist keine Revolution mehr der Unterdrückten und Ausgebeuteten, sondern eine Strategie der Machterhaltung und vielleicht ein grandioses Ablenkungsmanöver.

First Millenial Foundation

Neben der NASA gibt es auch eine Reihe von privaten Organisationen, die die Besiedlung des Weltraums fördern und zur nationalen Aufgabe machen wollen. Die First Millenial Foundation etwa sieht unser Schicksal schlicht darin, Leben zu den toten Sternen zu tragen, was uns wenigstens für die nächsten tausend Jahre vollständig beschäftigen werde. Das sei eine "heilige Pflicht", zumal das Leben, wenn es an die Erde gebunden bleibt, zum Tode verurteilt sei. Es könne irgendwann eben durch einen Kometen oder Asteroiden zerstört werden und irgendwann werde schließlich auch die Sonne explodieren. Doch schon jetzt befinde sich die Erde wegen der menschlichen Bevölkerungsexplosion in einer Krise. Wie werden 10 oder 15 Milliarden Menschen noch Platz und genügend zu essen finden?

Wie immer, wenn es um einfache Lösungen für komplexe Probleme geht, versucht man nicht die Schwierigkeiten auf der Erde anzugehen oder die herrschenden Macht- und Produktionsverhältnisse zu untersuchen. Mehr Land, ein größerer Lebensraum ist der propagierte Ausweg, der direkt ins Weltall führt Vorbild der Foundation sind die Visionen des Physikers Gerard O'Neills (The High Frontier, der an der renommierten Princeton University lehrte und 1975 das Buch mit dem Titel "The High Frontier" veröffentlichte. Dort schlug er die Einrichtung einer Weltraumstation zwischen Erde und Mond vor, um der Umweltverschmutzung, dem Raubbau an den natürlichen Ressourcen, der Armut, dem Kollektivismus und dem Chaos der Erde zu entkommen. Neuerdings schlägt O'Neill hingegen eher den Mond vor, um von dort aus mittels elektrischer Massenbeschleuniger die Sonnenenergie zu nutzen und sie über Satelliten zur Erde zu senden.

Aber der Weg zu einer Weltraumstation ist weit, zumal nach dem Ende des Kalten Krieges die Eroberung des Weltalls und der Weltraumtechnologie wie "Star Wars" an Attraktivität verloren hat. Als ersten Weg zur Kolonialisierung schlägt die Foundation allerdings die Bildung von schwimmenden Inseln in den warmen Bereichen der Meere vor (ein ähnliches Ziel verfolgt etwa die The League of the New Worlds). Sie sollen sich selber bilden, wenn ein leitfähiges Metall in das Wasser getaucht und Strom durchgeleitet wird. Dann würden die im Wasser gelösten Mineralien sich an das Metall heften und eine dichte Ablagerung eines künstlichen Kalkgesteins ergeben. Wenn man zusätzlich ein Metallverstärkungen mit einem elektrischen Maschendraht einbaut, könnte das eine hinreichende feste Grundlage für die künstlichen Inseln ergeben. Die darauf wohnenden Menschen würden aus dem Meer leben, indem sie Fischzucht betreiben und Algen kultivieren, und auch ihre Energie umweltverträglich daraus gewinnen. Noch gleichen die Meere "verlassenen Kontinenten" und "biologischen Wüsten", aber das Leben auf den schwimmenden Inseln im tropischen Klima wird sehr angenehm sein. Man verspricht uns Sicherheit, denn ähnlich wie man dort umweltschonend in geschlossenen Kreisläufen lebt, werden die Kolonien "relativ frei von Verbrechen und anderen Übeln sein, die in den Städten vorherrschen." Es handelt sich nämlich um "eine Gesellschaft eng miteinander verbundener Individuen", also um eine Gemeinschaft nicht-städtischer Art. Die Meereskolonien bereiten uns darauf vor, in geschlossenen Systemen und in einer "isolierten und hoch integrierten Gemeinschaft" zu existieren, was schließlich auch Voraussetzung für das Verlassen dieses Planeten sei, das eben diese Bedingungen notwendig mache.

