Der Zeitgeist der Wirtschaftskrise

Seite 3: Zum Brief

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Der Industrielle Henry Ford war ein bekennender Antisemit. Das Buch "Der internationale Jude" (1920-22, in vier Bänden) war eine Sammlung von Zeitungsartikeln von der Redaktion seiner Zeitung "The Dearborn Independent". Ab 1920 gab es 91 Leitartikel, die die "jüdische Gefahr" dokumentieren sollten.

Das Buch von Ford hat in Deutschland vor und während der Wirtschaftskrise eine breite Leserschaft gefunden. Das Renommee des Autors, der einer der wichtigsten Industriekapitäne der amerikanischen Autoindustrie war, hat wesentlich zur Verbreitung des Buches beigetragen.

Silvio Gesell war ein Sozialreformer. Seine Theorie des Schwundgeldes basiert darauf, dem Geld Lagerkosten aufzuzwingen (negative Zinsen). Damit wäre der Vorteil des Geldes als Wertreserve gegenüber anderen Waren aufgehoben. Geld würde somit hauptsächlich für die Warenzirkulation und nicht für die persönliche Bereicherung bzw. Spekulation verwendet.

In Schwanenkirchen wurde 1930/31 ein solches Experiment mit eine Art Tauschgeld durchgeführt (die Wära), das allerdings 1931 von der Finanzministerium in Berlin gestoppt wurde. Darauf spielt die Nachfrage von Zuse im Brief wahrscheinlich an.

In dem Brief will sich Zuse für die Theorien von Gesell bei Henry Ford einsetzen. Viele Jahre danach hat er sich im Konzept für seine Autobiographie von Gesell distanziert:

Die "Goldwährung" wurde zum "schwarzen Peter" der Wirtschaftskrise gemacht (...) Ein solcher wirklichkeitsfremder und phantastischer Prophet war Sylvio Gesell.

Konrad Zuse

Über das Buch "Der internationale Jude" hat sich Zuse anscheinend nie wieder schriftlich geäußert. Nur Fords Autobiographie erwähnt er in seiner eigenen Autobiographie als wichtiges Werk.

Von den drei Autoren im Brief hat Zuse später im Leben nur Oswald Spengler zustimmend zitiert, insbesondere Spenglers "Untergang des Abendlandes" (1918-22) und "Preußentum und Sozialismus" (1920). Spenglers Konzeption von der Moderne als das Zeitalter der "abendländischen" bzw. "faustischen" ("Optimismus ist Feigheit"), die nach der ultimativen Ausdehnung und Grenzüberschreitung strebt, war für Zuse faszinierend.

Die Ursprünge seiner technokratischen Auffassung der Gesellschaft müssen in jenen formativen Jahren und in solchen Werken gesucht werden. In späteren Schriften hat Konrad Zuse sich über Automatisierung und selbstreproduzierende Maschinen ausgelassen, und daran eine Art Verselbständigung der Technologie und das faustische Schicksal unserer heutigen Gesellschaft gezeichnet. Die "technische Keimzelle" bildet in diesem Zusammenhang nur eine technologische Phantasie, ähnlich zu Kurzweils Singularität:

Hochgezüchtete Keimzellen könnten auf Weltraumkörper abgeworfen werden, welche selbsttätig und automatisch zu Industrieanlagen "auskristallisieren". Man würde also Industrieanlagen "pflanzen". Dabei würde man genau wie ein Gärtner vorgehen und die gepflanzte Anlage zunächst "düngen", d. h. mit hochgezüchtetem Rohmaterial versehen, bis das wachsende System so weit ist, die in der Umgebung der Abwurfstelle vorhandenen Materialien selber für den weiteren Aufbau zu verwenden. Diese Perspektive mag heute noch etwas phantastisch erscheinen, jedoch müssen wir den Mut haben, auch solche Möglichkeiten in unsere Betrachtungen einzubeziehen.

Konrad Zuse

Ich denke, dass in dem hier reproduzierten Brief und in dem Auszug oben ein Konrad Zuse spricht, der voll die technokratische Brille angezogen hat. Seine Dokumente im Nachlass sind Schriften der Zeitgeschichte und vielleicht relevant, um die damalige Zeit zu verstehen, so wie auch die Einstellung der Intellektuellen (wie es Akademiker sind) zu den Umwälzungen jener Zeit. Der junge Konrad Zuse war kein Mitglied der NSDAP, war aber auch nicht völlig immun gegen Propaganda, vor allem wenn sie aus dem Umkreis eines Jugendhelden von ihm, wie es Henry Ford war, kam.

Raúl Rojas González ist Professor für Informatik an der Freien Universität Berlin mit den Spezialgebieten Robotik und künstliche neuronale Netze. 1998 ist von ihm als Herausgeber das Buch "Die Rechenmaschinen von Konrad Zuse" erschienen.

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