Das Dilemma der zweifelhaften Geldpolitik der EZB
Seite 2: Unter den Euro-Rettungsschirm geprügelt
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Offiziell begründet die EZB-Präsidentin die Maßnahmen damit, dass die "Inflation enttäuschend niedrig" sei. Dafür machte sie unter anderem die zeitweilige Mehrwertsteuersenkung in Deutschland, die niedrigen Energiepreise aber auch eine "schwache Nachfrage, die niedrigen Löhne und den Wechselkurs" verantwortlich. Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat lag die offizielle Inflationsrate im Oktober wie im September erneut bei minus 0,3 Prozent.
In die Berechnung fließt natürlich nicht ein, dass die massive Geldschwemme der Notenbanken nicht in der Realwirtschaft landet, sondern die Finanzmärkte weiter aufbläht, wo eine massive Inflation zu beobachten ist. Der deutsche Leitindex DAX notierte 2017 bei einem Wirtschaftswachstum in Deutschland bei 2,2 Prozent um die Marke von 10.000 Punkten. Derzeit liegt er, obwohl die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Wirtschaft im laufenden Jahr um 5,5 Prozent schrumpfen wird, über 13.000 Punkten. Und auf diesem Niveau liegt er seit dem Sommer.
Das hat also nichts mit den Hoffnungen zu tun, die in die Impfstoffe gesetzt werden. Es ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie weit sich über die Geldpolitik der Notenbanken die Finanzmärkte von der Realwirtschaft abgekoppelt haben und sich immer weiter abkoppeln.
Verändern wird sich die EZB-Politik mittelfristig nicht. "In jedem Fall wird der EZB-Rat die Nettokäufe so lange durchführen, bis er der Meinung ist, dass die Coronakrise vorbei ist", erklärte die EZB. Doch bei solchen Sätzen handelt es sich, wie beschrieben, um Nebelkerzen. Denn es wird in Frankfurt so getan, als gäbe es einen direkten Zusammenhang zwischen den Anleihekäufen und der Coronaviruskrise. Dabei gehören die Anleihekäufe längst zum Alltag, nur der Umfang der Ankäufe steht im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise.
Wie üblich mutieren Krisenmaßnahmen oft zum Normalzustand. Das ist auch aus der Finanzkrise bekannt, als zum Beispiel ein angeblich "temporärerer" Rettungsfonds zur dauerhaften Einrichtung wurde (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert).
Wie aufgezeigt, wurden auch die umstrittenen Anleihekäufe in einer Phase des Aufschwungs nicht eingestellt und genauso wenig kam es zu einer Zinsnormalisierung. Die Ankäufe wurden deshalb sofort wieder deutlich ausgeweitet, als die EZB-Experten im Sommer 2019 einräumten, dass sich die Lage der Wirtschaft im Euroraum schlechter als von ihnen erwartet entwickelt hat und mit Deutschland auch die Eurozone wieder auf Rezessionskurs ging (Deutschland weiter auf dem Weg in Richtung Rezession).
Spätestens damit war klar, dass die EZB unter Draghi von ihrer eigentlichen Aufgabe abgerückt ist. Statt für Geldwertstabilität zu sorgen, macht man in Frankfurt seit etlichen Jahren vor allem Konjunkturpolitik. Denn die Geldpolitik änderte sich nicht einmal, als die Inflationsrate sogar über der Zielmarke von zwei Prozent lag ("Finanzstaatsstreich" des ehemaligen Eurogruppenchefs gegen Italien?). Damit wurde auch klar, dass der Aufschwung stark von der EZB gedopt war, über extrem billiges Geld für Unternehmen, womit auch Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen am Leben gehalten wurden. Durch einen künstlich niedrig gehaltenen Euro stieg die EZB auch in den Währungskrieg ein (Vom heimlichen zum offenen Währungskrieg?), um die Konjunktur über billige Exporte in andere Währungsräume zu stärken.
Warnung vor einer neuen Eurokrise
Obwohl dazu sogar ein niedriger Erdölpreis beitrug, drohte die Eurozone schon vor gut einem Jahr in die Rezession abzurutschen, also deutlich vor der Coronakrise. Die nächste Krise, die zyklisch im Kapitalismus auftreten, stand also ohnehin vor der Tür. Sie wurde durch die EZB-Geldpolitik nur verschoben und wurde durch die Coronakrise nur verschärft.
Experten wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hatten deshalb schon vor dem Ausbruch dieser neuen Krise gewarnt: "Wenn der nächste schlimme Schock kommt, werden wir ohne nennenswerte Stoßdämpfer getroffen." Als Krugman im Februar sein Buch Arguing With Zombies vorgestellt hat, erklärte er auch mit Blick auf die Notenbankpolitik: "Wir stehen heute schlechter da, um mit einer Krise umzugehen, als 2007."
Er kritisierte dabei auch, dass wichtige Reformen im Finanzsystem bestenfalls nur zaghaft seit der Finanzkrise angegangen wurden, denn es ist weiterhin kaum reguliert: "Im Allgemeinen haben wir sehr wenig getan, um die Probleme zu lösen, die die Große Rezession verursacht haben." Für Krugman ist klar, dass aus der letzten Krise nichts gelernt wurde. "Wenn sich Morgen ein Kollaps ereignet, sind die Werkzeuge zur Reaktivierung der Wirtschaft viel schwächer", fügte er an.
Und das wirkt sich nun so aus, dass die EZB praktisch die gesamten Haushaltsdefizite der Euroländer in den Jahren 2020 und 2021 finanziert, wie auch die Neue Zürcher Zeitung festgestellt hat. "Die EZB findet seit Jahren viele gute Gründe, um Staatsanleihen in Billionenhöhe zu erwerben." Schon jetzt hätten die Pandemie‑Notfallkäufe damit fast das Niveau der Ankäufe in anderen Programmen von mehr als 2,5 Billionen Euro erreicht. Damit werden Peripherie‑Länder, wird ebenfalls richtig festgestellt, erfolgreich von den Marktkräften abgeschirmt.
Faktisch wird die eigentlich verbotene Staatsfinanzierung über die Notenbank immer weiter ausgeweitet. Die EZB habe den Moment vor allem dazu genutzt, ihre verdeckte monetäre Staatsfinanzierung fortzusetzen und günstige Finanzierungssätze für Krisenländer auf mittlere Sicht zu sichern, meinen Beobachter. Auch hoch verschuldete Krisenländer wie Spanien müssen deshalb nun für ihre Anleihen keine Zinsen mehr bezahlen. "Erstmals nach 230 Jahren rentieren zehnjährige spanische Anleihen negativ", titelten in der vergangenen Woche Finanzblätter in Spanien.
Man kann das gut finden, dass die Eurostaaten nicht mehr zu Opfern einer Spekulation werden, wie in der Finanzkrise, als Länder wie Portugal gezielt unter den Rettungsschirm geprügelt wurden. Doch man sollte dann den Menschen auch reinen Wein einschenken und dann die Aufgaben der EZB auch entsprechend anpassen.