Chip als Ersatz für Gehirnareal
Kalifornische Wissenschaftler haben die erste Neuroprothese entwickelt, mit der sich der Hippocampus ersetzen lassen soll
Für manche ist es eine Vision, nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn durch Technologien zu ergänzen, zu verbessern oder gar zu ersetzen. Für viele wäre es ein Traum, ihre Behinderung oder Krankheit mit technischen Prothesen zu überwinden. Einen großen Schritt auf dem Weg zu einer neurotechnologischen Prothese, mit der sich ein Gehirnareal ersetzen lässt, hat offenbar Theodore Berger vom Center for Neural Engineering an der University of Southern California realisiert.
Der Hippocampus, der unterhalb des Cortex im Temporallappen liegt und eher wie ein Widderkopf mit zwei Hörnern als ein Seepferdchen aussieht, ist für die Gedächtnisbildung mit verantwortlich - und zwar bei Menschen für Inhalte des deklarativen Langzeitgedächtnisses, die im Schläfenlappen gespeichert werden. Bei Tieren scheint er dafür verantwortlich sein, bestimmte Signale im Hinblick auf bestimmte Kontexte einzuordnen. Neben diesem Kontextlernen ist er auch für räumliche Orientierung zuständig.
Berger sagt, dass der Hippocampus das geordneste und bekannteste Gehirnareal sei, weswegen er in seinen Funktionen auch am leichtesten zu reproduzieren wäre. Er habe zudem lediglich die Aufgabe, Erfahrungen im Langzeitgedächtnis anderswo im Gehirn abzuspeichern. "Wenn man seinen Hippocampus verliert, so büßt man nur das Vermögen ein, neue Erinnerungen zu speichern." Deswegen seien Experimente mit einer Hippocampus-Prothese relativ unbedenklich, während die Wirkung gut nachgewiesen werden könne: Kann jemand mit der Prothese wieder neue Erinnerungen abspeichern, dann funktioniere auch alles wieder. Allerdings ist der Hippocampus auch etwa für das Erkennen von Gesichtern, für räumliches Lernen und Orientieren und andere kognitive Leistungen, so dass Berger hier doch eine Vereinfachung vielleicht als vorsorgende Beruhigung vornimmt, um leichter mit der Neuroprothese experimentieren zu können.
Berger und sein Team haben, wie New Scientist berichtet, in zehnjähriger Forschungsarbeit nun einen ersten künstlichen Hippocampus gebaut, der als ersetzende Gehirnprothese arbeiten soll. Im Unterschied zu neurotechnologischen Schrittmachern oder zu anderen neurotechnologischen Prothesen, die neuronale Informationen etwa über ein künstliches Auge, eine Netzhautprothese oder ein Cochlea-Implantat durch Stimulation weiter leiten oder die neuronale Signale zur Steuerung etwa eines Roboterarms oder eines Cursors ableiten, soll der künstliche Hippocampus all das machen, was auch sein biologisches Vorbild ausführt.
Das aber ist nicht einfach, denn auch wenn man den Hippocampus und seine neuronalen Schaltkreise gut kennt, weiß man nicht genau, wie Informationen von diesem gespeichert werden. Zur Herstellung eines mathematischen Modells wurde daher sein Verhalten kopiert. Der Hippocampus von Ratten wurde in Schnitte zerlegt und jeweils millionenfach elektrisch stimuliert, um so festzustellen, welcher Output welchem Input entspricht. Daraus wurde dann das Verhalten des gesamten Hippocampus unter allen Bedingungen modelliert.
Das mathematische Modell wurde schließlich auf einem Chip aufgebracht, der über zwei Elektrodenbündel als Ein- und Ausgang mit dem Gehirn verbunden wird und so den beschädigten Hippocampus überbrücken soll. Geplant ist nun, die Prothese zunächst wieder an lebendigen Gehirnproben von Ratten zu testen, um schließlich die Chips in die Gehirne von Ratten und dann auch von Affen, die für Gedächtnisleistungen trainiert wurden, zu implantieren.
Sollte die Prothese funktionieren und sich als sicher erweisen, dann könnten auch Tests mit Menschen beginnen. Auch hier versucht Berger gleich wieder einmal zu beruhigen: Bei der Implantierung der Prothese werde zwar auch gesundes Gehirngewebe zerstört, aber das sollte das Gedächtnis der Patienten nicht weiter beeinträchtigen: "Das wäre nicht anders als beim Entfernen von Gehirntumoren." Dabei aber spielt durchaus eine Rolle, wo und wieviel Gehirngewebe entnommen wird. Beim Menschen soll der Chip nicht direkt an die Stelle des Hippocampus im Gehirn implantiert, sondern am Schädel angebracht werden, so dass nur die Elektrodenstränge ins Gehirn führen.
Völlig unklar ist freilich, wie solche implantierten Neuroprothesen, auch wenn sie angeblich nur eine genau eingrenzbare Funktion ersetzen sollen, sich langfristig auf die Persönlichkeit oder auch nur auf die Art dessen auswirken, wie das Gedächtnis funktioniert. Skeptisch sind hier auch Experten: Wissenschaftliche Sensation auf einem Quadratmillimeter. Der Ethiker Joel Anderson von der Washington University etwa merkt an, dass ein Problem allein auch schon durch die notwendige Zustimmung des Patienten entstehen könnte. Die Personen, bei denen der Hippocampus beschädigt oder zerstört ist, können keine neuen Gedächtnisinhalte erzeugen. Haben sie also einem Hippocampus-Transplantat zugestimmt, dann wissen sie das bald nicht mehr: "Wenn jemand keine neuen Gedächtnisinhalte bilden kann", so Anderson, "in welchem Umfang kann er dann sein Einverständnis geben, dieses Implantat zu erhalten?"
Finanziert wurde die Forschungsarbeit übrigens nicht nur von der National Science Foundation, sondern auch vom Office of Naval Research und der Darpa. Beim Militär denkt man schließlich nicht nur darüber nach, wie man den Soldaten der Zukunft technisch durch "Augmented Cognition" verbessern (Stets zu Diensten), sondern ihn auch ersetzen könnte (Denn sie sollen wissen, was sie tun). Neurotechnologien sind dafür interessant.