NASA: Space Settlement Basics

Die Menschen bei der NASA wollen - im Rahmen von Human Exploration and Development of Space Enterprise - den Gedanken der Weltraumbesiedlung natürlich aus institutionellen Gründen der Selbsterhaltung forcieren. Nach dem Ende des Kalten Krieges geht es zwar noch um das Aussenden von Satelliten, die schon zu Hunderten die Erde umkreisen, aber das bemannte Raumfahrtprogramm ist zu teuer geworden und wurde daher äußerst reduziert. Raumfahrt müsse etwas für die gewöhnlichen Menschen werden, nicht nur eine Aufgabe von hoch qualifizierten Spezialisten. Billig und sicher sollten daher Raumflüge sein, erst dann könnten Tausende oder Millionen von Menschen diese Gelegenheit nutzen und die Erde entlasten. Schließlich sei vor 100 Jahren noch niemand in einem Flugzeug geflogen, während heute über 500 Millionen Menschen jedes Jahr fliegen würden.

Interessant ist, daß einige Personengruppen genannt werden, die die Besiedlung des Weltraums besonders attraktiv finden könnten. So wäre der Aufenthalt im Weltraum ohne die Belastung durch die Gravitation für Behinderte vorteilhaft. Sie brauchen keine Maschinen oder Hilfsgeräte zum Gehen, sie würden sich vielleicht schwebend fortbewegen. Dann wäre da noch die Möglichkeit der Einrichtung von nicht ganz so freiwilligen Aussiedlern, denn Weltraumkolonien könnten, wie einst Inseln, als ziemlich ausbruchsichere Strafanstalten dienen. Das liegt ziemlich nahe, wenn auch vielleicht anders, als die Autoren sich das denken, denn Weltraumstationen sind auf jeden Fall eine Art Gefängnis, selbst wenn man sie als Schutzburgen anlegt. So seien sie auch für manche religiöse Gruppen geeignet, die nicht in der Nähe von "Ungläubigen" leben wollen, oder für solche, die mit neuen sozialen und politischen Formen experimentieren wollen.

Vorbild ist, wie so oft, Biosphäre II, eine technisch realisierte "unabhängige Biosphäre" mit einem geschlossenen Kreislauf. Vielleicht sollte man nur, so schlagen die Autoren vor, doch ein wenig Sauerstoff und ein paar Lebensmittel mitnehmen. Man wolle auch gar nicht Planeten oder den Mond besiedeln, sondern irgendwie geformte, aber gigantische Behälter zunächst um die Erde kreisen lassen, damit man wenigstens noch die Erde im Blick habe und sie noch besuchen könne. Erst später wird man sich dann im solaren Planetensystem verbreiten oder zu neuen Sternen ziehen, denn nach einigen Generationen werde es den Menschen egal sein, wo sie sich befinden. Die Vorschläge zur technischen Realisierung seien hier nicht weiter behandelt. Man setzt auf die Nanotechnologie, die alles von selber machen wird, die es beispielsweise ermöglichen könnte, einen orbitalen Turm zu bauen, der von der Erdoberfläche in den Weltraum sich erhebt. Dann ließen sich Material und Menschen mit einem Lift in den Orbit und zurück mit geringen Kosten bringen. Aber auch wenn alles lange dauern und viel kosten wird, so wurden doch auch "New York, Kalifornien oder Frankreich" nicht an einem Tag erschaffen oder haben "Kanada, Frankreich oder San Francisco" eine Menge Geld verschlungen.

Ein paar Gründe haben wir schon kennengelernt, warum der Weltraum "ein schöner Platz zum Leben" sei. Aber es gibt noch weitere, die ich niemand vorenthalten will. Davon führen die Autoren mehrere auf. Es gibt erstens ein ästhetisches Motiv der "schönen Aussichten". Von da draußen kann man das herrliche und durch Luftverschmutzung ungetrübte Panorama des Sonnensystems und natürlich die wunderschöne Erde erblicken. Zweitens würde die geringe Schwerkraft erfreulich sein, um Sport zu betreiben oder zu tanzen. Beides außerordentlich anziehende Gründe, um die Erde zu verlassen. Aber natürlich gibt es noch mehr.

