Coronavirus-Todesfälle: Über die fragwürdige Diagnostik und die irreführende Darstellung in Regierungserklärungen

Seite 3: 3. Die ergriffenen Maßnahmen verursachen ebenfalls Todesfälle, bei denen auch ein aufrichtiges Beileid zu bekunden wäre, und welche für eine Einordnung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern nicht vorenthalten werden dürfen

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In der Pressekonferenz zur Rechtfertigung der Verlängerung des Teil-Lockdowns und der Verschärfung der Maßnahmen erinnert Angela Merkel zu Beginn an die mit und am Coronavirus SARS-CoV-2 verstorbenen Menschen und spricht den Angehörigen ihr Beileid aus. Sie bereitet damit das Argument vor, dass das Ergreifen von Maßnahmen berechtigt und gerechtfertigt sei. Wie eingangs erwähnt, ist es fundamental wichtig, den Angehörigen ein aufrichtiges Beileid auszusprechen. Allerdings zeigen inzwischen zahlreiche Studien aus verschiedenen Ländern (siehe unten), dass die ergriffenen Maßnahmen mit substantiellen Kollateralschäden einhergehen, welche ebenfalls zahlreiche Todesfälle verursachen können.

Zum einen erscheint es demnach moralisch angebracht, auch die Todesfälle zu erwähnen, welche durch die verordneten Maßnahmen verursacht werden, und den betroffenen Angehörigen ebenfalls ein aufrichtiges Beileid auszusprechen. Zum anderen ist es bei politischen Entscheidungen in einer Demokratie fundamental wichtig, nicht nur mit dem einseitigen Blickwinkel auf eine einzige Todesursache die Bevölkerung zu informieren und politisch zu handeln, sondern sowohl den Nutzen als auch die Nebenwirkungen der ergriffenen Maßnahmen umfassend zu bewerten und die Bevölkerung umfassend darüber aufzuklären.

Dies ist umso mehr angebracht, als zahlreiche Studien inzwischen die hohen Kollateralschäden der ergriffenen Maßnahmen - und insbesondere auch die durch die Maßnahmen verursachten Todesfälle - beziffern. So hat eine kürzlich als Preprint veröffentlichte Studie zur Region Waldshut in Deutschland ergeben, dass von der dort im April beobachteten Übersterblichkeit – gemessen über die Zunahme der Todesfälle im Jahr 2020 verglichen mit der durchschnittlichen Anzahl der Todesfälle in den Jahren 2016-2019 – 45 Prozent nicht auf mit oder am SARS-CoV-2-Virus verstorbene Personen zurückgeht, sondern auf andere Ursachen. Die Autoren schreiben hierzu in der Zusammenfassung (Übersetzung durch den Autor):

Wir gehen davon aus, dass die Furcht, sich in überlasteten Krankenhäusern zu infizieren, eine einseitige öffentliche Kommunikation und Berichterstattung sowie das Ausmaß der Kontaktbeschränkungen erheblich zum Rückgang der behandelten Fälle und zur Übersterblichkeit beigetragen haben (Kollateralschaden).

Für ähnliche Situationen in der Zukunft wird dringend empfohlen, die Krisenkommunikation und die Berichterstattung in den Medien ausgewogener zu gestalten, um Menschen mit akuten Gesundheitsproblemen nicht davon abzuhalten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Kontaktbeschränkungen sollten kritisch überprüft und auf das objektiv notwendige Minimum beschränkt werden.

Betrachtet man die Übersterblichkeit für das Jahr 2020 im Vergleich zu den Jahren 2016-2019 für ganz Deutschland, ergibt sich das in der folgenden Abbildung gezeigte Bild – die Höhe der blauen Balken zeigt jeweils die Übersterblichkeit bzw. Untersterblichkeit pro Kalenderwoche, die Höhe der roten Balken die Anzahl der mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbenen Personen (Datenquelle: Sonderauswertung zu den Sterbefallzahlen des Statistischen Bundesamtes und Daten des RKI zur Anzahl der mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbenen Personen nach Sterbedatum, Stand 26. November):

Es zeigen sich zwei interessante Beobachtungen. Zunächst ist interessant, dass von der in mehreren Wochen beobachteten Übersterblichkeit nur 43,4 Prozent auf mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbene Personen zurückgeht. Hier wird manchmal das Argument ins Feld geführt, dass die SARS-CoV-2-bedingten Todesfälle untererfasst seien. Angesichts dessen, dass sehr flächendeckend auf SARS-CoV-2 getestet wurde und wie beschrieben ein größerer Prozentanteil der als "SARS-CoV-2-Todesfälle" geführten Sterbefälle in Wirklichkeit gar nicht am SARS-CoV-2-Virus verstorben ist, ist aber vermutlich eher das Gegenteil der Fall.

