Computerspiele, Gewalt und Meinungsfreiheit

Ein US-Gericht wies mit interessanten Gründen ein Gesetz zurück, das den Verkauf von Computerspielen, in denen Gewalt gegenüber staatlichen Ordnungshütern ausgeübt wird, an Minderjährige unter Strafe stellen wollte

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Nicht nur bei Kinderpornographie, etwa im Fall der virtuellen Bilder, auch bei Gewaltdarstellungen spielen Unterschiede im Bereich des Bildes eine Rolle (Es gibt einen Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit). Das von einem Demokraten eingebrachte Gesetz ist zwar im Mai 2003 für den Bundesstaat Washington verabschiedet worden, aber noch nie in Kraft gewesen. Die Abgeordneten waren der Überzeugung, dass mehr und mehr wissenschaftliche Untersuchungen eine Verbindung zwischen gewalttätigen Computerspielen und verschiedenen Formen eines feindseligen und antisozialen Verhaltens belegen. Da in manchen Computerspielen die Gewalt spezifisch gegen Sicherheitskräfte wie Polizisten oder Feuerwehrleuten gerichtet ist, wollte man mit einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 500 US-Dollar denjenigen bestrafen, der Jugendlichen unter 18 Jahren Spiele vermietet oder verkauft, in denen der Spieler "eine menschliche Gestalt, die als staatlicher Ordnungshüter dargestellt ist", verletzt oder tötet.

www.corante.com/importance/archives/005035.html

Mit dm Gesetz wollten die Abgeordneten bei den Jugendlichen des Bundesstaats Washington allgemein das aggressive Verhalten eindämmen und im Besonderen den Respekt vor staatlichen Ordnungshütern fördern. Ob das allerdings durch ein Verbot dieser Art bewerkstelligt werden kann, ist die eine Frage, eine andere aber, welche Art der Darstellung eines Ordnungshüters denn genau damit gemeint ist - und ob tatsächlich alle Ordnungshüter eines jeden Staats - also auch beispielsweise Polizisten des ehemaligen Hussein-Regimes - derart geschützt werden sollten. Schwierige Fragen ....

Gegen das Gesetz hatte die Video Software Dealers Association einen Widerspruch eingelegt, die damit einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gegeben sah. Vor kurzem hat Robert Lasnik vom zuständigen Bezirksgericht sein Urteil bekannt gegeben und darin bestätigt, dass das Gesetz den Ersten Verfassungszusatz, also die Meinungsfreiheit, verletzt und damit eine ungerechtfertige Zensur wäre. Mit derselben Begründung wurden bereits andere, ähnliche Gesetze von Gerichten in den USA abgewiesen.

Der Richter stellte zunächst in seiner Urteilsbegründung heraus, dass Computerspiele der heutigen Zeit im Unterschied zu den frühen Spielen, denen der Charakter der Äußerung noch gefehlt habe, in Anspruch nehmen können, als "Rede" im Sinne des Ersten Verfassungszusatzes zu gelten. Dazu muss die Absicht vorliegen, eine Mitteilung zu machen, und die Wahrscheinlichkeit hoch sein, dass sie verstanden werden kann.

Die zur Diskussion stehenden Spiele beinhalten meist komplizierte, wenn auch widerwärtige Handlungen, kunstvolle Darstellungen, originelle Spielergebnisse und eine komplexe Geschichte, die sich entfaltet, wenn der Spieler seine Entscheidungen trifft und Erfahrungen erwirbt. Alle Spiele, die em Gericht zur Überprüfung vorgelegt wurden, sind expressiv und gelten als Rede im Hinblick auf den Ersten Verfassungszusatz. Es ist das Wesen und die Wirkung der von diesen Computerspielen kommunizierten Botschaft, die den Staat dazu veranlasst, hier zu handeln.

Das Gericht macht klar, dass es ihm nicht darum geht, ob gewalttätige Spiele für die Gesellschaft einen Wert haben. Sie hätten aber dasselbe Recht, von der Verfassung als freie Äußerung geschützt zu werden, wie "die beste Literatur".

