Biologische Maschinen im Mund

Gentechnisch veränderte Bakterien zum Abbau von Umweltbelastungen und zum Verhindern von Karies

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Wenn die Entwicklung so rasant wie bisher weitergeht, dann könnten bald Heerscharen an gentechnisch veränderten Organismen in unserer Umwelt leben. Vor allem im Bereich der Mikroorganismen lassen sich die erstaunlichsten biologischen Maschinen entwickeln, die wirklich sinnvolle Arbeiten übernehmen könnten, was man nicht immer von der Gentechnik behaupten kann, auch wenn natürlich noch keineswegs sicher ist, wie diese neuen "invasiven Arten" langfristig ökologische Systeme verändern, wenn sie denn in die Umwelt - und vielleicht auch direkt in den menschlichen Körper - freigelassen werden.

Besonders zum Abbau der Giftstoffe, die durch die Industrie und die Landwirtschaft in die Umwelt gelangen, können gentechnisch veränderte Bakterien viel beitragen. So wurden beispielsweise, wie Nature berichtet, in das schier unverwüstliche, auch starke Strahlung überstehende Bakterium Deinococcus radiodurans, das nach Meinung von Wissenschaftlern selbst Weltraumflüge in Meteoriten überleben könnte (With a little help from my friends ...), Gene des in unseren Därmen lebenden Bakteriums Escherichia coli eingebaut, weil diese seltsamerweise hochgiftiges Quecksilber in eine weitaus weniger giftigere Form umwandeln können. Um die Wunderwaffe noch besser zu machen, wurden von Wissenschaftlern der Uniformed Services University of the Health Services in Betheesda, Maryland, zusätzlich noch Gene des harmlosen Bodenbewohners Pseudomonas putida eingebaut, der in der Lage ist, ebenso hochgiftiges Toluol abzubauen. So hätte man also eine Maschine, die man etwa auf radioaktiven Abfall loslassen könnte.

Wissenschaftler der Oxford University haben wiederum, so New Scientist ein anderes Gen von Pseudomonas putida verändert, so dass es jetzt ein Enzym herstellt, das Chlorbenzole abbauen kann, die in der chemischen Industrie anfallen und für die Herstellung von Pestiziden und Herbiziden verwendet werden. Normalerweise können damit verseuchte Böden nur aufwendig durch Abtragen der Erde entsorgt werden. Gegenwärtig versucht man, die Bakterien genetisch so umzubauen, dass sie auch giftigere Stoffe wie Dioxine abbauen. Die Wissenschaftler denken vorerst nur daran, die aufgerüsteten Bakterien in abgeschlossenen Bioreaktoren zu halten, in denen sie dann ihrer Arbeit nachgehen könnten, ohne sich eventuell unkontrolliert in der Umwelt zu verbreiten. Da hätten dann auch Umweltschützer nichts dagegen einzuwenden.

Bakterien aber gibt es nicht nur in der Umwelt. Auf und in unserem Körper leben symbiontisch unvorstellbar viele Bakterien, die uns meist nicht schaden oder für uns wie Escherichia coli zur Verdauung überlebensnotwendig sind. Allein im Dickdarm hausen an die 70 Billionen Bakterien. Aber auch die Mundhöhle ist ein beliebter Aufenthaltsort. Man schätzt, dass es dort an die 100 Millionen Bakterien und einige hundert unterschiedliche Arten gibt. Eine davon, Streptococcus mutans, hat allerdings die unangenehme Eigenschaft, Zucker, der über Lebensmittel in den Mund gelangt, zu Milchsäure zu fermentieren. Und diese Säure ist wiederum dafür verantwortlich, dass unsere Zähne von Karies befallen werden.

Das Team von Jeffrey Hillman von der University of Florida hat aus dem Genom des Bakteriums das Gen entfernt, das für die Produktion von Milchsäure verantwortlich ist. Die neue Art wurde im Laboratorium und an Ratten getestet und scheint die natürlich vorkommenden Bakterien zu verdrängen, so dass sie sich nicht mehr auf den Zähnen ansiedeln können: "Die Effektorart verursachte keinerlei Zahnbeschädigungen, obgleich die Tiere mit einer hoch zuckerhaltigen Diät ernährt wurden. Der Zucker trägt sogar dazu bei, dass unsere Art sich besser ansiedelt. Sie ist genetisch stabil und sollte für Menschen ohne Gefahr sein." Die neue Bakterienart scheint sich auch auf den Zähnen dauerhaft anzusiedeln. Hillman hofft, dass damit die meisten Zahnschäden nicht mehr entstehen können, da das natürlich vorkommende Bakterium vermutlich weitgehend dafür verantwortlich sei. Entwickelt werden soll noch ein flüssiger Film, der auf den Zähnen als Nährboden zum Ansiedeln der unschädlich gemachten Bakterien dient.

Sollte sich die neue Bakterienart bei Menschen tatsächlich bewähren, so würden möglicherweise die Zahnärzte darüber gar nicht so glücklich sein. Allein in den USA wurden 1996 48 Milliarden Dollar für Zahnbehandlungen ausgegeben. Hillman stellt sich vor, dass man die Bakterien bereits dann im Mund ansiedelt, wenn bei Kindern die ersten Zähne wachsen: "Kinder erhalten Streptococcus mutans normalerweise über infizierten Speichel von ihrer Mutter oder anderen Personen, die sich um sie kümmern. Das Kind würde einfach zum Zahnarzt gehen, der die Lösung auf ihren Zähnen aufträgt. Das Verfahren kann aber auch bei älteren Kindern oder Erwachsenen angewendet werden."