Der Frieden hat seinen Preis

Seite 2: Geheimverhandlungen der US-Regierung mit den Taliban ab 1998

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Um die Erfolgsaussichten der aktuellen Gespräche beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf die erfolglosen Verhandlungen der vergangenen Jahre. Bereits mehrfach hat die US-Regierung Gespräche mit den – in ihren Augen - verhassten Taliban geführt:

Nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Afghanistan im Jahre 1989 musste die al-Qaida für sich eine neue Aufgabe suchen. Im Jahre 1991 übersiedelte die Gruppierung mit 300 bis 500 Kämpfern von Afghanistan nach Sudan, wo die al-Qaida in ihrer Aufbauphase mehrere Wirtschaftsunternehmen aufzog. Die sudanesische Regierung von Präsident Omar al-Bashir bot der amerikanischen Regierung die Auslieferung von Osama Bin Laden an, aber die Clinton-Administration lehnte dies ab, weil es in den USA damals noch keinen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden gab und ein Strafprozess wenig aussichtsreich erschien!

Außerdem interessierte sich Bill Clinton damals mehr für Monica Lewinsky als für Osama Bin Laden. Als die saudische Regierung im Mai 1996 die Auslieferung von Osama Bin Laden forderte, mussten die Führungsleute der al-Qaida den Sudan verlassen. Für die Führungskader der al-Qaida blieb nur die Rückkehr nach Afghanistan. Damit waren zunächst alle Seiten zufrieden gestellt. In der Isolation der Lehmhütten im afghanischen Bergland schien Osama Bin Laden neutralisiert zu sein. Allerdings mussten die Taliban fünf Jahre später ihre "Gastfreundschaft" teuer bezahlen.

Bei einem Besuch in Kabul am 16. April 1998 erörterte der amerikanische UN-Botschafter William Richardson den Fall Bin Laden mit den Taliban. Nach Einschätzung des damaligen US-Botschafters in Pakistan, Simons, spielten die Taliban das Problem allerdings herunter: "Er besitzt nicht die religiöse Autorität, eine Fatwa zu verkünden, und deshalb dürfte das auch kein Problem für Sie darstellen."

Aber die Taliban hatten sich in der Gefährlichkeit von Osama Bin Laden getäuscht: Am 7. August 1998 verübten zwei Kommandos die ersten großen Sprengstoffanschläge der al-Qaida, die internationales Aufsehen erregten. Bei dem Angriff auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia starben 223 Menschen, über 4.000 wurden verletzt. Als Vergeltung für die Attacke ordnete US Präsident Bill Clinton einen Angriff auf eine Medizinfabrik al-Shifa im Sudan und die Terrorcamps der al-Qaida in Afghanistan mit 75 Marschflugkörpern an (OPERATION INFINITE REACH). Vom 20. bis 30. August 1998 wurden u. a. die afghanischen Ausbildungslager Al-Farouq, Khost, Muawai und Zhawar Kili al-Badr attackiert.

Zwar erwies sich diese Luftoffensive als militärischer Fehlschlag, aber sie hatte weitreichende militärpolitische Folgen. Denn die afghanische Zentralregierung in Kabul, die von den Taliban gestellt wurde, war damals gerade in Verhandlungen mit der Clinton-Regierung über eine Auslieferung von Osama Bin Laden. Aber mit dem amerikanischen Angriff auf afghanisches Territorium waren die Gespräche vorerst gescheitert.

Daraufhin setzte die US-Regierung zunächst auf Gespräche mit dem afghanischen Ex-König Sahir Schah im römischen Exil, um eine Gegenregierung zu den Taliban aufzubauen. Diese sollte es dem amerikanischen Ölkonzern Unocal ermöglichen, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen, um die Ölfelder in den innerasiatischen Republiken ausbeuten zu können. Allerdings scheiterte dieses Vorhaben.

US-Geheimverhandlungen 2001

Im Jahr 2001 versuchte die US Regierung erneut, die Differenzen zwischen Taliban und al-Qaida zu nutzen, um eine Auslieferung von Osama Bin Laden zu erreichen. So verkündete die US-Botschafterin bei der UNO am 12. Februar 2001, dass die USA mit den Taliban einen dauerhaften Dialog auf "humanitärer" Basis aufnehmen wollten. Die Amerikaner waren damals so sehr vom Zustandekommen der Verhandlungen überzeugt, dass das FBI seine Untersuchung über eine mögliche Beteiligung Bin Ladens am Anschlag auf den amerikanischen Zerstörer USS Cole am 12. Oktober in Aden (Jemen) auf Veranlassung des US State Department einstellen musste.