Die Verteidiger des Gesetzes hatten versucht, Gewaltdarstellungen unter die Arten von "spreech" zu zählen, die wie Obszönität nicht geschützt sind. "Obszöne Inhalte" seien nicht unbedingt nur auf Sexualität bezogen, sondern bezögen sich auf alles, was für die Sinne und für das normale Empfinden abstoßend ist. So würden die Darstellungen von Gewaltakten wie Mord, Enthauptung und Raubüberfälle auf Frauen Grand Theft Auto: Vice City unter die Definition von Obszönität fallen. Diese Erweiterung lehnte das Gericht jedoch ab und erklärte obszön seien nur Inhalte, die mit Sex zu tun haben. Die Begründung dafür ist nicht uninteressant.

Sexuelle Inhalte hätten kaum oder gar keinen Einfluss auf den "freien Ausdruck von Ideen", weswegen eine gesetzliche Regulierung keine Probleme mit der Verfassung aufwerfe (was freilich nicht so stimmt, wenn man beispielsweise berücksichtigt, dass vor kurzem erst das Oberste Gericht den Child Online Protection Act (COPA) als verfassungswidrig erklärte). Gleichwohl ist es offenbar in den USA leichter, gegen Sexuelles oder Pornographie vorzugehen als gegen Gewaltdarstellungen oder Waffen (Mit einem Klick kann die Unschuld schon verloren sein). Und so erklärt auch hier das Gericht, dass im Unterschied zu Sexdarstellungen die Darstellungen von Gewalt in "Literatur, Kunst und Medien wichtige Botschaften in unserer ganzen Geschichte" beinhaltet haben. Solche Meinungsäußerungen seien auch noch nie vom Schutz der Verfassung ausgeschlossen worden.

Das Gericht erkannte zwar an, dass es hinreichend viele wissenschaftliche Untersuchungen gebe, aus denen man "vernünftig" den Schluss ziehen könne, dass Gewaltdarstellungen, "mit denen wir konstant in Filmen, im Fernsehen, in Computerspielen, in interaktiven Videos etc. bombardiert werden", eine "messbare" Auswirkung auf die Aggressivität mancher Zuschauer haben. Ebenso könne man davon ausgehen, dass besonders die Eigenschaften von Computerspielen wie deren Interaktivität, die Identifizierung durch die Ego-Perspektive und die Widerholung der Handlung für Minderjährige neben den langen Spielzeiten besonders schädlich seien. Allerdings sieht der Richter es noch nicht als wissenschaftlich erwiesen an, dass die Trivialisierung der Gewalt gegen Ordnungshüter zu einem Anstieg der realen Gewalt gegen diese führt, wie die Begründung des Gesetzes dies behauptet.

Und ganz allgemein wird das Gesetz als zu eng und gleichzeitig als zu weit zurückgewiesen. Zu eng, weil es Gewaltdarstellungen nur in Bezug auf Ordnungshüter verbieten will, zu weit, weil es ein erster Schritt sein soll, Gewalt zu reduzieren, indem Minderjährige nicht mehr so einfach Gewaltdarstellungen sehen können.

Probleme hat das Gericht auch mit der hinter dem Gesetz stehenden Forderung, dass "ultragewalttätige Spiele", die Aggression verursachen, im staatlichen Interesse reguliert werden müssten. Dabei beziehe man sich aber nicht auf einen "hohen Grad an realistischer Gewaltdarstellung", sondern auf "realistische oder fotografie-ähnliche Darstellungen eines aggressiven Konflikts, in dem der Spieler eine menschliche Form, die durch die Kleidung oder andere erkennbare Symbole als Ordnungshüter dargestellt ist, tötet, diese verletzt oder ihr körperlichen Schaden zufügt". Damit würde jede, auch die brutalste Gewalt nicht reguliert werden, es sei denn, die wird einem mehr oder weniger realistisch dargestellten Ordnungshüter zugefügt, was auch dann nicht statthaft wäre, wenn dieser etwa einem autoritären Regime angehört. Ein wenig ironisch stellt der Richter die Frage, wie man denn wissen könne, wann eine Spielfigur einen schützenswerten Ordnungshüter nach dem Gesetz darstellt, so dass Verkäufer dies auch zweifelsfrei erkennen können:

Würde ein Spiel, das Figuren von "The Simpsons" oder "Looney Tunes" basiert, "realistisch" genug sein, um unter das Gesetz zu fallen? Sollen die römischen Legionäre von "Age of Empires" als "staatliche Ordnungshüter" gelten?