Das tägliche Blutbad in Sri Lanka
Seite 2: Der Desinformationskrieg
- Das tägliche Blutbad in Sri Lanka
- Der Desinformationskrieg
- Immer wieder wird das Hospital in Puthukkudiyiruppu angegriffen
- Verteidigungssekretär Rajapakse: "Krankenhäuser sind legitime Angriffsziele"
- Tamil Tigers schießen auf Flüchtlinge
- Die Eroberung des Nordostens bedeutet kein Ende des Krieges
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Da 50 wichtige Pressevertreter wie etwa der international bekannte Verteidigungskolumnist Iqbal Athas nach der Ermordung Lasanthas das Land verlassen haben, wird es immer schwieriger, unabhängige Informationen über das Kriegsgeschehen zu bekommen. Es ist das erste Mal seit der Wahl von Präsident Rajapakse 2005, dass die Regierung so nachdrücklich versucht, jeden freien Informationsfluss zu verhindern, meint auch Eric Meyer, Professor am Institut national des langues et des civilisations orientales in Paris.
Schon vor den Angriffen auf die Medien war das Kampfgebiet im Nordosten der Insel für Journalisten gesperrt. Mit der brutalen Schlussphase des Krieges sind die unabhängigen Medien im Süden des Landes für die Herrschenden aber besonders beunruhigend geworden: Nach Ansicht von Meyer will die Regierung mit der Unterdrückung der Presse vor allem verhindern, dass tamilische Flüchtlinge über Menschenrechtsverletzungen berichten, die von der srilankischen Armee begangen wurden.
Der Terror gegen die Medien hat bereits gewirkt: So werden die Schlagzeilen des unabhängigen Daily Mirror derzeit in fast subversiver Manier vor allem von Cricket und Mode beherrscht. Wer etwas aus dem Kriegsgebiet erfahren will, ist auf die Publikationen der beteiligten Parteien im Internet zurückgeworfen: Die Website der Armee, die nur von Erfolgen berichtet, erhält jeden Tag 8 Millionen Zugriffe. Demgegenüber steht eine Vielzahl tamilischer Websites, in der englischsprachigen Öffentlichkeit wird aber vor allem die rebellennahe Nachrichtenagentur Tamilnet wahrgenommen. Sie ging ursprünglich aus einer Mailingliste hervor und ist seit 1996 online. Ihre Reporter berichten per Satellitentelefon aus dem Krisengebiet.
In dieser heißen Phase des Krieges, in der beide Seiten täglich widersprüchliche Berichte auswerfen, die sich kaum überprüfen lassen - wer übertreibt, wer vertuscht? -, gewinnen die wenigen Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes der Regierung, des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) und der Vereinten Nationen enorm an Bedeutung - sie sind die letzten unabhängigen Zeugen im Kriegsgebiet. Nur mit Hilfe ihrer Aussagen ist es möglich, das wahre Ausmaß der getöteten Zivilisten abzuschätzen.
Laut Berichten von Dr. Thurairajah Varatharajah, einem der letzten noch im Kriegsgebiet arbeitenden Gesundheitsbeamten, werden jeden Tag 40 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt. Auch ein anderer Arzt bestätigte dies. In den letzten drei bis vier Wochen seien außerdem jeden Tag 100 Verletzte mit Schrapnellwunden in sein Hospital gekommen, sagte Varatharajah. Ein neuer Bericht von Human Rights Watch geht davon aus, dass in den letzten drei Wochen 2.000 Zivilisten getötet und 5.000 verletzt wurden.
Das Blutbad an den Zivilisten in der "sicheren Zone" wird zum Spielball der Propaganda
Zahlreiche Attacken in der letzten Wochen lassen keine Zweifel aufkommen: Die Armee macht seit Beginn des Jahres keine großen Unterschiede mehr zwischen den Tamil Tigers und der Bevölkerung. Der Krieg gegen die tamilischen Separatisten ist zu einem Krieg gegen die tamilischen Zivilisten geworden. Allein am Mittwoch dieser Woche wurden mindestens 38 Zivilisten bei Artillerieangriffen der Armee getötet und 140 verletzt.