Da wäre drittens die Unabhängigkeit hinsichtlich der Umwelt, denn dummerweise leben wir auf der Erde alle in einer einzigen Biosphäre und müssen alle ökologischen Untaten der anderen erleiden. Weil jede Weltraumkolonie völlig von ihrer Umwelt abgeschlossen ist, treten hier die globalen ökologischen Effekte der Risikogesellschaft nicht ein: "Wenn eine Kolonie die Luft verschmutzt, muß den Dreck niemand anders einatmen." Der vierte Grund ist paradigmatisch für unser Thema, weswegen ich ihn in voller Länge zitieren werde: "Auf der Erde müssen die verschiedenen Gruppen lernen, in großer Nähe zueinander zu leben. Es ist mühsam, mit fünf oder sechs Milliarden Angehörigen der Gattung Homo sapiens zu leben, und manche können dies nicht gut verkraften. Weltraumkolonien bieten eine Alternative zur Veränderung des menschlichen Wesens oder zu endlosen Konflikten, nämlich die Möglichkeit, in nahezu homogenen Gruppen zu leben, wie es der Normalfall für die menschliche Existenz über Millionen von Jahren hinweg war. Wer damit nicht zurechtkommt, kann von den anderen durch Millionen von Kilometern besten Vakuums getrennt sein, was manchmal notwendig erscheint. Jeder Zugang zu einer Weltraumkolonie führt über eine Luftschleuse. Daher sollte die Kontrolle der Einwanderung keine Bedeutung spielen."

Noch zumindest können wir nur bedingt wählen, wie die Orte aussehen sollen, an denen wir wohnen. Dieses Sich-Einfinden-Müssen ist für echte Weltraumfahrer, alles Individualisten, Glücksstrebende und Weltenbauer, nicht gut erträglich. "Weil", ich zitiere den fünften Grund, außerstande, ihn besser zu formulieren, "weil die gesamte Umwelt von Menschen hergestellt wurde, kann man wirklich das bekommen, was man will. Wollen Sie ein Grundstück an einem See? Dann bauen Sie einfach Seen. Lieben Sie Sonnenuntergänge? Dann programmieren Sie stündliche Sonnenuntergangssimulationen in das Wettersystem. Lieben Sie es, barfuß zu gehen? Dann machen Sie die ganze Umwelt fußfreundlich."

Welcome to the Revolution: The Space Frontier Foundation

Die Space Frontier Foundation mit dem Sitz in New York ist eine Organisation amerikanischer Bürger, die stark im Internet arbeitet und auch eine Mailing List mit Beiträgen zur Serie "The Frontier Files" unterhält. Ihre Forderungen zielen darauf, den Weltraum zu besiedeln, weil die Menschheit sonst untergehen würde, und dies möglichst schnell. Dafür trage die USA, als Nation der Frontier, eine besondere Verantwortung. Doch Amerika, so sucht man das nationale Selbstwertgefühl anzustacheln, ist am Ende des 20. Jahrhunderts nervös. In der "größten Nation, die jemals existiert hat", herrschen zu viele Zweifel. Die Menschen brauchen nach dem Ende des Kalten Kriegs wieder eine Orientierung, eine "Vision von morgen", die besseres als der Blick auf die Gegenwart anbietet. Die Amerikaner seien "eine Nation von Pionieren ohne neue Grenze. Es gibt keinen klaren äußeren Feind mehr, durch den sie sich organisieren könnten. Man sagt, die Geschichte wiederhole sich." Es sind, mit einem Wort, schlimme Zeiten.

Zu viele Menschen sehen die Zukunft verbaut. Es herrschen die Bilder einer untergehenden Kultur vor, die vor allem von zerfallenden Städte wie in "Blade Runner" besetzt werden. Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Kämpfe, Rückzug ins Private, gesellschaftlicher Niedergang, Verminderung des Lebensstandards erzeugen Unsicherheit, Angst und Individualisierung. Die Nation bricht auseinander. Die "Space Frontier Foundation" hat eine Lösung.

Die USA muß die philosophische Dissonanz anerkennen, die zwischen dem herrscht, was die Nation im Weltraum tun sollte, und dem, was wir augenblicklich machen. Dann können wir unser falsch ausgerichtetes Weltraumprogramm in ein neues umformulieren, das mehr einbezieht, aufregender und für die Nation profitabler ist. Durch diese Veränderung können wir, die wir die Chance der Weltraumgrenze verstehen, Amerika ein neues Bild seiner Zukunft geben - einer hoffnungsvollen Zukunft, einer spannenden Zukunft, die unsere ganze Gesellschaft antreibt. Eine Zukunft von endlos sich erweiternden Optionen ...