Interessant ist weiterhin ein Vergleich der ersten SARS-CoV-2-Welle mit der zweiten SARS-CoV-2-Welle. Während im Zeitraum der ersten SARS-CoV-2-Welle von der 12. Kalenderwoche bis zur 21. Kalenderwoche die Zunahme und das Sinken der Anzahl der mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbenen Personen Hand in Hand geht mit einer Zunahme und einem Sinken der Übersterblichkeit, ist das im Zeitraum der zweiten SARS-CoV-2-Welle von der 37. Kalenderwoche bis zur 44. Kalenderwoche nicht der Fall.

Während im Zeitraum der zweiten Welle die Anzahl der mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbenen Personen ausgehend von einem sehr geringen Niveau zunehmend anstieg, war bereits zu Beginn des Zeitraums eine deutliche Übersterblichkeit zu beobachten, die bis zur 44. Kalenderwoche nicht weiter anstieg. Die Zunahme in der Anzahl der mit und am SARS-CoV-2-Virus verstorbenen Personen seit der 37. Kalenderwoche geht also nicht Hand in Hand mit einer Zunahme der Übersterblichkeit, denn diese war bereits zu Beginn der zweiten SARS-CoV-2-Welle - bedingt durch andere Todesursachen - hoch. Auf der Ebene der Übersterblichkeit ist hier zumindest bis jetzt keine zweite Welle zu erkennen (das kann sich möglicherweise für die kommenden Kalenderwochen ändern, dazu gibt es noch keine Daten).

Dieses Muster ist eigenartig: Bei einem neuen Virus wäre eigentlich zu erwarten, dass mit einem Anstieg der durch das Virus bedingten Todesfälle auch die Gesamtanzahl der Todesfälle - und damit die Übersterblichkeit - steigt. Eine Erklärungsmöglichkeit für dieses eigenartige Muster könnte sein, dass sich die beschriebenen diagnostischen Probleme im Zeitraum der zweiten SARS-CoV-2-Welle stärker auswirken, als es im Zeitraum der ersten SARS-CoV-2-Welle der Fall war. Während im Zeitraum der ersten SARS-CoV-2-Welle noch eher symptomorientiert und zahlenmäßig weniger umfangreich getestet wurde, wurde im Zuge der zweiten SARS-CoV-2-Welle vergleichsweise weniger symptomorientiert und deutlich umfangreicher getestet. Damit könnten im Zeitraum der zweiten SARS-CoV-2-Welle mehr Todesfälle, bei denen eigentlich gar keine COVID-19-relevanten Symptome vorlagen, fälschlicherweise als "COVID-19-Todesfälle" geführt worden sein.

Einen Hinweis darauf, dass dem so sein könnte, zeigt der Verlauf des Prozentanteils der "COVID-19-Todesfälle", bei denen der Erkrankungsbeginn bekannt war, über das Jahr 2020 hinweg. Die folgende Abbildung zeigt den Verlauf dieses Prozentanteils seit der 12. Kalenderwoche, aufgehängt am Meldedatum des positiven Testergebnisses eines Todesfalls (die Kalenderwochen 46 und 47 sind nicht abgebildet, weil bei den in diesen Wochen gemeldeten Fällen der Krankheitsausgang noch nicht bei allen Fällen klar ist):

Während der Prozentanteil von "SARS-CoV-2 Todesfällen" mit bekanntem Erkrankungsbeginn im Zeitraum der ersten SARS-CoV-2-Welle zwischen 60 und 80 Prozent lag, sank der Prozentanteil von "SARS-CoV-2 Todesfällen" mit bekanntem Erkrankungsbeginn im Zeitraum der zweiten SARS-CoV-2-Welle kontinuierlich und lag in der 45. Kalenderwoche nur noch bei 41 Prozent. Geht man davon aus, dass bei vielen Todesfällen Informationen zum Erkrankungsbeginn deswegen fehlen, weil diese keine COVID-19-relevanten Symptome hatten, wäre das in der Tat ein Hinweis darauf, dass im Zuge der zweiten SARS-CoV-2-Welle zunehmend weniger der vom RKI als "COVID-19-Todesfälle" geführten Sterbefälle COVID-19-relevanten Symptome aufwiesen und in Wirklichkeit an anderen Ursachen verstorben sind. Definitiv belegt werden könnte diese Vermutung aber nur, wenn Daten dazu vorliegen würden, welche klinischen Symptome bei den als "COVID-19-Todesfällen" geführten Sterbefällen tatsächlich vorlagen, was leider nicht der Fall ist.

