Coronavirus-Todesfälle: Über die fragwürdige Diagnostik und die irreführende Darstellung in Regierungserklärungen
- Coronavirus-Todesfälle: Über die fragwürdige Diagnostik und die irreführende Darstellung in Regierungserklärungen
- 2. Nur ein Teil der vom RKI als "COVID-19-Todesfälle" geführten Sterbefälle ist in Wirklichkeit ursächlich am Coronavirus SARS-CoV-2 verstorben
- 3. Die ergriffenen Maßnahmen verursachen ebenfalls Todesfälle, bei denen auch ein aufrichtiges Beileid zu bekunden wäre, und welche für eine Einordnung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern nicht vorenthalten werden dürfen
- 4. Abschließende Bemerkungen
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Eine evidenzbasierte Aufklärung
Zum Einstieg in die Pressekonferenz am 25. November zur Verkündigung der Verlängerung des Teil-Lockdowns und der Verschärfung der Maßnahmen verwies Bundeskanzlerin Angela Merkel folgendermaßen auf die an diesem Tag vom Robert-Koch Institut (RKI) berichtete Anzahl von vom RKI so bezeichneten "COVID-19-Todesfällen":
Die Nachricht des Robert-Koch Instituts, dass in den letzten 24 Stunden 410 Menschen an COVID-19 gestorben sind, erinnert uns auf traurigste Weise daran, dass hinter den Statistiken eben menschliche Schicksale stehen, Lebenswege, die zum Teil auch viel zu früh enden. Das lässt Familien tief trauern um Ihre Liebsten.
Angeka Merkel
Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass der letzte Satz definitiv richtig ist: Hinter jedem einzelnen dieser 410 Todesfälle stehen individuelle Schicksalsschläge und hier ist es fundamental wichtig, allen Trauernden ein aufrichtiges Beileid zu bekunden.
Der vorausgehende Satz enthält dagegen schwerwiegende inhaltliche Fehler, welche zu einer deutlichen Überschätzung der tatsächlich vom Coronavirus SARS-CoV-2 ausgehenden Gefahr führen und damit ungerechtfertigter Weise Ängste in der Bevölkerung schüren. Insgesamt enthält die Aussage von Angela Merkel drei irreführende Inhalte, welche im Folgenden genauer ausgeführt werden:
1. Anders als von Angela Merkel behauptet, spiegelt die vom RKI täglich berichtete Anzahl an neuen sogenannten "COVID-19-Todesfällen" aufgrund von Meldeverzügen nicht die in den letzten 24 Stunden aufgetretenen Todesfälle wieder.
2. Nur ein Teil der vom RKI als "COVID-19-Todesfälle" geführten Sterbefälle ist in Wirklichkeit ursächlich am Coronavirus SARS-CoV-2 verstorben.
3. Die ergriffenen Maßnahmen verursachen ebenfalls Todesfälle, bei denen ebenfalls ein aufrichtiges Beileid zu bekunden wäre, und welche für eine Einordnung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen den Bürgerinnen und Bürgern nicht vorenthalten werden dürfen.
1. Anders als von Angela Merkel behauptet, spiegelt die vom RKI täglich berichtete Anzahl an neuen "COVID-19-Todesfällen" nicht die in den letzten 24 Stunden aufgetretenen Todesfälle wieder
Angesichts der vom RKI am 25. November neu gemeldeten 410 "COVID-19-Todesfälle" behauptet Angela Merkel, dass in den letzten 24 Stunden 410 Menschen an COVID-19 verstorben seien. Die vom RKI an einem bestimmten Tag gemeldeten neuen "COVID-19-Todesfälle" sind aber zu großen Teilen gar nicht an diesem Tag verstorben. Der Grund ist, dass es bei den Todesfällen einen größeren Meldeverzug gibt und ein Todesfall erst mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu drei Wochen nach dem tatsächlichen Sterbedatum beim RKI gemeldet wird (siehe unten). Für eine korrekte Interpretation der an einem bestimmten Tag berichteten Anzahl an neuen "COVID-19-Todesfällen" muss demnach der existierende Meldeverzug mit einbezogen werden.
Um dieses Problem zu illustrieren, kann man die Lageberichte des RKI nutzen. Dort wird immer am Dienstag eine Graphik zum Verlauf der Todesfälle veröffentlicht, welche nicht am Datum der Meldung eines Todesfalls beim RKI aufgehängt ist, sondern am tatsächlichen Sterbedatum.