Die Situation der tamilischen Bevölkerung im Nordosten eskalierte, nachdem die Regierung am 21. Januar ein 35 Quadratkilometer großes Areal innerhalb des Rebellengebietes zur sogenannten "sicheren Zone" erklärt hatte. Alle Zivilisten sollten dort hin flüchten, um nicht vom Militär beschossen zu werden, sagte Militärsprecher Udaya Nanayakkara. Das Militär beschoss dann aber genau diese Zone mit Artilleriegranaten und richtete ein Blutbad unter den Zivilisten an, wie Zeugen gegenüber der französischen Tageszeitung Libération inzwischen bestätigten.
Diese Attacken der Armee auf Zivilisten wurden jedoch zunächst zu einem Spielball der Propaganda beider Konfliktparteien. So meldete die rebellennahe Website Tamilnet am 26. Januar, innerhalb von 24 Stunden seien 300 Zivilisten getötet und 1000 verletzt worden. Viele Menschen würden ohne Hilfe auf den Straßen liegen und verbluten. Als unabhängiger Zeuge dieser Horrormeldung wurde der bereits oben genannte Regierungsbeamte zitiert: Dr. Thurairajah Varatharaja, Regionaldirektor des Gesundheitsdienstes (RDGS) von Mullaitivu bat in einem ebenfalls auf Tamilnet veröffentlichten Appell an die Internationale Gemeinschaft um medizinische Hilfe. Auch er schrieb von 300 Toten, auffällig war allerdings, dass er dafür keinen Zeitraum angab. Außerdem war der Brief nicht unterschrieben.
Einen Tag später bezeugten auch UN-Mitarbeiter, in den vergangenen Tagen "dutzende Getötete und Verletzte" gesehen zu haben. In der Region seien "Hunderte" getötet worden, sagte auch Jacques de Maio, Südostasienchef des Roten Kreuzes in Genf.
Nachdem internationale Nachrichtenagenturen die schockierenden Berichte übernommen hatten, intervenierte die srilankische Regierung am 28. Januar und bezeichnete den Bericht als "totale Erfindung" und "Schwindel". Gesundheitsdirektor Varatharaja habe in einem Telefongespräch mit dem Gesundheitsministerium kategorisch abgestritten, den oben erwähnten Appell verbreitet zu haben. Dessen Inhalt sei zudem falsch. Viele srilankische Medien taten die Meldung daraufhin hämisch als Hoax ab.
Was war passiert? Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Associated Press überprüften die Behauptungen der Regierung, indem sie Thurairajah Varatharajah am nächsten Tag anriefen. Zwar habe er den Appell tatsächlich nicht selbst abgeschickt, inhaltlich sei er aber richtig gewesen, erklärte der Mediziner. Im Gegensatz zur Regierungspropaganda sagte er, seiner Meinung nach seien tatsächlich 250-300 Zivilisten getötet und 1.100 verwundet worden - allerdings in einer Woche, nicht innerhalb von 24 Stunden, wie Tamilnet behauptet hatte. Unter den Verletzten seien 248 Kinder unter 15 Jahren, präzisierte er. Er fügte an, es sei schwierig, die Zahl der Getöteten zu zählen, da viele Zivilisten ihre toten Angehörigen wegen der anhaltenden Kämpfe nicht mehr ins Hospital bringen könnten.
Als Auflösung dieser Geschichte bieten sich mehrere Erklärungen an: Entweder benutzte wirklich jemand das Briefpapier des Arztes, um eine gefälschte Erklärung zu verschicken - dies wäre nicht das erste Mal, dass die Tamil Tigers dies machen. Dafür spricht, dass der Brief nicht unterschrieben war. Denkbar ist aber auch, dass Varatharajah die sehr detaillierte medizinische Erklärung absichtlich ohne Unterschrift abschickte, um sich danach problemlos davon distanzieren zu können. So wäre er vor Repressalien der Regierung gefeit, hätte aber trotzdem internationale Aufmerksamkeit für die humanitäre Krise im Nordosten erzeugt.
In jedem Fall zeigt diese Geschichte beispielhaft, wie die Propagandamaschinerie auf beiden Seiten funktioniert: Einerseits nutzte die Regierung sofort den Umstand aus, dass der Arzt abstritt, die Erklärung verfasst zu haben, um gleich die ganze Botschaft zu diskreditieren. Dass bis zu 300 Zivilisten innerhalb einer Woche vom Militär massakriert wurden, kann aber heute als gesichert gelten. Andererseits zeigt sich, wie Tamilnet Meldungen verfälschend zuspitzt, indem die Agentur hinzufügte, die Zivilisten seien innerhalb von 24 Stunden getötet worden. Dies konnte bisher nicht bestätigt werden.