Der Digitale Engel ist da

Zwar hat man vorerst auf die implantierbaren GPS-Chips verzichtet, aber für die mit Biosensoren ausgestattete Überwachungstechnologie zur Lokalisierung von Menschen, Tieren und Dingen hofft das Unternehmen ADS dennoch auf einen Riesenmarkt, vornehmlich in der Medizin

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Als Applied Digital Solutions das Patent für einen GPS-Chip erworben und das erste Mal die "Digital Angel"-Pläne vorgestellt hatte, war das Vorhaben noch gewaltig. (Die Digitalen Engel kommen) Angekündigt wurden Chips, die unter die Haut von Menschen implantiert werden und einer Vielzahl von Zwecken dienen sollten. Als primäre Anwendung sah ADS den E-Commerce an, da mit solchen Chips jeder zweifelsfrei seine Identität ausweisen könne. Von diesen Zielen ist man erst einmal abgerückt. Die ersten Produkte, die jetzt auf den Markt kommen, sind GPS-Sender mit Biosensoren in Uhren für verwirrte Alte und Kinder oder in Halsbändern für Tiere.

1999 meldete ADS noch stolz, dass sich mit den implantierbaren Minichips Menschen und Tiere über das GPS jederzeit lokalisieren ließen. Interessant war, dass der GPS-Sender/Empfänger seine Energie "elektromechanisch durch die Muskelbewegungen" erhalten sollte und so angeblich jahrelang ohne Wartung in Betrieb sein könnte. Neben der Lokalisierung und der Identifizierung des Trägers sollten über Biosensoren auch bestimmte Körperfunktionen wie der Blutdruck gemessen und weitergesendet werden, um eine Notfallsituation zu signalisieren. Als Zielgruppe machte man neben Kindern und Kranken Prominente, Politiker, Sportler oder auch Soldaten aus. Die Aussichten schienen, vornehmlich in Zusammenhang mit dem damals aufblühenden E-Commerce, so groß zu sein, dass Richard Sullivan, Vorsitzender von ADS, mit dieser Technik zur Stärkung der Sicherheit einen Markt in der Größe von 100 Milliarden Dollar in Nordamerika vor sich sah.

Nicht viel, aber ein wenig bescheidener ist man jetzt geworden. Immerhin aber glaubt man immer noch mit der "weltweit ersten Biosensortechnik und der drahtlosen, mit dem GPS verbundenen Telekommunikation für das Web" an einen Markt von 70 Milliarden Dollar - wieder nur für Nordamerika. Und erstaunlicherweise gibt es keinen Hinweis auf die Anschläge vom 11.9. und die allseits gestiegenen Überwachungsbedürfnisse. Erst einmal wurden also die implantierbaren Chips zurückgestellt, um möglicherweise die Kritik an der geplanten Überwachungstechnik zu unterlaufen. Im Sommer sagte jedenfalls Lawrence Webber von Digital Angel, nachdem Gerüchte zirkulierten, man wolle erste Tests mit den Chips an Menschen durchführen, dass man "derzeit keine implantierbare Technologie" plane, sondern die Überwachungssensoren in Geräten unterbringe, die äußerlich mitgeführt werden können. Gestartet wird den Gang in den Markt vorerst in Florida, aber ein weltweiter Service ist natürlich geplant.

Die Uhr und der Sender in Größe eines Pagers, beides batteriebetrieben, kosten 299 US-Dollar und sind nach Angaben der Firma bequem mit sich zu führen: "There's absolutely no need to penetrate the skin." Bislang können über GPS der Ort des Benutzers festgestellt und die Körpertemperatur gemessen werden. Überdies gibt es einen Notrufknopf an der Uhr und, wenn erwünscht, einen Sensor für einen plötzlichen Sturz, mit dem sich aus der Ferne erkennen lässt, ob jemand aufrecht geht oder steht, sich erhebt oder eben fällt. Erhältlich seien überdies Sensoren zur Messung des Blutdrucks, der Umgebungstemperatur, der Lautstärke, der Vibration oder des Drucks. Die Daten werden über ein Modem in Form von GPRS, GSM und Paging bzw. die entsprechenden amerikanischen Mobilfunkstandards versendet und können über Handys, PDAs oder Computer über eine kennwortgeschützte Verbindung von den überwachenden Angehörigen oder den damit beauftragten Personen von der Website des Digital Angel Delivery System (DADS) in Echtzeit eingesehen werden. Dafür müssen monatlich zwischen 20 und 50 Dollar bezahlt werden.

Die Pläne reichen natürlich weiter. Vor allem soll die Zahl der Biosensoren erweitert werden. Man habe bereits eine Vielzahl an weiteren Sensoren entwickelt, die mit Licht arbeiten. Bald werde es möglich sein, Blutdruck und Puls sowie den Blutzucker zu messen, aber auch EEG-Sensoren seien demnächst verfügbar. Mit Hitzezellen können die Sensoren und Geräte demnächst betrieben werden, indem die Körperwärme in Elektrizität verwandelt wird. Um die Haltung und Position des Benutzers genauer zu erfassen, wird es zusätzlich Beschleunigungsmesser und Gyroskope geben. Sie sollen es auch ermöglichen, den genauen Aufenthaltsort des Benutzers in Gebäuden zu erfassen und zu übermitteln.

Neben Tieren, die abhanden gehen könnten, hat man sich als erste Zielgruppe umherwandernde Personen ausgesucht. Damit sind ältere Personen gemeint, die beispielsweise wegen einer Alzheimer-Erkrankung verwirrt, aber noch mobil sind. Sie können wie andere Risikopatienten oder autistische Kinder und Erwachsene von den Angehörigen, Ärzten oder Pflegern überwacht werden. Aber auch die Kleinen, die gelegentlich mal ausbüchsen, sollen vom digitalen Engel geschützt und kontrolliert werden, so dass Eltern oder Erzieher immer wissen, wo sie stecken, und sie so bei Bedarf zurück holen können (wenn die den Sender nicht ausschalten oder beschädigen natürlich).

Zwar wurde von ADS die anfänglich propagierten Anwendungsmöglichkeiten etwas eingeschränkt, aber man sieht immer noch ein großes Feld: "Überwachung des Aufenthaltsorts und der gesundheitlichen Verfassung von Risikopatienten; Lokalisierung von verschwundenen oder verirrten Menschen; Lokalisierung von entlaufenen oder gestohlenen Haustieren; Überwachung des Aufenthaltsorts von Sträflingen; Entdeckung des Ortes von gestohlenen Wertgegenständen; Übersicht über die Auslieferungskette von Waren; Verhinderung der ungenehmigten Benutzung von Schusswaffen." Und dann, ganz am Schluss, taucht dann doch wieder der alte Traum auf, diese Überwachungstechnik auch zur Identifizierung von Menschen zu verwenden: "ein vor Manipulation geschütztes Identifikationsmittel für eine erweiterte E-Commerce-Sicherheit". Soll es da also doch wieder unter die Haut gehen?