Die folgende Graphik vom 25. November zeigt die Anzahl der "COVID-19-Todesfälle" pro Kalenderwoche nach tatsächlichem Sterbedatum, die gelben Balken zeigen die von der 46. auf die 47. Kalenderwoche neu hinzugekommenen Todesfälle im Vergleich zur am 18. November veröffentlichen Graphik. Wie die Abbildung zeigt, ist ein relativ großer Teil der von der 46. auf die 47. Kalenderwoche neu hinzugekommenen Todesfälle in Wirklichkeit bis zu drei Wochen vorher verstorben.
Es kommt noch ein weiterer verzerrender Effekt innerhalb einer Woche hinzu. Wie die folgende Abbildung zeigt, ist auf der Ebene einzelner Tage zu beachten, dass es bei den Meldungen der Todesfälle an das RKI starke Wochenendeffekte gibt: Am Sonntag und Montag werden immer vergleichsweise wenige "COVID-19-Todesfälle" gemeldet, Mitte der Woche vergleichsweise viele (Quelle: Our World in Data, Stand 26.11.).
Da der Verlauf der "COVID-19-Todesfälle" nach dem tatsächlichen Sterbedatum keine größeren Wochenendeffekte aufweist (siehe z.B. ältere Lageberichte des RKI, dort gab es noch eine tageweise graphische Darstellung der Anzahl der Todesfälle nach Sterbedatum), geht die hohe Zahl an "COVID-19-Todesfällen" in der Mitte der Woche vor allem darauf zurück, dass viele Todesfälle, welche eigentlich am Sonntag und Montag aufgetreten waren, erst Mitte der Woche nachgemeldet werden.
Methodisch kann dieses Problem dadurch gelöst werden, dass für jeden Tag der Durchschnitt der Anzahl der Todesfälle für die vorangegangenen sechs Tage und den aktuellen Tag bestimmt wird (sog. "Gleitender 7-Tage-Durchschnitt"). Das wird beispielsweise vom RKI bei der Berechnung des 7-Tage-R-Wertes so gemacht. Wie die folgende Abbildung zeigt, sinkt bei einer solchen Betrachtung die Anzahl der am 25. November berichteten "COVID-19-Todesfälle" um 42,4 Prozent auf 236 (Quelle: Our World in Data).
Man kann das Problem, dass sich aus der Tatsache ergibt, dass die vom RKI an einem bestimmten Tag gemeldeten Todesfälle die tatsächlichen Todesfälle zeitverzögert und mit verzerrenden Wochenendeffekten darstellen, auch anhand der ersten SARS-CoV-2-Welle im Frühjahr veranschaulichen. In der folgenden Abbildung ist auf der linken Seite der Verlauf der vom RKI an einem Tag neu gemeldeten Todesfälle dargestellt (Quelle: Our World in Data) und auf der rechten Seite der Verlauf der tatsächlich an einem Tag verstorbenen Todesfälle (Quelle: RKI Lagebericht von 15. Mai). Die Kurve zum Verlauf der täglich vom RKI neu gemeldeten Todesfälle überschätzt das Maximum der im Frühjahr aufgetretenen Todesfälle um 25 Prozent und stellt den tatsächlichen Rückgang der Todesfälle mit einer Zeitverzögerung von acht Tagen dar.
Dementsprechend ist Angela Merkels Aussage, dass in den letzten 24 Stunden 410 Menschen an COVID-19 gestorben seien, inhaltlich irreführend: Von den am 25. November gemeldeten 410 "COVID-19-Todesfällen" ist ein großer Teil gar nicht in den letzten 24 Stunden verstorben. Zum einen sind viele dieser Sterbefälle in Wirklichkeit bis zu drei Wochen vorher verstorben, so dass noch abzuwarten bleibt, wie hoch die Anzahl der "COVID-19-Todesfälle" aktuell tatsächlich ist. Das werden erst die Meldungen in den nächsten Tagen und Wochen zeigen - rein theoretisch könnte die Zahl der Todesfälle in Wirklichkeit aktuell deutlich niedriger sein als es den Anschein hat, aber auch deutlich höher.
Zum anderen ist die am 25. November vom RKI berichtete Anzahl deswegen vergleichsweise hoch, weil Mitte der Woche viele Todesfälle von Sonntag und Montag nachgemeldet werden. Eine Interpretation der Zahlen Mitte der Woche ohne Einbezug des Meldeverzugs erweckt den irreführenden Anschein einer aktuell sehr hohen Anzahl von Todesfällen und schürt damit nicht gerechtfertigte Ängste. Angesichts dessen, dass die Bundeskanzlerin eigentlich von Fachexperten beraten sein sollte, ist es überraschend, dass solche fehlerhaften Informationen an die Bevölkerung weitergegeben werden.