Blockade Leningrads: "Das schaurigste Stadtdrama, das die Geschichte jemals gesehen hat"
Seite 2: Vorsatz: Millionenfacher Hungertod
- Blockade Leningrads: "Das schaurigste Stadtdrama, das die Geschichte jemals gesehen hat"
- Vorsatz: Millionenfacher Hungertod
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Am 3. Oktober 1941 betonte Generalquartiermeister Wagner, dass "für Petersburg alle vorbereitenden Maßnahmen zur Versorgung der Zivilbevölkerung abgelehnt" seien. Einen Monat später unterstrich er dann auf einer großen Generalstabsbesprechung:
Es kann keinen Zweifel unterliegen, daß insbesondere Leningrad verhungern muss, denn es ist nicht möglich, diese Stadt zu ernähren. Aufgabe der Führung kann es nur sein, die Truppe hiervon und von den damit verbundenen Erscheinungen fern zu halten.
Am 8. November 1941 offenbarte Hitler:
Wir waren vor Leningrad genauso lange offensiv, als dies notwendig war, um Leningrad einzuschließen. Jetzt sind wir defensiv, der andere muss jetzt auszubrechen versuchen, aber er wird in Leningrad verhungern!
Dies war Todesurteil für die mehr als drei Millionen Menschen innerhalb des Blockaderings. Wilhelm Ziegelmayer, Ernährungsexperte des Oberkommandos der Wehrmacht notierte nüchtern:
Wir werden uns auch künftig nicht mit Forderungen nach einer Kapitulation Leningrads belasten. Es muss durch eine wissenschaftlich begründete Methode vernichtet werden.
Es kann nicht deutlich genug betont werden: Die Blockade Leningrads ist ein Sonderfall der Geschichte, denn die Einnahme einer Stadt war stets ausgeschlossen und der Hungertod aller Einwohner ganz bewusst eingeplant.
Bestens informiert über das Ausmaß des Hungerns
Wie gravierend das Ausmaß des Elends in der Stadt war, wussten die deutschen Verantwortlichen durchaus. Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch:
Es spielt sich augenblicklich in Petersburg ein Stadtdrama ab, wie es die Geschichte noch nicht gekannt hat. Die Auswirkungen der Belagerung werden sich erst dann für die Weltöffentlichkeit zeigen, wenn Leningrad gefallen ist.
Der Lagebericht der Wirtschaftsinspektion Nord vermerkte Mitte Dezember 1941:
Die Masse der Bevölkerung hungert und kann teilweise vor Schwäche das Bett nicht verlassen.
Die deutsche Führung war bestens über das Geschehen in der sterbenden Stadt informiert. Mitte Januar 1942 findet sich in einer Ereignismeldung folgender Bericht:
In der letzten Zeit (sollen) sich die Fälle von Hungertod beträchtlich vermehrt haben und in den letzten Wochen etwa das Vierfache der Verluste durch Artilleriebeschuß ausmachen.
So wurde beispielsweise am 17. Dezember von einer Person auf der Statschekstrasse, zwischen Narwa-Tor und Stadtrand, also auf einer Strecke von fünf Kilometer beobachtet, daß allein sechs Personen entkräftet zusammenbrachen und liegenblieben.
Diese Fälle häufen sich bereits derart, daß sich niemand mehr um die liegengebliebenen Personen kümmert, zumal bei der allgemeinen Entkräftung auch die Wenigsten in der Lage sind tatkräftige Hilfe zu leisten.
Einen Monat später heißt es in einer Ereignismeldung:
Schon im Dezember wiesen große Teile der Zivilbevölkerung Leningrads Hungerschwellungen auf. Es passierte immer wieder, daß Personen auf den Straßen zusammenbrachen und tot liegen blieben.
Im Laufe des Januar begann nun unter der Zivilbevölkerung ein regelrechtes Massensterben. Namentlich in den Abendstunden werden die Leichen auf Handschlitten aus den Häusern nach den Kirchhöfen gefahren, wo sie, wegen der Unmöglichkeit, den hartgefrorenen Boden aufzugraben, einfach in den Schnee geworfen werden.
Generalplan Ost und der Hungerplan
Das anvisierte Schicksal Leningrads muss auch im größeren Zusammenhang der ausdrücklichen Ziele des Krieges des Dritten Reiches gegen die Sowjetunion gesehen werden, dem "größten Gewaltexzess in der modernen Menschheitsgeschichte" (Wolfram Wette), der aufseiten der Sowjetunion 27 Millionen Menschenleben forderte.
Was Leningrad erwarten sollte, spiegelte sich im "Generalplan Ost" vom Juni 1942 wider, der die zukünftige Aufteilung und Nutzung des eroberten Lebensraums im Osten vorsah. Dieser nahm für die Metropole eine "künftige Stadtbevölkerung mit 200.000" an.
Also ganze drei Millionen weniger als zu Beginn des Krieges (dies berücksichtigt noch nicht die Hunderttausende Flüchtlinge, die zu dem Zeitpunkt in Leningrad zu überleben versuchten).
Im "Entwurf eines Raumordnungsplans für das Ostland" vom November 1942 gingen die Autoren sogar davon aus, dass diese Region "nach Ablauf der Kampfhandlungen relativ entvölkert sein" werde.
Der sogenannte Hungerplan hat ebenso menschenverachtende Züge. Bereits vor Kriegsbeginn heißt es in der Aktennotiz einer Besprechung der Staatssekretäre am 2. Mai 1941:
1) Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird.
2) Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird. In den "Wirtschaftspolitischen Richtlinien" vom 23. Mai 1941 steht dazu lapidar: "Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen.
Einen Eindruck von der extremen Härte, mit der die Deutschen den Krieg führten, vermittelt Erich Hoepner, Oberbefehlshaber der Panzergruppe 4, der bereits Wochen vor Kriegsbeginn erklärte:
Es ist der alte Kampf der Germanen gegen das Slawentum. (…) Dieser Kampf muss die Zerstörung des heutigen Russland zum Ziel habe. (...) Jede Kampfhandlung muss in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein.