Der überwachungsindustrielle Komplex
Ein Bericht der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU beschreibt, wie die Regierung Firmen und Einzelpersonen rekrutiert, um eine Überwachungsgesellschaft zu etablieren.
Der Staat, nicht nur der amerikanische, legt zunehmend die Sicherheit in private Hände. Das führt nicht nur im Falle der im Irak tätigen Söldner zu Problemen. In Deutschland beschäftigt sich die Initiative Safer City seit längerem mit dem Thema "Die private (Un)Sicherheit" und führt unrühmliche Beispiele dafür auf, wie private Sicherheitsdienste sich durch Brutalität und Inkompetenz hervortun. Die zunehmende Zusammenarbeit von Big Brother mit den privaten Sicherheitsdiensten und der Privatwirtschaft hat nun die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union zum Thema gemacht. Die Organisation warnt in Analogie zum "militärisch-industriellen Komplex" vor der Entstehung eines "überwachungsindustriellen Komplexes".
Der jüngst veröffentlichte Bericht widmet sich allerdings nicht nur den privaten Sicherheitsdiensten, sondern gliedert sich in vier Rubriken, um die Zusammenarbeit zwischen Staat und Gesellschaft zu erfassen: Rekrutierung von Einzelpersonen, Rekrutierung von Firmen, Nutzung von riesigen Mengen privater und öffentlicher Daten und Lobbyismus, der sich für den Ausbau der Überwachung einsetzt. Der "amerikanische Sicherheitssektor", so ACLU-Direktor Anthony D. Romero, "dringt immer tiefer in unser Privatleben ein, indem er die Privatwortschaft dazu bringt, ihn über die Aktivitäten der Einzelnen zu informieren".
Der Bericht macht deutlich, wie eng die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Regierung in einem von Angst geprägten Land sind und inwieweit man sich spätestens seit dem 11.09.2001 von Datenschutz und Wahrung der Privatsphäre entfernt hat. So werden zwar manchmal umstrittene Programme mediengerecht beendet, ohne jedoch darüber zu informieren, dass deren Aufgabe längst von anderen Programmen übernommen wurde.
Als prominentestes Beispiel für ein solches Programm sei hier das von Senator John Ashcroft bis zum (bitteren) Ende gelobte TIPS erwähnt. TIPS stand für Terrorist Information and Prevention System und basierte im wesentlichen darauf, dass jeder, insbesondere aber Menschen, die wegen ihrer Tätigkeiten besonders geeignet für eine Überwachung sind wie z.B. Briefträger, Angestellte von Versorgungsbetrieben etc zu den "Augen und Ohren der USA werden" (Ashcrofts Spitzelsystem). Tips wurde nach massiven Protesten eingestellt, seine Fortführung findet sich jedoch nicht nur in Highway Watch) und den übrigen "Watch-Programmen" wie River Watch oder Real Estate Watch, sondern auch in den "Cat Eyes".
Der amerikanischen Affinität zu wohlklingenden Abkürzungen folgend heißt "Cat Eyes" denn auch Community Anti Terrorism Training Institute und ist hierarchisch aufgebaut: Den Block Watchern folgen die Block Captains und die Neighborhood Coordinators. Nicht nur dem deutschen Kritiker fiel hier der Begriff Blockwart ein. Das amerikanische "National Memorial Institute for the Prevention of Terrorism" bietet als Wegweiser für den hilfreichen Anti-Terrorismus-Kämpfer gleich 40 verschiedene Programme zur Auswahl.
Von vielen wird die "Neighborhood Watch" beispielsweise nicht per se als etwas Schlimmes angesehen. Sie gilt vielmehr als eine Selbstverständlichkeit oder gar als ein Zeichen dafür, dass sich Menschen umeinander kümmern. Doch bedingt durch die immer vager werdenden Richtlinien zur "Awareness" (Vorsicht vor Personen mit großen, schweren Jacken an warmen Tagen) und den fortwährenden Terrorwarnungen wird so ein Klima geschaffen, das von Misstrauen und Angst beherrscht wird.
Aber nicht nur das - auch die Bereitschaft von Firmen, Daten freiwillig herauszugeben, trägt maßgeblich zum Aufbau der Überwachungsnetzwerke bei. Ob Fluggesellschaften oder Büchereien (um nur zwei Beispiele zu nennen) - allzu schnell werden sensible Daten freundlich lächelnd überreicht, ohne nach gesetzlicher Legitimation oder einem richterlichen Beschluss zu fragen. Der Datenschutz des Kunden bleibt dabei ebenso auf der Strecke wie das Vertrauen in die Firmen und deren Einsatz für den Kunden. Nicht einmal eine Benachrichtigung der Betroffenen wird erwogen, im Gegenteil, oftmals geschehen diese Datendeals weitgehend unbemerkt und werden dann eher zufällig aufgedeckt. Die Daten sind dann schon lange in die diversen Data Mining Programme eingeflossen (Undurchsichtige Spiele mit Data-Mining-Programmen der US-Regierung).
Diesen Programmen wie dem mittlerweile von Kongress gestoppten Terrorist Information Awareness oder der Matrix, den historischen "Vorbildern", den mittlerweile verabschiedeten oder geplanten gesetzlichen Rahmenbestimmungen wie dem PATRIOT Act und nicht zuletzt den Nutznießern des stetig wachsenden Datenhungers widmet sich der Bericht.
Ein Kommentar in einer Mailingliste zum ACLU-Report zeigt, wie wahr dieses Statement heutzutage immer noch ist: "Mein Apotheker sagt, er würde jederzeit, ohne Gerichtsbeschluss oder irgendetwas, sämtliche Daten herausgeben. Er sagt, wenn er es nicht tut, würde er befürchten, dass die Polizei beim nächsten Einbruch bei ihm nicht mehr zur Stelle ist."