Tatsächlich wurden entsprechende Verhandlungen am Rande der Zwei-plus-Sechs-Gespräche geführt. Diese Gesprächsrunde hatte die UNO am 19. Juni 1999 initiiert, um einen Friedensschluss in Afghanistan zu erzielen. Beteiligt waren die beiden "Supermächte" Amerika und Russland und die sechs Nachbarstaaten Afghanistans: Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan, VR China, Pakistan und Iran. Wiederholt traf man sich zu Beratungen, u. a. vom 17. bis 21. Juli 2001 in Berlin. Beteiligt waren u. a. der Außenminister der Taliban-Regierung Wakil Ahmed Muttawakil, der Vertreter der gegnerischen Nordallianz Abdullah Abdullah, der frühere pakistanische Außenminister Niaz Naik und der frühere US-Botschafter in Pakistan Tom Simons.

Neben einer Friedensregelung für Afghanistan ging es am Rande der Gespräche auch um die Auslieferung von Osama Bin Laden. Schon damals drohten die Vertreter der US-Regierung der Delegation der Taliban mit einer Militäroffensive. Um eine Eskalation zu vermeiden und größeren Schaden von Afghanistan abzuwenden, ließ Muttawakil Mitte Juli 2001 dem amerikanischen Generalkonsul in Peschawar, David Katz, eine Warnung zukommen, dass die al-Qaida einen großen Anschlag auf amerikanischem Gebiet vorbereitete, aber die Warnung wurde ignoriert. Zum Dank dafür nahmen die US-Streitkräfte Muttawakil im folgenden Jahr gefangen und internierten ihn vier Jahre lang in Guantánamo.

Am 2. August 2001 traf sich die Staatssekretärin im US State Department und frühere CIA-Agentin Christina Rocca in Islamabad mit dem Botschafter der Taliban, um noch einmal erfolglos über eine Auslieferung von Osama Bin Laden zu verhandeln.

Mit dem Anschlag von 11. September änderten sich die politischen Rahmenbedingungen. Die Führung der Taliban war zunächst noch bereit, mit der US-Regierung weiter zu verhandeln, um Osama Bin Laden auszuliefern. Als Vermittler diente die pakistanische Regierung. Aber Mullah Mohammed Omar wollte Beweise dafür, dass die al-Qaida in die Anschläge vom 11. September verwickelt war. Anscheinend wollte oder konnte die Regierung von Präsident George Bush die Beweise damals nicht vorlegen, vielmehr setzte sie unbedingt auf eine Militäroffensive. Erneut platzten alle Verhandlungen und der US/NATO-Krieg gegen Afghanistan begann.

Afghanische Gesprächskontakte seit 2008

"Wenn Amerika unser Haus angreift, dann müssen alle Moslems, vor allem die Afghanen, einen heiligen Krieg führen", hatte der Regierungschef der Taliban, Mullah Mohammed Hasan, am 17. September 2001 gewarnt. Als die US-Regierung am 7. Oktober 2001 mit ihrer OPERATION ENDURING FREEDOM begannen, verfügten die Taliban über rund 50.000 Kämpfer. Hinzu kamen 12.000 Dschihadisten aus anderen Ländern und 2.000 Mann der al-Qaida.

Zwar bot UN auf ihrer Afghanistan-Konferenz im Dezember 2001 in Bonn den (gemäßigten) Taliban eine politische Integration an, aber entsprechende Gespräche in den Jahren 2002 und 2004 verliefen im Sande, zumal die Amerikaner die Sicherheit der Emissionäre der Taliban nicht garantieren wollten. So wurde Ibrahim Haqqani im Jahr 2002 gefangen genommen und gefoltert. Dennoch unternahmen die UN und die EU in den folgenden Jahren wiederholt Versuche, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen. Da dies ohne die Zustimmung der afghanischen Regierung erfolgte, ließ "Präsident" Hamid Karzai im Jahr 2007 Vertreter beider Organisation ausweisen. Allerdings war der Einfluss der UN auf den Konflikt immer gering gewesen. Erst am 8. Januar 2010 kam es erneut zu einem Treffen der Taliban mit dem UN-Unterhändler Kai Eide im Emirat Dubai.