Ähnliche Zahlen gibt es aus anderen Ländern. So gehen laut einer Studie in den USA von der bis Anfang Oktober beobachteten Übersterblichkeit 34 Prozent nicht auf mit oder am SARS-CoV-2-Virus verstorbene Personen zurück, sondern auf andere Todesursachen. Hier ist noch anzufügen, dass auch in den USA ein positives SARS-CoV-2 Testergebnis für die Diagnose "COVID-19-Todesfall" ausreichend ist und damit die berichtete Anzahl an "COVID-19-Todesfällen" in den USA ebenfalls die Anzahl der tatsächlich an einer SARS-CoV-2-Infektion verstorbenen Personen überschätzt.

Bedenkenswert ist vor allem eine weitere Studie aus den USA, in welcher der Anteil der nicht COVID-19-bedingten Übersterblichkeit für verschiedene Altersgruppen bestimmt wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass auch in der Altersgruppe 15-44 Jahre 17,8 Prozent mehr Menschen als im Vorjahr verstorben sind, wovon 66,3 Prozent nicht mit oder am SARS-CoV-2-Virus verstorben sind, sondern an anderen Todesursachen.

Auch in Großbritannien gehen laut einer umfassenden Analyse von Public Health England 48,5 Prozent der Mitte März bis Mitte November beobachteten Übersterblichkeit nicht auf mit oder am SARS-CoV-2-Virus verstorbene Personen zurück, sondern auf andere Todesursachen. Dort gibt es eine interessante Aufteilung hinsichtlich der Sterbeorte, welche in der folgenden Abbildung gezeigt wird:

Während die Übersterblichkeit in Krankenhäusern ausschließlich auf mit oder am SARS-CoV-2-Virus verstorbene Personen zurückgeht, gibt es in Einrichtungen zur Betreuung alter Menschen und insbesondere in privaten Haushalten eine zum Teil äußerst hohe Übersterblichkeit, welche auf andere Todesursachen zurückgeht. Dies steht im Einklang mit der erwähnten Studie zur Übersterblichkeit in Deutschland, wonach offenbar durch die problematische Krisenkommunikation und die angstschürende Berichterstattung in den Medien viele Menschen mit akuten Gesundheitsproblemen davon abgehalten wurden, ihr Zuhause zu verlassen und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Zudem macht dieser Befund auch die vermutete Erklärung der nicht COVID-19-bedingten Übersterblichkeit durch die verordneten Kontaktbeschränkungen plausibel, welche dazu führen, dass Menschen eher isoliert zu Hause bleiben. Diesbezügliche Wirkungen auf die Sterblichkeit belegen zahlreiche Studien. So ergab eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2015, dass sich die Sterbewahrscheinlichkeit bei sozialer Isolation um 29% und bei Einsamkeit um 26% erhöht, unabhängig davon, ob eine soziale Isolation von einer Person auch so empfunden wird - ein Effekt, welcher in der Größenordnung der Erhöhung des Sterberisikos durch mittelstarkes Rauchen liegt. Interessant ist auch die Untersterblichkeit im Bereich der Hospize. Offenbar wurden viele Personen, welche bisher im Hospiz verstorben sind, stattdessen in Krankenhäuser gebracht, wo sie dann verstorben sind.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die beschriebenen Befunde aus den USA und Großbritannien nicht für Deutschland repräsentativ sein müssen. Zusammengenommen zeigen diese Befunde aber sehr eindrücklich, dass ein relativ großer Teil der Übersterblichkeit in verschiedenen Ländern nicht direkt auf SARS-CoV-2-Infektionen zurückgeht, sondern auf die im Zuge der Corona-Krise ergriffenen Maßnahmen und die durch die Art der Berichterstattung hervorgerufenen Ängste.

Über die Kollateralschäden der ergriffenen Maßnahmen innerhalb der betroffenen Länder hinaus, ist zu befürchten, dass durch die Maßnahmen insbesondere in ärmeren Ländern zahlreiche Todesfälle verursacht werden. Beispielsweise werden laut einer Hochrechnung der Weltbank allein in diesem Jahr als Folge der Corona-Maßnahmen bis zu 115 Millionen Menschen weltweit in solch extreme Armut gestürzt, dass ihr Überleben gefährdet ist.

Zusammenfassend zeigen die inzwischen existierenden Studien, dass die zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffenen Maßnahmen als Nebenwirkung zahlreiche nicht COVID-19-bedingte Todesfälle verursachen. Angesichts dessen erscheint es fragwürdig, in Regierungserklärungen zur Rechtfertigung der Verordnung von Maßnahmen nur einseitig die durch COVID-19 verursachten Todesfälle in den Vordergrund zu rücken. Vielmehr ist es bei der Entscheidung darüber, welche Maßnahmen getroffen werden, auch aus moralischer Perspektive wichtig, die durch die Maßnahmen verursachten Kollateralschäden in vergleichbarer Weise in den Vordergrund zu rücken.