Space Frontier Foundation

Endlichkeit, gleich ob in Raum oder Zeit, ist offenbar nur schwer zu ertragen. Die Zukunft muß das Bild einer unendlich vorantreibenden Fortschrittslinie zeigen, sonst bricht alles zusammen, ähnlich wie dies beim kapitalistischen Markt ist, wenn er nicht weiter wächst. So wie in Kriegen gegen einen äußeren Feind die Nation zusammenwächst, soll die "Leere des Weltraums" wieder eine neue Gemeinschaft erzeugen, die alle einschließt.

Doch wie war das einst, als der Wilde Westen erschlossen wurde? Entstand dort eine neue Gemeinschaft? Gründete man einvernehmlich neue Städte, ohne andere zu unterdrücken? Aber die konkrete Geschichte, an die man anschließt, interessiert nicht. Im Vordergrund steht die Welle, die unter der hoffnungsvollen Parole "Go West" den Raum (und dessen Bewohner) kolonialisiert hat.

25 Jahre nach Lewis & Clark rollten Eisenbahnwagen in den Westen nach Oregon und brachten Schiffe Tausende von Pionieren zu den Küsten Kaliforniens ... 25 Jahre nach den Wright-Brüdern konnten sich Menschen eine Flugticket kaufen und in einem Flugzeug fahren ... Aber 25 Jahre nach der Mondlandung sitzen wir noch immer herum und sehen alte Astronauten, die sich im Fernsehen an die guten, alten Tage erinnern.

Space Frontier Foundation

Es muß also endlich vorwärts gehen - in der Stimmung und im Raum. Die Ideologie des "sustainable development", auf die Erhaltung der Biosphäre gerichtet, lähme die Menschen, während es darum gehe, "ein neues Zeitalter der immer größer werdenden Hoffnung" zu schaffen. Hat man die Weltraumeroberung als Perspektive, die ja nur positiv ist weil der Weltraum unbesiedelt ist und man die irdische Biosphäre schont, so wird es "keine Frage mehr sein, wohin wir als Menschen gehen werden, welchen Platz wir in dem großen Bild einnehmen oder was wir als nächstes zu tun haben. Wir müssen nur unseren Blick auf die Tausenden von neuen Sternen richten, die sich am Nachthimmel verbreiten, um die Antwort zu finden. Und die Welt wird uns nachfolgen. Weil wir eine Nation von Pionieren sind, ist es unser neues Land. Und weil wir alle dazu fähig sind, ist es höchste Zeit, daß wir die Chance erhalten, das zu beweisen."

Aber wer steht im Weg? Der Staat, der den Zugang zum Weltraum behindert. Als pure Herrschaftsmaschinerie verstanden, nicht als Träger der demokratischen Verfahren und des sozialen Ausgleichs, kann er den Weg in die Zukunft nicht öffnen. Das können nur, gut kapitalistisch und individualistisch, die einzelnen mit ihrem Streben nach Glück und Profit - möglichst unreglementiert, der Weltraum eben als neuer Wilder Westen. Schließlich seien die Vereinigten Staaten ein Volk von freien Menschen, die vom Glauben zusammengeschweißt werden, daß "die Menschen gegenüber dem Staat Vorrang haben und daß die Individuen die Macht haben sollten, ungehindert vom Staat neuen Reichtum zu schaffen." Vorbild ist die Eroberung des Westen, die eben unter diesen Gesetzen oder fehlenden Gesetzen erfolgte.

Wie die typische, antistaatlich ausgerichtete und extreme Individualisierung mit der Hoffnung auf neue Gemeinschaftsbildung zusammengehen kann, wird von der Foundation nicht erörtert. Läßt man die Individuen und Firmen nur im Sinne des "großartigen Chaos des demokratisch freien Unternehmersystems" werkeln, dann werden allgemeiner Wohlstand, Freiheit für alle und ein besseres Leben möglich. Wie einst im Wilden Westen ist der einzige Transmissionsriemen das Geld: "Wenn es keinen Profit gibt, wird es kein neues Ziel geben."