Aber nach dreißig Jahren (Bürger-)Krieg ist das Land mittlerweile ausgelaugt. Der Verlauf der Kämpfe in den letzten zehn Jahren hat zu einem "strategischen Patt" geführt: Die NATO-Truppen beherrschen die Städte, die Taliban das Land. Allmählich dämmert es beiden Kriegsparteien, dass eine Fortsetzung der Kämpfe auf die Dauer keinen weiteren "Erfolg" bringt. Daher ist eine Friedenslösung umso dringender.

Schon im Herbst 2008 nahm der amtierende "Präsident" Hamid Karzai mit saudischer Unterstützung Gespräche mit Vertretern der Taliban auf, die im Frühjahr 2009 fortgesetzt wurden. Außerdem trafen sich vom 24. bis 27. September 2008 Vertreter der Taliban und der saudischen Regierung in Mekka (Saudi-Arabien) zu vertraulichen Gesprächen. Die Delegation der Taliban wurde von Mulla Agha Jan Mutassim geleitet. Schon damals erklärten die Beauftragten von Mullah Mohammed Omar, dass ihr Führer nicht länger ein Verbündeter von Osama Bin Laden und seiner al-Qaida wäre.

Diese Gespräche führten dazu, dass auch die Regierung von US-Präsident George Bush gegen Ende seiner Amtszeit Gespräche mit "gemäßigten" Taliban nicht mehr ausschließen wollte, sollte dies durch die Lageentwicklung nötig werden.

We all agree on the need for the people of Afghanistan to come together it they are going to succeed in creating a lasting and viable state. (...) It remains to be seen if some in the Taliban will really renounce violence and extremism and play a constructive role in Afghanistan.

Der damalige Sprecher des Weißen Hauses, Gordon Johndroe

Kurz nach seiner Amtsübernahme als US-Präsident erklärte Barack Obama am 6. März 2009, dass die USA den Krieg in Afghanistan militärisch nicht gewinnen könnten und bot "gemäßigten" Taliban Gespräche über eine Konfliktbeilegung an. So glaubt die US Regierung, dass sie drei Viertel der Kämpfer aus den Taliban herauslösen kann und hat dafür schon 2009 einen Etat von 1,3 Milliarden Dollar bereitgestellt.

Demgegenüber bestritten die Taliban, dass eine Unterscheidung in "gemäßigte" und "radikale" Taliban möglich wäre, lehnten eine Gesprächsaufnahme aber nicht ab. So erklärte Taliban-Sprecher Sabibullah Mudschahed:

Obama hat gesagt, er wolle sich an gemäßigte Taliban wenden, doch solche Taliban gibt es nicht in Afghanistan. (...) Unsere Kämpfer und Kommandanten gehorchen den Befehlen von Mullah Mohammed Omar und werden nicht verhandeln. (...) Die internationalen Truppen müssen vollständig abziehen, erst dann kann es Gespräche geben.

Immerhin gab es zur damaligen Zeit die ersten erfolgreichen Geheimverhandlungen mit dem Ziel, eine Rückkehr von Gulbuddin Hekmatyar aus dem iranischen Exil zu ermöglichen.

Im Januar und im Mai 2010 trafen Vertreter der amtierenden afghanischen Regierung mit Emissären der Taliban und der "Hezb-e Islami" auf den Malediven zusammen. Rund 50 Personen sollen an den Gesprächen teilgenommen haben. Außerdem weilte "Präsident" Hamid Karzai im Mai und im Oktober 2010 zu Staatsbesuchen in Washington, um sich von US-Präsident Barack Obama das Plazet für seine weiteren Gespräche mit den Taliban abzuholen. Um sich im eigenen Lager abzusichern, lud Präsident Karzai seine Anhänger Ende Mai in Kabul zu einer "Friedens-Dschirga". Dabei wurden Ideen für eine Friedenslösung in Afghanistan gesammelt und beraten. Die Taliban waren nicht eingeladen.

Vom 24. bis 27. September 2010, während des Fastenmonats Ramadan, trafen sich erneut elf Taliban-Vertreter und ein Vertreter der "Hezb-e Islami" mit saudischen Unterhändlern in Mekka (Saudi-Arabien). An dem Treffen nahmen außerdem zwei Beamte der afghanischen Regierung teil. Im Hintergrund wirkte auch der saudische Geheimdienst "General Intelligence Directorate" (GID) am Aufbau der Gesprächsverbindungen mit.

Im Verlauf des Jahren 2010 kam es zu weiteren Gesprächen der afghanischen Regierung mit den Taliban. Zunächst traf man sich mit Mullah Gul Agha, Amir Abullah, einem weiteren Taliban und Nasiruddin Haqqan, der zur Gruppierung von Jalaluddin Haqqani gehört. Allerdings brachten diese afghanisch-afghanischen Runden zunächst kein nennenswerten Ergebnis, zumal die US-Regierung die drei Unterhändler nach den Gesprächen auf ihre Terror-Liste setzte. Nicht zuletzt fiel die Karzai-Regierung zeitweise auf den Hochstapler "Mullah Akhtar Mohammed Mansour" herein, der sich vom Kabuler Regime fürstlich bewirten ließ, ohne überhaupt ein Mitglied der Taliban zu sein. Tatsächlich war der vermeintliche Warlord nur ein abgebrühter Händler aus der pakistanischen Stadt Quetta, der sich ein bisschen bereichern wollte, wie sich im November 2010 herausstellte (Der Taliban-Kommandeur, der keiner war).

Um die weiteren Friedensaussichten zu diskutieren, lud die afghanische Regierung am 7. Oktober 2010, dem zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns, zu einer Friedenskonferenz nach Kabul ein, bei der ein "High Peace Council" (HPC) institutionalisiert wurde. Zum Leiter der rund 70 Mitglieder dieses staatlichen Friedensrates wurde ex-"Präsident" Buhanuddin Rabbani bestimmt. Allerdings besteht dieses Gremium aus den Hardlinern unter den Taliban-Gegner, so dass dieser Friedensrat bei den tatsächlichen Gesprächen keine Rolle spielen wird und wohl eher zur gesellschaftlichen Legitimation der Regierungsbemühungen dienen soll. Im Anschluss an die Friedenskonferenz traf sich Hamid Karzai Mitte Oktober 2010 erneut mit drei Vertretern der Taliban: Maulvi Abdul Kabir, Sedre Azam und Anwar ul-Haq Mujahed, der dazu eigens aus einem pakistanischen Gefängnis (vorrübergehend) entlassen wurde.

Da die Gespräche in Kabul stattfanden, mussten die Unterhändler der Taliban ihre Schlupflöcher in Pakistan verlassen und durch das von den NATO-Truppen kontrollierte Gebiet reisen. Dabei durften die NATO-Soldaten die Terroristenführer nicht nur nicht angreifen, sie mussten sie auch noch beschützen. So wurde die Identität der Taliban-Vermittler – nach Möglichkeit - geheim gehalten, um zu verhindern, dass sie später als "Verräter" einem Mordanschlag zum Opfer fallen würden. Mittlerweile hat die "UN Assistance Mission in Afghanistan" (UNAMA) angeboten, die Unterhändler mit ihren Flugzeugen und Hubschraubern nach Kabul zu bringen und dort wieder abzuholen.

Nachdem der inner-afghanische Dialog im Aufbau begriffen war, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die US-Regierung erneut bilaterale Kontakte zu den "terroristischen" Taliban aufnehmen würde. Im Jahr 2010 war es der US Sonderbotschafter für Afghanistan, der kürzlich verstorbene Richard Holbrooke, der die Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen der US-Regierung und den Taliban anregte. Daraufhin signalisierte der Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar im September 2010 wiederum seine Verständigungsbereitschaft:

Wir wollen unsere Außenpolitik nach dem Prinzip ausrichten, dass wir niemandem Schaden zu fügen und niemanden erlauben, uns zu schaden. Unsere entstehendes Regierungssystem wird sich an allen regionalen und globalen Anstrengungen beteiligen, die auf die Herstellung von Frieden und Stabilität ausgerichtet sind.